26. Mai 2022

Flutkatastrophe im Ahrtal

Hilfe für die Helfer

Das Hochwasser Mitte Juli 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat viele Betroffene traumatisiert. Nun wird immer deutlicher, dass auch Hilfe für die Helfer – ob ehrenamtlich oder professionell – dringend notwendig ist. Als nachhaltige Struktur bietet die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) Schulungen in psychosozialer Notfallversorgung für Einsatzkräfte an. 

  • Sabine Elsemann im Gespräch mit Feuerwehrmann Holger Schneider.
  • Im Flutmuseum in Kreuzberg hängt dieser Helm eines Feuerwehrmannes.
  • Die Betroffenen danken den Feuerwehrleuten mit einem Banner.
  • Das Gebäude der Feuerwehr in Kreuzberg wurde bei der Flut zerstört.
  • Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, segnet die mobilen Teams.
  • Die Dankbarkeit der Betroffenen im Ahrtal ist groß.

Die Diakonie Katastrophenhilfe RWL baut diese Struktur in enger Zusammenarbeit mit den Brand- und Katastrophenschutzinspekteuren des Kreises Ahrweiler auf. Ziel ist es unter anderem, ein Team zu installieren, das auch nach dem Rückzug der diakonischen Katastrophenhilfe wirkungsvoll arbeiten kann. Verantwortlich für den langfristigen Aufbau zeichnet Psychologin Sabine Elsemann.

Die Notfallseelsorgerin ist seit Oktober 2021 Teil des mobilen Seelsorge-Teams der Diakonie RWL. Sie kümmert sich sowohl um Betroffene als auch um die Einsatzkräfte – und hat dabei große Unterschiede in der Herangehensweise festgestellt: Denn während die Hochwasseropfer völlig unvorbereitet von der Flutwelle überwältigt wurden, sind die Einsatzkräfte durch ihre Ausbildung auf schwere Unfälle und Katastrophen vorbereitet. Und trotzdem waren auch sie mit einer Ausnahmesituation konfrontiert. 

Ein Helfer der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe macht sich ein Bild von der Zerstörung durch die Flut.

Den Helfenden boten sich nach der Flutkatastrophe Bilder der Zerstörung. Das hat auch in deren Seelen Spuren hinterlassen.  

Ausnahmesituation für Einsatzkräfte

Viele der Einsatzkräfte waren privat selbst vom Hochwasser betroffen, wussten während des Einsatzes oft nicht, ob die eigene Familie in Sicherheit ist oder sich auch in einer Notsituation befindet. Hinzu kamen die außergewöhnlichen Umstände der Katastrophe: nachts komplette Dunkelheit wegen des Stromausfalls, frei umher schwimmendes Gefahrengut, hohe Pegelstände oder Arbeitseinsätze unter Wasser. 

Dass so etwas nicht spurlos an der Psyche vorbeigeht, scheint offensichtlich – doch aus ihrer langjährigen Berufserfahrung weiß Sabine Elsemann, dass nicht alle Einsatzkräfte offen mit dem Thema Einsatznachsorge umgehen. "Dabei gehören die seelischen Verletzungen genauso zum Berufsalltag wie die körperlichen und sollten frei von Stigmatisierung normalisiert werden", betont die Psychologin. "Das kann uns allen passieren, das gehört zum Arbeitsalltag." Sabine Elsemann hat selbst im Rettungsdienst gearbeitet, spricht die Sprache der Einsatzkräfte. "Die Hilfskräfte lernen, dazu zu stehen und dass sie deswegen nicht schwach sind. Ganz im Gegenteil: Es ist professionell, offen mit diesem Thema umzugehen", so Sabine Elsemann weiter. 

Die Psychologin Sabine Elsemann hat selbst im Rettungsdienst gearbeitet und spricht die Sprache der Einsatzkräfte.

Die Psychologin Sabine Elsemann erklärt den Rettungskräften in einfachen Bildern, wie Stresssymptome entstehen können. Sie hat selbst lange im Rettungsdienst gearbeitet.

Folgen durch Stresshormone

Stresssymptome zu erkennen, ist das erste Ziel für die Psychologin. Dafür erklärt die Fachfrau den Rettungskräften in einfachen Bildern die neurophysiologischen Zusammenhänge: Sie bemüht dabei gerne "Frau Müller", die als Sekretärin der Großhirnrinde das limbische System repräsentiert – und die Sinneseindrücke des Gehirns korrekt sortiert. Eine Flutung mit Stresshormonen aber sorgt für eine nicht ordnungsgemäße Ablage der Eindrücke. Die Folgen können Erinnerungslücken sein, Aggressionen, ständige Unruhe, Schreckhaftigkeit oder die Unfähigkeit, Affekte zu regulieren und zu steuern. "Wenn die Einsatzkräfte ihre Symptome einer Ursache zuordnen können, bringt das schon eine enorme Erleichterung", sagt Sabine Elsemann. 

Der Unterschied zwischen Betroffenen und professionellen Helfern? Bei der Seelsorge mit Betroffenen kann die Psychologin in Gesprächen auch mal das Ruder in die Hand nehmen und das Schiff temporär steuern. "Im Gegensatz dazu müssen die Rettungskräfte immer in der eigenen Handlungsfähigkeit, immer Kapitän ihres eigenen Schiffes sein." 

Sabine Elsemann mit ihren Kolleginnen und Kollegen vom mobilen Seelsorge-Teams der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) und der evangelischen Kirche im Rheinland.

Sabine Elsemann ist Teil des mobilen Seelsorge-Teams der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) und der evangelischen Kirche im Rheinland. Die Kolleg*innen wollen gemeinsam so viele Betroffene wie möglich erreichen. 

Seelen verarzten

Um so viele Menschen wie möglich zu erreichen, ist Sabine Elsemann Teil der mobilen Seelsorge-Teams der Diakonie RWL und der evangelischen Kirche im Rheinland. Sie ist täglich im Ahrtal unterwegs, trifft sich mit Klienten oder mischt sich einfach unters Volk, um das Angebot im Alltagsleben der Menschen so niedrigschwellig wie möglich zu halten.

Die Psychologin kann sich noch gut an ihre ersten Einsätze nach der Flut erinnern. "Wie kann ich helfen?" war jedes Mal ihre erste Frage, wenn sie in einen der betroffenen Orte kam. Vom Butterbrote schmieren bis Toiletten vom Schlamm befreien hat sie damals alles mitgemacht, was getan werden musste. Bald eilte ihr ihr Ruf voraus und es war klar: Musste eine Seele verarztet werden, gab es den schnellen Draht zu Sabine Elsemann. 

Die Flut hat diese Brücke im Ahrtal zerstört.

Die Flut im Juli 2021 hat im Ahrtal zahlreiche Brücken zerstört. Viele Schäden sind noch immer sichtbar.

Bild der Zerstörung

Jetzt, fast elf Monate nach der Flut, hat sich die Hilfe verändert. Wurden anfangs deutlich mehr praktische und materielle Hilfen wie Waschmaschinen oder Bautrockner benötigt, dominiert nun der Bedarf nach Gesprächen. Auch heute noch habe sich in vielen Orten das Bild der Zerstörung nur geringfügig verbessert und wiege immer noch schwer auf Seele und Psyche, sagt die Psychologin. Diese Last zu erleichtern, ist Sinn und Zweck ihrer Arbeit. Dass sie mit ganzem Herzen dabei ist, merken die Betroffenen schnell und geben gerne zurück. Wie ein mit einer Blume bemalter Flut-Stein, den ihr eine Betroffene mit den Worten geschenkt hat: "Das ist der Stein, den Du mir vom Herzen genommen hast. Und die Blume, das bist Du." Da kullerten selbst beim Seelenprofi die Tränen – aber diesmal des Glücks. 

Text: Sandra Fischer, Redaktion: Ilka Hahn, Fotos: Verena Bretz, Ulrich Christenn, Sandra Fischer, Frank Schultze/DKH

Ihr/e Ansprechpartner/in
Verena Bretz
Stabsstelle Politik und Kommunikation