Gottesdienste für mobile Teams
Es ist ein symbolträchtiger Ort, an dem die Fluthelferinnen und -helfer von Diakonie und Kirche entsandt werden: ein neonbeleuchtetes Zelt mit nackten Stahlträgern und provisorischem Bretterboden. Flatternde Gebläse-Tunnel leiten Wärme nach innen und durch die dünnen Wände dringen Stimmen herein – draußen wird die Essensausgabe vorbereitet.
Das Zelt fungiert kurzzeitig als Kirchenraum, denn in einem Gottesdienst entsenden hier Diakonie und Kirche offiziell ihre Mitarbeitenden der mobilen Teams. Bei diesem langfristig angelegten Projekt arbeiten die Diakonie RWL, Diakonie Katastrophenhilfe, die Evangelische Kirche im Rheinland und diakonische Einrichtungen vor Ort zusammen: In insgesamt neun Regionen sind sozial-diakonische und seelsorglich-psychosoziale Teams im Einsatz.
In den rheinland-pfälzischen Regionen Ahrtal und Trier/Eifel sind es 14 Mitarbeitende, in den NRW-Regionen Stolberg, Eschweiler, Euskirchen, Bonn/Voreifel, Erftstadt, Bergisches Land und Hagen/Sauerland derzeit 21 Mitarbeitende. Die Finanzierung sichern Spendenmittel, die Diakonie und evangelische Kirche nach der Flutkatastrophe erhalten haben.
Gute Stimmung im "Zeltgottesdienst": Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann bei seiner Ansprache in Bad Neuenahr.
"Bargeld alleine reicht nicht"
"Viele Betroffene benötigen jetzt Hilfe zur Selbsthilfe: Bargeld allein reicht oft nicht aus – die Menschen brauchen zusätzliche individuelle Begleitung", erklärt Diakonie-RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Die Mitarbeitenden der mobilen Teams beraten zum Beispiel beim Ausfüllen von Hilfeanträgen. Sie helfen dabei, Baugutachter zu finden, leiten durch den Behördendschungel und vermitteln die passenden diakonischen Angebote."
Sie hätten aber auch ein offenes Ohr für alle Sorgen und Nöte, betont der Theologe. Es gehe darum, erlebte Traumata zu verarbeiten und die schrecklichen Erfahrungen hinter sich zu lassen. "Hier steht die seelsorgliche Begleitung im Vordergrund."
Der rheinische Präses Thorsten Latzel skizzierte in seiner Predigt, warum die Hilfe oft noch nicht ankommt.
"Wasser steckt in Mauern und Seelen"
Zwar seien in den vergangenen vier Monaten Häuser, Straßen, Brücken und Leitungen wiederhergestellt worden. Dennoch fühlten sich viele Menschen alleine gelassen, betont der rheinische Präses Thorsten Latzel. In seiner Predigt erzählt er davon, dass Hilfe nicht ankommt, weil Menschen die Formulare nicht verstünden, die Heizung nicht gehe oder ihr Leben einfach nicht wieder in die Spur komme.
"Das Wasser steckt weiter in den Mauern – und in den Seelen." Deswegen würden jetzt "Flutengel 2.0" gebraucht: Menschen, die den Betroffenen helfen. Den Helferinnen und Helfern rief Latzel in Euskirchen zu: "Laufen Sie sich um Gottes und der Menschen willen die Hacken ab – ich zahle Ihnen gerne neue Schuhe."
Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, warnte vor weiteren Unwetterkatastrophen.
"Katastrophen werden zunehmen"
Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, stellt die Flut in einen globalen Zusammenhang: "Wir müssen uns alle auf stärkere und häufiger auftretende Katastrophen vorbereiten", sagt er. Der Klimawandel sei real und die katastrophalen Auswirkungen seien nun auch in Deutschland mehr ins Bewusstsein gerückt.
"Es wird einige Jahre dauern, bis die letzten Häuser wiederaufgebaut sind. Wir glauben aber daran, mit den uns anvertrauten Spendengeldern eine bessere Vorbereitung auf künftige Katastrophen leisten zu können."
Präses Thorsten Latzel segnet die mobilen Teams für ihren Einsatz in den Flutgebieten in NRW.
Applaus für die Helferinnen und Helfer
Bei den Mitarbeitenden der mobilen Teams, die an ihren diakonieblauen Jacken erkennbar sind, herrscht positive Aufbruch-Stimmung. Vielleicht schwingt auch ein bisschen Stolz mit. Sie bekommen in beiden Gottesdiensten lang anhaltenden Applaus, Angehörige machen Fotos.
Pfarrer Bernd Bazin, Seelsorger in Ahrweiler, berichtet, dass viele Betroffene sich erst jetzt seelisch dem Ausmaß der Zerstörung stellen können. Nach mehr als vier Monaten im Ausnahmezustand drohe die Überlastung der seelischen Selbstheilungskräfte. "Wir helfen den Menschen, ihre Lasten Schritt für Schritt loszuwerden", betont er.
Stephan Zöllner, Referent im Regionalteam der Diakonie Katastrophenhilfe, bestätigt das. "Wir fahren durch das gesamte Ahrtal und unterstützen zum Beispiel Senioren, die keinen Computer oder keine E-Mail-Adresse haben." Das Team verstehe sich als Vertrauensbotschafter der Diakonie. "Wir freuen uns auch, dass die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gemeinsam mit der Diakonie die Gemeinschaft in der Region verwirklicht."
Nadine Günther-Merzenich, Leiterin des Euskirchener Regionalteams, erzählte, mit welchen konkreten Problemen die Menschen zu ihr kommen.
Große Sorge vor dem Winter
Im Gottesdienst in Euskirchen nennt Nadine Günther-Merzenich, Leiterin des Euskirchener Regionalteams, Beispiele, mit welchen konkreten Fragen die mobilen Teams in NRW konfrontiert sind. "Wir helfen dabei, den richtigen Handwerker zu finden und Gelder zu beantragen, das Grundbuchblatt zu finden oder erklären, wo man seine Steuernummer anfordern kann."
Seelsorgerin Claudia Müller-Bück aus Swisttal ergänzt, die große Sorge der Menschen sei derzeit, wie sie über den Winter kommen. "Häufig sind die Wände der Wohnungen abgeschlagen, die Böden fehlen. Wir helfen zwar mit Heizgeräten, aber es ist eben kein richtiges Zuhause", erzählt sie. Da Schulen, Vereine, Arbeitsstätten und ganze Ortschaften betroffen seien, fehle den Menschen Stabilität, das Vertraute im Alltag.
"Als Seelsorger halten wir selbst das aus, was Menschen ihren Angehörigen nicht erzählen, weil sie meinen, stark sein zu müssen – wir halten selbst die größte Hoffnungslosigkeit aus. Aber dann überlegen wir gemeinsam, was früher in schwierigen Situationen geholfen hat und wie man der negativen Gedankenspirale entkommen kann."
Text: Ilka Hahn, Redaktion: Sabine Damaschke, Fotos: Frank Schultze/Diakonie Katastrophenhilfe