Notfallseelsorge im Ahrtal
"Von der Akutversorgung geht es jetzt in eine neue komplexe Lage", sagt Eberhard Hoppe. Der Pfarrer aus dem hessischen Lahn-Dill-Kreis hat im Auftrag der Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland von dem Containerdorf aus eine gute Woche lang die Kräfte im Einsatz koordiniert und begleitet. Auch für sie endet der Katastropheneinsatz.
Aber der Bedarf an Seelsorge endet nicht: "Wir haben gestern eine Familie beim Abriss ihres einsturzgefährdeten Hauses begleitet", erzählt Hoppe. Er berichtet von freiwilligen Helferinnen und Helfern, die nach wie vor im Ahrtal anpacken und die dabei auch mit dem Fund von Leichenteilen konfrontiert sind. Der Seelsorger weiß um einige Menschen – zumeist über 80 Jahre alt –, die in oberen Stockwerken ihres Hauses bleiben wollen, obwohl es weder Strom noch Wasser oder eine funktionierende Toilette gibt.
Containerdorf für 600 Wohnungslose
Wenn die Helferinnen und Helfer aus dem eilends errichteten Containerdorf in Mendig ausziehen, sollen dort 600 Menschen einziehen, die bei der Katastrophe im Ahrtal obdachlos geworden sind. Derzeit sind viele in Hotels in der Region untergekommen. Ob wirklich viele in die Wohncontainer ziehen wollen, bezweifeln manche Helfer.
Das Behelfsquartier liege noch weiter von den Orten, Grundstücken und Häusern entfernt. Aber dort wollten die Flutopfer nach wie vor sein, um wenigstens irgendetwas "daheim" tun zu können. Auch sie brauchen Menschen mit offenen Ohren, die zuhören, wenn sie von den schrecklichen Stunden am 14. und 15. Juli erzählen.
Pause machen vom Aufräumen und reden - Das hilft den Menschen in Bad Neuenahr.
Erzählen, immer wieder erzählen
Erzählen, immer wieder erzählen – das tun die Menschen dort, wo sie sich derzeit treffen. Auf dem Platz vor dem Kaufhaus Moses in Bad Neuenahr zum Beispiel. Dort betreibt das Technische Hilfswerk (THW) einen Stromgenerator. Nebenan stehen Tische eines geschlossenen Straßencafés. Hier können die Menschen ihre Handys aufladen. Strom hat die schwer verwüstete Innenstadt des vormals so idyllischen Kurorts an der Ahr nicht.
Ein Mann hat sich hundert Meter entfernt am Versorgungszelt der Evangelischen Kirchengemeinde einen Kaffee geholt. Pfarrer Friedemann Bach hat befreundete Pfadfinder aktiviert und diesen Treffpunkt geschaffen. Jetzt sitzt der Kaffeetrinker mit ein paar anderen Leuten neben dem Generator und erzählt von seinem fast nagelneuen Auto, das die Wassermassen hochkant bis an den 1. Stock eines Hauses gedrückt haben.
Sie steht noch, aber ist schwer beschädigt: Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr.
Verwüstung unter blauem Himmel
Auch an der schwer beschädigten Martin-Luther-Kirche, zwei Meter von der völlig aufgebrochenen Uferstraße der Ahr entfernt, sitzen ein paar Menschen in Arbeitskleidung, die Pause machen. Sie erzählen ihre Geschichten der Flutnacht. Ein Mann aus Andernach hilft Freunden. Er berichtet von lebensbedrohlichen Szenen, die sich in der Hochwassernacht in einer Klinik zugetragen haben.
Durch die zerstörte Einkaufsstraße neben der Kirche kommen zwei Männer. Auch sie sind in ein Gespräch über ihre Erlebnisse während der Flutnacht vertieft. Die Berichte der Menschen fügen sich beim Anblick der zerstörten und inzwischen in Erdgeschoß und Keller entkernten Wohn- und Geschäftshäuser in der Innenstadt zu einem verstörenden Bild – dem strahlend blauen Himmel über dem Kurhaus zum Trotz.
"Die Normalität muss jetzt vor Ort passieren." Den etwas sperrigen Satz sagt Notfallseelsorger Eberhard Hoppe. Was er meint: Für die Menschen im Ahrtal wird das Holen von Trink- und Brauchwasser an Ausgabestellen in ihren Orten noch länger Normalität sein, so wie das Laden des Handys dort, wo ein Generator steht. Und in dieser Normalität brauche es nicht nur helfende Hände, sondern auch offene Ohren.
Viele Menschen haben sich gegenseitig Trost gespendet, wie dieses Ehepaar in Bad Neuenahr. Doch es braucht auch ausgebildete Seelsorger, die länger für die Opfer der Flutkatastrophe da sind.
Freiwillige Seelsorger stehen parat
Für die Menschen in den betroffenen Regionen "gibt es ein Leben davor und ein Leben danach", sagt die Landespfarrerin für Notfallseelsorge, Bianca van der Heyden. "Ob jemand wirklich ein Trauma davongetragen hat, kann man erst nach Wochen, manchmal sogar erst nach Monaten feststellen." Aber entscheidend sei, den Menschen das Gefühl zu vermitteln: "Ich bin jetzt in Sicherheit und es gibt jemanden, der sich sicher um mich kümmert."
Das können die Seelsorgerinnen und Seelsorger aus den örtlichen Kirchengemeinden, die selbst vom Hochwasser schwer gebeutelt sind, wohl nicht ohne Unterstützung leisten - schon gar nicht über Wochen und Monate. Freiwillige Seelsorgerinnen und Seelsorger aus anderen Teilen der rheinischen Kirche stehen parat, um zu helfen, wo sie gebraucht werden, denn auch wenn der Katastropheneinsatz endet: Die Katastrophe bleibt – und die Kirche mit ihrer Diakonie bleibt bei den von ihr betroffenen Menschen.
Text und Fotos im Slider: Jens Peter Iven/ekir. Fotos im Artikel: Bernd Bazin, Jens Peter Iven/ekir und Hermann Bredehorst/Diakonie Katastrophenhilfe.
Zuhören, trösten, anpacken – Diakonie RWL-Interview mit Pfarrer Bernd Bazin aus Bad Neuenahr
Spenden und Fundraising
Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal sind nach neuen Erkenntnissen der Polizei 133 Menschen ums Leben gekommen. Zwei weitere Menschen haben sich den Angaben zufolge das Leben genommen. 766 Menschen wurden bei der Flutkatastrophe verletzt, rund 42.000 sind von den Folgen betroffen. (dpa)
Am 28. August laden die beiden großen christlichen Kirchen zu einem Gedenkgottesdienst für die Opfer der Hochwasserkatastrophe nach Aachen ein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Fank-Walter Steinmeier werden teilnehmen. Der Gottesdienst wird im Fernsehen übertragen.