Tag der Pflege 2024
Janis Kischkies versprüht gute Laune und Leichtigkeit. Der 39-Jährige möchte den Bewohnerinnen und Bewohnern im Heinrich-Held-Haus in Essen vor allem eine gute Zeit bereiten. So wie damals den Restaurant-Gästen in Warnemünde, in der Nähe seiner Heimat Rostock, wo er in verschiedenen Läden als Servicekraft gearbeitet hat. Nun lebt der Norddeutsche schon eine Weile in Essen. Und sein Job als Altenpflegefachkraft macht ihn weitaus glücklicher als die vermeintlich heile Urlaubswelt.
Herr Kischkies, wie viele Jahre in der Gastronomie haben Sie hinter sich?
Janis Kischkies: So ziemlich genau 16 Jahre. Meine Ausbildung zum Restaurantfachmann habe ich in einem tollen Laden in Warnemünde begonnen. Später habe ich mich weiter fortgebildet und in verschiedenen Restaurants in Rostock gearbeitet.
Hört sich gut an. Warum ein Wechsel?
Kischkies: Es war wirklich eine schöne Zeit. Aber irgendwann kam der Punkt, da war ich einfach fertig mit der Gastronomie. Die Sommer über habe ich fast drei Monate durchgearbeitet, hatte ganz selten frei. Am Ende war ich einfach kaputt. Ein Cut musste her. Für die Liebe habe ich den Schritt gewagt, bin nach Essen gekommen. Das ist jetzt acht Jahre her. Ich wollte unbedingt etwas anderes machen, auf keinen Fall mehr Gastronomie. Aber trotzdem weiterhin mit Menschen arbeiten. Gestartet bin ich mit einer Weiterbildung zum Alltagsbegleiter.
Wie sind Sie zum Heinrich-Held-Haus gekommen?
Kischkies: Das Heinrich-Held-Haus habe ich bei der Weiterbildung kennengelernt und später hier die Ausbildung zum Altenpflegehelfer gemacht. Es lief so gut, dass ich sie auf ein Jahr verkürzen konnte. Jetzt bin ich schon fünf Jahre in dieser besonderen Einrichtung, in der sowohl Menschen mit Behinderung als auch psychisch erkrankte Menschen leben. Alle meine stationären Praktika habe ich hier absolviert. Seit mittlerweile zwei Jahren arbeite ich als Altenpflegefachkraft und bin zusätzlich noch Praxisanleiter. Es macht mir Spaß, den Azubis mein Fachwissen und meine Erfahrung weiterzugeben.
Im Frühdienst kommt Janis Kischkies gegen 6.20 Uhr an und kocht zuerst Kaffee für die Bewohner*innen und seine Kolleg*innen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Kischkies: Meistens komme ich gegen 6:20 Uhr und koche als allererstes für die Bewohner*innen und für meine Kolleg*innen Kaffee. Um einen Überblick der letzten Schicht zu bekommen, schaue ich ins Übergabebuch. Dann bereite ich alles vor, etwa Medikamente, und gehe zur Übergabe. Die ist zwischen 6:45 Uhr und 7:00 Uhr. Hier erfahren wir, was im gestrigen Spät- und Nachtdienst vorgefallen ist und teilen uns ein. Danach starten wir mit der Versorgung der Bewohner*innen. Die ist ganz individuell und abhängig von den jeweiligen Pflegegraden: Den einen hilft man beim Aufstehen. Andere wiederum brauchen vielleicht nur etwas Unterstützung beim Kompressionsstrumpf. Im Prinzip sind wir für die komplette Grundversorgung verantwortlich: Dazu zählt Bewohnende zu waschen genauso wie beim Essen anreichen zu helfen, Betten zu beziehen und alle Hilfsmittel, die sie zum Leben brauchen, instand zu halten. Das gefällt mir an meinem Job.
Gespräche mit Ärzten, die Beantwortung von Mails und Medikamentenbestellungen sind ebenfalls Teil meines Alltags. Und vor allem auch: Eine schöne Zeit mit den Bewohner*innen zu verbringen. Wenn ich um 14:00 Uhr das Haus verlasse – es kann auch schon mal eine Stunde später werden – dann weiß ich, was ich getan habe.
Welche Eigenschaften braucht man? Wie sieht der perfekte Pfleger aus?
Kischkies: Es gibt nicht den perfekten Pfleger. Wir machen alle Fehler. Ich denke, es ist die Mischung im Team, die die stationäre Pflege ausmacht. Teamfähigkeit ist vielleicht das Wichtigste. Und dass man nicht vorurteilsbehaftet ist. Selbstreflexion ist auch wesentlich: Dass man, was ich persönlich oft mache, auf den Tag schaut und sich selber hinterfragt. Empathie ist ebenso ein Muss. Wir greifen ja stark in die Privatsphäre der Bewohnenden ein. Da braucht man eine gute Basis, ein gutes Verhältnis. Auch Authentizität ist wichtig.
Was glauben Sie, wie man die Pflege von außen betrachtet?
Kischkies: Fäkalien beseitigen und die Menschen waschen – das ist, denke ich, die einhellige Meinung der meisten, die keinen Kontakt zur Pflege haben. Dabei ist der Job wirklich sehr breit gefächert. Natürlich sind wir auch für die Pflege da. Aber das ist eben nicht der Hauptbestandteil! In erster Linie sind wir die gute Seele. Wir sind Seelsorger! Wir sind die helfende Hand! Wir sind einfach da! Wir hören zu und reden, auch über die eigenen Gefühle. Es ist wirklich ein toller, vielseitiger Beruf. Man hat mit verschiedenen Krankheitsbildern zu tun, kommuniziert mit Ärzten und anderen Berufsgruppen, kann auf eine ganz spezielle Art den Menschen helfen. Es ist ein intensiver Kontakt – keine kurzfristige Begegnung – eher eine Art Zusammenleben.
Wann immer es möglich ist, nimmt sich Janis Kischkies die Zeit und spielt Gesellschaftsspiele mit den Bewohner*innen.
Aber man hört doch ständig, dass in der Pflege eigentlich kaum Zeit für die Menschen bleibt.
Kischkies: Was heißt denn keine Zeit? Wieviel Zeit braucht es, um den Leuten gut zu tun? Manchmal reichen fünf Minuten. Ich denke, es kommt auf die Qualität an, nicht auf die Quantität. Auch eine kurze Zeit kann intensiv sein. Natürlich braucht es eine vernünftige Zeiteinteilung und man muss Unterschiede machen: Ein Frühdienst ist im pflegerischen Aufwand höher als ein Spätdienst. In einem Spätdienst im Nachmittagsbereich kann man sich mal hinsetzen und einen Kaffee mit den Bewohner*innen trinken. Da gibt es auch Tage, da spielt man einfach zwei Stunden lang "Mensch ärgere dich nicht" mit ihnen. Die Zeit muss man sich nehmen. Umgekehrt gibt es natürlich auch Tage, da flitzt man durch die Gänge. Da hat man weniger Zeit.
Stichwort Fachkräftemangel: Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sich mehr Menschen für den Beruf entscheiden?
Kischkies: Ich finde, dass die Pflege in den Medien besonders schlecht dargestellt wird. Der Fachkräftemangel trifft doch nicht nur uns, sondern alle Berufsgruppen. Ich sehe es als meine Aufgabe, Berufsneulingen, die bei uns hospitieren oder ihre Ausbildung machen, zu zeigen, dass der pflegerische Anteil eher gering ist. Und dass die Zusammenarbeit und das Zusammenleben mit den Bewohner*innen einen viel größeren Teil darstellt. Ich glaube ganz fest, dass viele Neueinsteiger*innen, die hierherkommen, auch bleiben, wenn sie sehen, was man leistet, wieviel Spaß man haben kann und vor allem: Wie man Menschen auf einem hohen Niveau helfen kann.
Aber warum ist der Beruf für so viele so unattraktiv?
Kischkies: Wir sind in einem Lebensabschnitt für Menschen da, wo das Ende abzusehen ist. Wir haben mit Tod und Sterben zu tun. Vielleicht können das viele nicht, sich damit auseinandersetzen. Und wir greifen durchaus in die Privatsphäre anderer Menschen ein: Ekel und Schamgrenzen – auch damit kommen wir in Berührung. Für viele ein Tabu.
Unschöne Momente gehören auch dazu?
Kischkies: Sicherlich! Wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner von uns geht, ist das nie schön. Allgemein der Umgang mit Tod und Sterben – das sind alles keine tollen Momente. Das ist wirklich das Schwierige an diesem Beruf. Aber ich habe für mich ein Ritual entwickelt: Ich verabschiede mich immer noch persönlich, gehe alleine aufs Zimmer, wenn der Leichnam noch da ist, und richte ihn ein letztes Mal her. So wird es dann für mich wieder zu einem "guten" Moment: Wenn ich ganz genau weiß, ich konnte die Person ein letztes Mal für sich selbst und ihre Angehörigen schön machen.
Janis Kischkies schätzt an seinem Beruf besonders den Austausch und den Kontakt mit verschiedenen Menschen.
Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Pflege ändern?
Kischkies: Ich würde es begrüßen, wenn in Deutschland eine pflegerische Diagnose stärker wertgeschätzt würde. Dass wir noch mehr Mitspracherecht hätten. Wir sind so dicht dran an den Menschen, kennen sie viel besser, und dennoch sind wir so abhängig von der ärztlichen Diagnose. In anderen Ländern ist das anders, etwa in Finnland, Amerika oder Großbritannien. Dort hat die pflegerische Einschätzung denselben Stellenwert wie eine ärztliche Diagnose. Ich sehe doch, dass jemand krank ist und dass er Fieber hat – da muss ich nicht noch auf den Arzt warten. Doch solange der sich nicht zurückmeldet, kann ich als Pfleger oftmals gar nicht adäquat handeln.
Wollen Sie eigentlich irgendwann wieder zurück in Ihre Heimat?
Kischkies: Ja, Rostock ist meine Heimat, aber Essen ist mein Zuhause. Ich komme gerne nach Rostock, um meine Familie zu sehen, um Urlaub zu machen. Aber ich möchte dort nicht mehr leben. Ich mag die Mentalität der Menschen hier. Pott ist Pott! Mittlerweile habe ich mir einen Mix aus meinem norddeutschen Dialekt und 'watt' und 'datt' angeeignet. Ich bin glücklich in Essen und möchte bleiben – gerade auch hier im Haus.
Das Gespräch führte Kathrin Michels, Fotos: Maya Claussen.