Nach der Flut
Viele Tränen sind geflossen, aber schöne Momente gab es auch: Lachen, Umarmungen, zahlreiche intensive Gespräche. Wenn die Mitarbeitenden der Regionalteams der Hochwasserhilfe der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL) sich an die zurückliegenden, inzwischen mehr als 25 Monate erinnern, fallen ihnen viele Situationen ein, die sie beglückt haben. „Aber oft haben wir uns auch hilflos gefühlt“, erinnert sich Pfarrerin Claudia Müller-Bück.
Die Superintendentin im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel war zum Zeitpunkt der Flut Pfarrerin im stark von der Katastrophe betroffenen Heimerzheim und gehörte selbst bis Sommer 2022 zum Fluthilfe-Regionalteam in der Voreifel. Nun hat sie gemeinsam mit Pfarrer Ulrich Christenn, Leitung Zentrum Drittmittel und Fundraising der Diakonie RWL, zum Gottesdienst in die Rheinbacher Gnadenkirche eingeladen, um allen Beteiligten Danke zu sagen. Darunter Teams aus Euskirchen, Hagen, Stolberg, Düsseldorf und aus dem Ahrtal sowie Vertreter der Diakonie Katastrophenhilfe in Berlin und Christoph Pistorius, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Pfarrer Ulrich Christenn segnet in der Rheinbacher Gnadenkirche die Mitarbeitenden der Fluthilfeteams.
Mit Gottes Segen
"Wir alle sind damals in eine Aufgabe hineingestellt worden, die sich vorher niemand von uns hätte denken können", betont Ulrich Christenn, der unmittelbar nach der Katastrophe die umfangreichen Unterstützungsangebote der Hochwasserhilfe der DKH RWL mitaufgebaut und koordiniert hat. "Eine Aufgabe, die wir uns als Angestellte diakonischer Träger niemals hätten vorstellen können. Aber mit Kraft, Geduld und manchmal auch Verzweiflung haben wir viel bewegen können. Gott segne unseren Weg zurück und alle Schritte nach vorn, die noch kommen werden", so Christenn weiter.
An vier Stationen in der Kirche konnten die Gottesdienstbesucher innehalten. Anette Becker vom Fluthilfeteam Hagen zündet eine Kerze an.
Vier Stationen
Die ersten dieser Schritte machten die Fluthelferinnen und Fluthelfer in der Gnadenkirche: Auf einem kleinen Rundweg konnten sie an vier Stationen innehalten und entweder einen Stein als Klage oder eine Rose als Dank ablegen, eine Kerze als Bitte anzünden oder als Symbol für den Blick zurück ein wenig Sand durch ihre Finger rinnen lassen. "Ich habe eine Kerze angezündet", erzählt Franziska Schmitz aus dem Fluthilfeteam Stolberg. "Denn ich wünsche mir die Kraft und den Optimismus, den betroffenen Menschen auch weiterhin die bestmögliche Unterstützung zu geben."
Oliver Souvignier und Franziska Schmitz sind als Fluthilfe-Tandem in Stolberg unterwegs, um Betroffene zu unterstützen
"Wir müssen losgehen"
Im September ist die zweite Projektphase der Hochwasserhilfe gestartet. Die meisten Teammitglieder bleiben, einige kehren wieder in ihre vorherigen Arbeitsbereiche zurück, andere kommen neu hinzu. So auch Oliver Souvignier. Der gebürtige Stolberger studiert in Aachen Soziale Arbeit. Während seines sechsmonatigen Praxissemesters wird er Franziska Schmitz im Regionalteam Stolberg begleiten. "Ich bin begeistert von den vielen motivierten und pragmatischen Menschen, die ich bislang kennengelernt habe", sagt er. "Gleichzeitig bin ich geschockt, wie sehr die Fluterlebnisse die betroffenen Menschen noch immer im Griff haben und deren Leben bestimmen."
Vor Beginn seines Praktikums habe er sich die Frage gestellt, ob es in der Fluthilfe für ihn überhaupt noch genug zu tun gäbe – mehr als zwei Jahre nach der Katastrophe. "Aber ich habe ganz schnell begriffen, dass die Menschen uns immer noch – und teilweise erst jetzt – richtig brauchen, dass wir losgehen müssen, raus zu den Leuten, um sie zu unterstützen", sagt er.
Vizepräses Christoph Pistorius dankte den Fluthilfeteams im Namen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Verlässlich und kompetent
Raus zu den Leuten, das war von Beginn an eine der wichtigsten Aufgaben der Regionalteams der DKH RWL. "Laufen Sie sich um Gottes und der Menschen Willen die Hacken ab", erinnerte der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Christoph Pistorius, in der Gnadenkirche an die Worte von Präses Thorsten Latzel. Mit jenem Appell hatte dieser die Teams im Sommer 2021 in die Flutgebiete geschickt. "Ihre blauen T-Shirts wurden bald zum Türöffner und zum Erkennungszeichen verlässlicher und kompetenter Hilfe", so Pistorius weiter. "Es war ein besonderes Kennzeichen Ihres Auftrags, hinzugehen und Menschen aufzusuchen in ihrer Not, sie persönlich anzusprechen und ihnen Unterstützungsangebote nahezubringen. Mit Blick auf diesen Auftrag kann man heute mit Fug und Recht sagen: Sie haben sich die Hacken abgelaufen", dankte Pistorius im Namen Landeskirche.
Pfarrer Ulrich Christenn übermittelte in seiner Predigt die Botschaft: "Nach der Sintflut geht es weiter!"
Gemeinschaften stärken
Pfarrer Ulrich Christenn beschäftigte sich in seiner Predigt mit dem Element Wasser in verschiedenen Kirchenliedern: Wasser als Symbol für Fruchtbarkeit. Wasser, das glitzert, strömt und strahlt. Er fragte: "Können wir den Menschen, die die Flut erlebt haben, solche Lieder überhaupt noch zumuten? Funktioniert das Symbol Wasser noch?" In diesem Zusammenhäng deutete er auch die Geschichte der Sintflut. Mit Noah im Mittelpunkt als die Person, die Resilienz entwickelt und sich auf die Katastrophe vorbereitet habe. "Lasst auch uns unsere sozialen Gemeinschaften stärken und uns gemeinsam auf mögliche künftige Katastrophen vorbereiten", so Christenns Botschaft. Denn mit dem Spruch "nach uns die Sintflut" verbinde er weniger Resignation als vielmehr die Hoffnung: "Nach der Sintflut geht es weiter!"
Beim gemeinsamen Essen nach dem Gottesdienst wurde viel gelacht.
Treffen als Motivation
Auch für Elke Feuser-Kohler und Olga Fix vom Bonner Fluthilfeteam geht es weiter: "Aus so einem Treffen wie heute ziehen wir viel Motivation. Erst gestern sind wir mehr als zwei Stunden lang von Haustür zu Haustür gegangen und haben den Menschen Unterstützung angeboten", erzählt Olga Fix. "Viele Betroffene denken, dass sie die Erlebnisse rund um die Flut verarbeitet haben. Aber in unseren Gesprächen zeigt sich schnell, dass das ein Trugschluss ist."
Bei ihr und ihren Kolleginnen habe sich nach zwei Jahren eine "positive Routine" entwickelt: "Zu Beginn wussten wir ja gar nicht, was kommt – mittlerweile haben wir viel Erfahrung sammeln können – obwohl jeder Fall für sich betrachtet einzigartig ist." Ebenso einzigartig wie die Dankbarkeit der Menschen. Elke Feuser-Kohler: "Die zu spüren ist jedes Mal aufs Neue wieder schön."
Text und Fotos: Verena Bretz