Zwei Jahre nach der Flut
Familien, die auf dem Dachboden kauernd die steigenden Wassermassen beobachten. Autos, Verkehrsschilder und Häuser, die wie Spielzeug von der Flut mitgerissen werden. Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung an Bäumen festklammern. In den Köpfen der Menschen, die die Flut am 14. und 15. Juli 2021 erlebt haben, sind die Erinnerungen an die Katastrophe noch immer lebendig. Ihre Gegenwart ist darüber hinaus häufig geprägt von finanziellen Sorgen, Erschöpfung und der großen Unsicherheit, ob und wie es weitergeht mit dem Wiederaufbau. "Allmählich kommt man zur Ruhe, der Aktionismus weicht einer gewissen Leere", erzählt etwa Christian Kniel. Er lebt im Ahrtal und ist so gut wie fertig mit dem Wiederaufbau seines Hauses. Viele Nachbarn hingegen seien weggezogen. "Aber ich bin hier geboren, und für mich war jederzeit klar: Ich will hier nicht weg." Der Webdesigner und Vater zweier Kinder war einer der ersten Betroffenen, die die DKH RWL mit Spendengeldern aus der Förderlinie Wiederaufbauhilfe unterstützen konnte. "Diese Unterstützung hat mir Mut gemacht, durchzuhalten. Dafür bin ich sehr dankbar."
Anneliese Baltes (li.) aus Mayschoß leitet seit 25 Jahren Jugendprojekte im Ort. Sie unterhält sich mit Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke und Martin Keßler, Direktor der DKH, über die Zukunft des Ortes im Ahrtal.
Umfassende Unterstützung
"Solche Erfolge zeigen, dass die Spenden dort ankommen, wo sie benötigt werden", sagt Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL. Dennoch habe sie nicht erst während der Reise erkennen müssen, dass der Wiederaufbau in vielen Orten noch stockt und gerade erst beginnt. "In einigen Regionen habe ich den Eindruck, dass sich in zwei Jahren kaum etwas getan hat." Deshalb sei es weiterhin wichtig, dass die Mitarbeitenden der mobilen Fluthilfeteams der DKH RWL die Betroffenen persönlich ansprechen und ihnen umfassende Unterstützung anbieten. "Was die Teams hier vor Ort leisten, ist beeindruckend und emotional extrem fordernd", sagt Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe.
Marc Bartholomies (re.) zeigt der Reisegruppe um Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke (links) die zerstörten Wohnräume im Keller seines Hauses in Erftstadt-Blessem.
"Ausgebrannt und platt"
Zu den Menschen, die noch nicht in ihr Zuhause zurückkehren können, gehört etwa Marc Bartholomies. Das Haus seiner Familie in Erftstadt-Blessem ist auch zwei Jahre nach der Flut noch unbewohnbar – kein Fußboden, keine Decke, kein Putz an den Wänden. Das Wasser hat den kompletten Keller, der als Wohnbereich ausgestattet war, geflutet. "Weil wir das Haus nach der Flut acht Tage lang nicht betreten durften, bildete sich Schimmel, der sich dann auch im Erdgeschoss verbreitet hat", berichtet Bartholomies. Die Wohnung im rund 20 Kilometer entfernten Hürth, die als Übergangslösung gedacht war, ist seitdem das Zuhause der Familie. "Ich bin ausgebrannt und platt", so der Familienvater weiter, der im Wasser Erinnerungen wie seine Modelleisenbahn und sämtliche Fotos seiner Kindheit und Jugend verloren hat. "Das alles ist für immer weg. Und was mich zusätzlich belastet: Zwei Jahre nach der Flut stehen wir immer noch ganz am Anfang, das hätte ich nie gedacht."
Probleme mit der Gebäudeversicherung verzögern den Wiederaufbau seines Hauses. Bevor das nicht geklärt sei, könne er auch den Antrag beim Land nicht stellen, so Bartholomies weiter. "Wenigstens konnte ich nun bei der DKH RWL Haushaltsbeihilfe beantragen, um Teile des Hausrats neu zu kaufen", sagt er. Mindestens genauso wichtig wie die finanzielle Unterstützung sei für ihn aber der seelische Halt, den ihm Fluthilfeberaterin Andrea Schnackertz vom mobilen Team in Erftstadt gebe. Batholomies: "Die einzige Konstante in meinem Leben ist momentan der Gesprächstreff des Fluthilfeteams. Den Termin verpasse ich eigentlich nie."
Ana Paula Saraiva Goncalves Da Silva (re.) wartet immer noch auf Handwerker. Unterstützt wird sie von Angelika Obinwanne (li.) vom Fluthilfeteam im Ahrtal.
Handwerker fehlen
Auch Ana Paula Saraiva Goncalves Da Silva aus Bad Neuenahr-Ahrweiler im Ahrtal betont den Wert der psychosozialen Begleitung durch die mobilen Fluthilfeteams. "Es gibt so viele Dinge, die man bedenken muss. Für mich ist das fast alles gar nicht zu bewältigen, da ist es wichtig, dass da eine Person ist, die einen immer wieder motiviert, die zuhört und beruhigt." Ihre Familie wird von Angelika Obinwanne aus dem Fluthilfeteam im Ahrtal begleitet. "Eine Nachbarin hat mir den Tipp gegeben", sagt Da Silva. "Frau Obinwanne unterstützt uns auch bei den Anträgen, denn auf Deutsch zu schreiben fällt mir nicht leicht. Mit ihr zusammen ging aber alles ganz schnell." Von der Diakonie Katastrophenhilfe RWL hat die Familie bereits Spendengelder aus sämtlichen Förderlinien bekommen. Nun wartet sie auf Handwerker. "Einige waren schon hier, haben versprochen, Angebote zu schreiben – aber seitdem sind schon wieder drei Monate vergangen."
Florian Seiffert (Mi.) aus Kreuzberg im Garten seines Hauses, das von der Flut zerstört wurde.
In Vergessenheit geraten
Florian Seiffert, zweifacher Familienvater aus Kreuzberg im Ahrtal, hat das Erdgeschoss und den Keller seines Hauses nach der Flut selbst entkernt, unterstützt von ehrenamtlichen Helfern. Probleme mit Gutachtern verzögerten einen schnellen Wiederaufbau, nun ist aber alles so gut wie fertig, nur die Fassade muss noch gemacht werden. Sogar eine Wärmepumpe konnte eingebaut werden. "Mit Öl dürfen wir in dieser Zone nicht mehr heizen", erklärt er. Was ihn und seine Frau besonders belastet: "Wir sind hier alle ein bisschen in Vergessenheit geraten. Die meisten denken, dass alles wieder in Ordnung sei. Dabei gleicht der Wiederaufbau eher einem Flickenteppich. Wir hangeln uns hier so durch und versuchen, ein Problem nach dem anderen aus dem Weg zu schaffen." Umso wichtiger sei es, dass Organisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe die Menschen immer wieder darauf aufmerksam machten, dass es Unterstützung gebe – sowohl finanziell als auch psychosozial. "Dafür sind wir alle dankbar", so der 50-Jährige.
Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke mit DKH-Fluthilfekoordinator Markus Koth.
Fluthilfeteams bleiben
"Es ist schön zu sehen, wie weit die Unterstützung unserer mobilen Fluthilfeteams und der Einsatz von Spendengeldern viele betroffene Menschen in den Flutregionen schon voranbringen konnte", sagt Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke. "Während der Reise wurde aber leider auch ganz deutlich, dass viele seelische Wunden längst nicht verheilt und die Schäden an Häusern und Wohnungen teilweise noch enorm sind. Auch wenn die Flut zwei Jahre nach der Katastrophe nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, dürfen wir die Menschen nicht vergessen. Unsere Hilfe wird noch lange benötigt, sowohl finanziell als auch psychosozial. Deshalb bleibt die Diakonie Katastrophenhilfe RWL vor Ort, solange sie gebraucht wird."
Text und Fotos: Verena Bretz