100 Tage Hochwasserhilfe
Hundert Tage nach dem Jahrhundert-Hochwasser ist der Schutt in vielen Innenstädten zur Seite geräumt. Straßen und Brücken können befahren werden. Und es scheint wieder so etwas wie Alltag möglich zu sein. Dennoch wird es Jahre dauern, bis Betroffene wieder in ein normales Leben zurückkehren können, bis die Infrastruktur in ihren Städten und Gemeinden wieder steht. Deshalb bleibt die Diakonie − mindestens für die nächsten 600 Tage.
"Die Menschen in den Regionen brauchen unsere Unterstützung", zieht Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke eine erste Zwischen-Bilanz. "Nicht nur jetzt und in den nächsten Monaten, sondern über Jahre hinweg." In Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz hat der Wiederaufbau gerade erst begonnen. In vielen Orten ist noch nicht klar, welche Häuser wieder errichtet werden können und wer dafür aufkommt.
Nothilfe-Koordinator Tommy Bouchiba (links, hier mit Ulrich Christenn) war für die Fluthilfe in NRW und Rheinland-Pfalz unterwegs. Jetzt ist er auf dem Weg nach Polen, um dort die Hilfe für Geflüchtete zu strukturieren.
Mehr als nur finanzielle Unterstützung
"Bereits in den ersten Tagen nach dem Hochwasser war klar: Wir wollen den Menschen ganzheitlich helfen und nicht nur Geld geben", sagt Ulrich Christenn, Leiter des Zentrums Fundraising. 3,2 Millionen Euro hat die Diakonie an Soforthilfen ausgezahlt, rund 7.000 Haushalte wurden erreicht. Dabei geht es nicht nur ums Geld: Ob in Stolberg, im Ahrtal oder in Swisttal – die Mitarbeitenden der Diakonie haben ein offenes Ohr für alle Nöte.
"Viele haben hier das Urvertrauen verloren", erzählt Christiane Reiferscheid von der Gemeindenahen Sozialarbeit des Diakonischen Werks Bonn und Region. "Sie bekommen bereits bei leichtem Regen Angst." Reiferscheid führte allein in den ersten Wochen nach der Flut 120 Gespräche. Viele Menschen sind schwer traumatisiert. Immer wieder über die Erlebnisse zu reden, ist wichtig. In neun Regionen ist die Diakonie mit mobilen Teams unterwegs, die psychosozial geschult sind und denen ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin der Evangelischen Kirche im Rheinland angehört.
"Das ist nur ein Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen Diakonie Katastrophenhilfe, lokalen diakonischen Einrichtungen, der evangelischen Kirche im Rheinland und der Diakonie RWL", betont Kirsten Schwenke. Durch die gute Infrastruktur und Vernetzung erreichten Kirche und Diakonie alle betroffenen Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. "Und die Menschen können in den ihnen vertrauten Einrichtungen Unterstützung bekommen."
Wo gibt's Unterstützung: Elke Eumann, Gemeindeleiterin in Bad Neuenahr, berät im Gemeindezentrum zu Anträgen, Versicherungen und Haushaltsbeihilfen der Diakonie.
Beratung auch bei den staatlichen Anträgen und dem Wiederaufbau
Bislang hat die Diakonie RWL rund ein Drittel der eingegangenen Spendengelder ausgegeben oder fest verplant. "Schon jetzt ist klar, dass Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in ihren Wiederaufbauhilfen nur 80 Prozent der Schäden erstatten", sagt die Diakonie RWL-Vorständin. "Die verbleibenden 20 Prozent sind für viele Menschen nicht allein zu stemmen." Hier werden Diakonie Katastrophenhilfe und Diakonie RWL finanziell unterstützen. Auch beim Stellen der Anträge steht die Diakonie an der Seite der Betroffenen.
In den diakonischen Beratungsstellen wird zuerst geschaut, was die Versicherungen übernehmen, um dann einen Antrag beim Land zu stellen. "Außerdem verweisen wir auf unsere Haushaltsbeihilfen für eine neue Einrichtung." Bisher sind etwa 620 Anträge eingegangen. Bis zu 5.000 Euro erhalten Betroffene, um zumindest einen Teil der zerstörten Möbel oder Geräte zu ersetzen.
Geplant ist auch die Beratung beim Wiederaufbau. Menschen, deren Häuser zerstört wurden, können sich mit Statikern und Bauexperten austauschen, ob und wie ein Wiederaufbau aussehen kann. "Nach dem Verteilen von Bautrocknern im Wert von rund einer Million Euro ist das für uns der nächste konsequente Schritt", erklärt Ulrich Christenn.
Wärme aus dem roten Container: In Mayschoß im Ahrtal wurde ein mobiler Heizcontainer an ein stark zerstörtes Mehrfamilienhaus geschlossen.
Winterhilfe startet
Grau und regnerisch – ein Blick aus dem Fenster zeigt, was aktuell die größte Herausforderung für die Hochwasserhilfe ist. Es kann in einigen Regionen zu Engpässen bei der Wärmeversorgung kommen. Gemeinsam mit der Diakonie Katastrophenhilfe hat die Diakonie RWL deshalb ihr Wärmeprojekt gestartet. 150.000 Euro wurden für mobile Heizgeräte und 120.000 Euro für Heizöl ausgegeben. Die mobilen Strom-Heizungen können direkt angeschlossen werden, das Heizöl hingegen ist für die mobilen Heizstationen gedacht, die durch die betroffenen Kreise ausgegeben werden.
"Das sind erst einmal nur provisorische Lösungen, um durch den Herbst und Winter zu kommen", betont Christenn. Es brauche noch Zeit, bis die Infrastruktur überall wieder aufgebaut werde. Umso wichtiger sei es, dass die Menschen keine falsche Scheu zeigten, Hilfen anzunehmen. Egal ob es um Heizungen, Wiederaufbauhilfen oder eine psychosoziale Beratung gehe. "Ich erlebe häufig, dass Betroffene Unterstützung ablehnen, weil sie meinen, dass es anderen schlechter gehe. Aber auch ein abgesoffener Keller kann existenzielle Probleme mit sich bringen." Fest steht: "Auch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren gehen wir auf die Menschen zu und bieten gezielt Hilfe an."
Text: Ann-Kristin Herbst, Fotos: Frank Schultze/DKH, Jörg Stroisch/DKH, Ulrich Christenn/Diakonie RWL.