Freizeitzentrum Ittertal
Es sind 21 Grad, im alten 50-Meterbecken verfeinert ein Schwimmer seine Kraultechnik. Nebenan breitet eine Mutter auf dem kurz geschorenen Rasen die Handtücher für ihre beiden Kinder aus, die im Nichtschwimmerbecken mit dem flüssigen Element üben. Im Freizeitzentrum Ittertal in Solingen-Wald scheint gerade die Sonne, im Schatten fließt ruhig die Itter im Bergischen Land. Hier im Tal steht auf einer Fläche von mehr als drei Fußballfeldern ein Freizeitzentrum, das seit 1916 existiert – dank engagierter Menschen.
Christian Gundlack ist Geschäftsführer des Fördervereins Ittertal e. V. und kümmert sich zusammem mit sechs anderen ehrenamtlichen Vorsitzenden und zahlreichen Helfer*innen um den Erhalt des 6.000 Quadratmeter großen Freizeitzentrums Ittertal mit unter anderem Freibad, Eislaufbahn und Beachvolleyballfeldern.
Vom Tech-Riesen zum ehrenamtlichen Geschäftsführer
Christian Gundlack war nach seinem Vorruhestand im vergangenen Jahr auf der Suche nach einer erfüllenden Tätigkeit. Früher hat Gundlack über 36 Jahre für den Tech-Riesen Telekom gearbeitet und beispielsweise Telekom Shops und Infrastrukturprojekte gemanagt. Seit einem Jahr ist der 56-jährige Geschäftsführer und stellvertretende Vorsitzender des Fördervereins Ittertal e. V. Heute kümmert er sich mit sechs anderen ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern des Vereins, sieben festen Mitarbeitenden und 13 Helfer*innen, unter anderem um das Freizeitzentrum.
Von Beachvolleyball über Schwimmbad bis Eislaufbahn
Das drei Hektar große Grundstück, das der Förderverein seit 2009 von der Stadt Solingen gepachtet hat, bietet zahlreiche Freizeitmöglichkeiten: Beachvolleyball und Beachhandball, Grillplätze für Partys, Kicker, Tischtennisplatten, einen Basketballkorb, einen neuen Matschspielplatz für die Kleinen, zwei Schwimmbecken, einen Tauch-Club, einen Boule-Club, ein Restaurant namens Quitte und eine Eislaufbahn. All diese Freizeitmöglichkeiten, die besonders in der Pandemie unter freiem Himmel begehrter denn je waren, kosten etwas. Nicht nur ehrenamtliches Engagement, sondern vor allem auch sehr viel Geld! Der Förderverein finanziert sich über den Verkauf von Eintrittskarten und Spenden seiner etwa 100 Fördermitglieder. Doch das reicht auf Dauer nicht mehr aus.
Thomas Czeckay ist seid 40 Jahren Schwimmmeister – 30 Jahre davon im Freibad des Freizeitzentrums.
Inflation, Tarifsteigerungen, hohe Energie- und Wasserkosten
Die Inflation und die Verknappung von Rohstoffen haben zum Beispiel die Kosten für die Chemikalien, die für den Schwimmbadbetrieb benötigt werden, explodieren lassen. Das berichtet Thomas Czeckay, der seit 40 Jahren Schwimmmeister ist, 30 Jahre davon im Ittertal. Gundlack und Czeckay sehen besorgt aus. "Allein das Wasser für die beiden Schwimmbecken für eine Saison kostet etwa 62.000 Euro", so der Geschäftsführer. "Und das sind Kosten, die bei uns in dieser Höhe erst seit diesem Jahr anfallen und zum laufenden Betrieb On-top dazukommen." Zuvor konnte das günstigere Brunnenwasser auf dem Gelände des Freizeitzentrums genutzt werden. Das sei aber aktuell nicht mehr möglich, sodass für beide Schwimmbecken (drei Millionen Liter allein für die Erstbefüllung zum Saisonstart) das Wasser der Stadtwerke verwendet werden müsse, so Gundlack.
Die Kühlung der Eislaufbahn im Winter, der Betrieb der Schwimmbecken im Sommer und die Löhne für das Personal sind die Hauptpreistreiber für den Betrieb des Freizeitzentrums. Die diesjährige einmalige und wichtige Inflationsausgleichsprämie und die wertschätzenden Tarifsteigerungen ab März 2024 für die Beschäftigen der Diakonie tragen ihr Übriges bei. Dieser finanzielle Druck zeigt sich auch in der jüngsten Mitgliederbefragung im Gebiet der Diakonie RWL. Vier von fünf Trägern rechnen 2023 mit einem negativen Jahresergebnis, ein Drittel sogar mit Liquiditätsengpässen. So auch die gemeinnützige Neue Arbeit Ittertal gGmbH, die für den Förderverein den Betrieb des Freizeitzentrums Ittertal übernimmt. Hier zeigen sich bereits die Folgen: Eine festangestellte Person konnte nicht weiter beschäftigt werden.
Das Freizeitzentrum als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt
Dabei ist der Erhalt des Freizeitzentrums nicht nur eine Investition in das Gemeinwohl, sondern auch eine Chance für Langzeitarbeitslose. Aktuell kümmern sich 13 Menschen aus Fördermaßnahmen um die Instandhaltung und Pflege der Hecken, Bäume und Wiesen. Ein Sozialarbeiter und ein Anleiter betreuen sie dabei. Die Helfer*innen werden durch die "Neue Arbeit Ittertal gGmbH", eine 100-prozentige Tochter des Fördervereins, zusammen mit dem kommunalen Jobcenter Solingen auf ihrem Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt begleitet. In der Regel geht eine Maßnahme über sechs Monate.
Marek Kaczmarek ist Hausmeister im Freizeitrums Ittertal. Hier stutzt er gerade die Hecken nahe des 50-Meter-Schwimmerbeckens. Im Winter sitzt er auf der Eismaschine, um die Eislaufbahn zu glätten.
Marek Kaczmarek hat den Sprung geschafft
Marek Kaczmarek kam durch sein Engagement in einer Maßnahme im Freizeitzentrum so gut an, dass er hier seit zwei Jahren fest angestellt ist. "Ich bin der Hausmeister für alles", erzählt er. "Ich renoviere, bin an der Kasse oder fahre im Winter die Eismaschine", berichtet der 55-Jährige. "Früher habe ich auf dem Bau gearbeitet und tausende Gasflaschen geschleppt, 11 Kilogramm das Stück." Als er einen Bandscheibenvorfall erlitt, verlor er seine Arbeit und strandete demotiviert auf dem heimischen Sofa. Heute schneidet er akkurat die Hecken im Freizeitzentrum. Auf die Frage nach seiner Lieblingsaufgabe antwortet er: "Hier im Freien zu arbeiten." Und Gundlack ist froh um so einen engagierten Mitarbeiter, der auch noch die nächsten drei Jahre bleiben kann.
Das Jobcenter übernimmt in den ersten zwei Jahren 100 Prozent der Lohnkosten von Kaczmarek. In den drei darauffolgenden Jahren trägt der Arbeitgeber für jedes Jahr 10 Prozent mehr Eigenanteil. Das ist für beide Seiten gut: Marek Kaczmarek ist froh um seine Arbeit und das Freizeitzentrum ist auf die geförderten Mitarbeitenden angewiesen.
Weite Wiesen mit großen Bäumen, die im Sommer kühlen Schatten spenden, machen das Freibaden im Freizeitzentrum unter anderem aus.
Wünsche gegen die Ungewissheit
"Diese geförderten Stellen soll es künftig nicht mehr geben", sagt Gundlack. Weitere vom Jobcenter geförderte Beschäftigte bekomme er nicht. Sieben Mitarbeitende brauche es mindestens, um das Freizeitzentrum zu betreiben. Zwei der Festangestellten werden aktuell noch gefördert. Wie es danach weitergehe, sei ungewiss.
Hintergrund ist die Finanzsituation der Jobcenter. Bereits in diesem Jahr steht den Jobcentern weniger Geld zur Verfügung als im Vorjahr. Der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 sieht abermals eine Kürzung um deutschlandweit 500 Millionen vor und auch für 2025 sind schon weitere Kürzungen angedacht. "Zahlreiche Stellungnahmen, Briefe und Resolutionen an Bundestagsabgeordnete und Bundesarbeitsminister Heil sprechen sich gegen die geplanten Kürzungen aus. Alle Bundesländer, die Bundesagentur für Arbeit die kommunalen Spitzenverbände und die Jobcenter sehen die Handlungsfähigkeit der Jobcenter gefährdet und das, obwohl weiterhin deutlich mehr Menschen in Nordrhein-Westfalen langzeitarbeitslos sind als vor der Pandemie", sagt Ina Heythausen, Fachexpertin für berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL.
Erhalten statt neubauen
Von ehemals fünf Freibädern in Solingen gibt es nur noch zwei, ein städtisches und das im Ittertal. Gundlack ist überzeugt, dass der Erhalt des Ittertaler Freibades günstiger ist, als ein Schwimmbad in der Zukunft komplett neu zu bauen. Daher wünscht er sich, dass das Freibad fitgehalten wird, und langzeitarbeitslose Menschen nebenbei eine sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeit erhalten. Seit der Gründung des Fördervereins Ittertal 2009 ist es durch ehrenamtliches Engagement und dem Einsatz von langzeitarbeitslosen Menschen gelungen diese öffentliche Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Und das soll noch lange so bleiben.
"Wir brauchen genügend Unterstützer*innen für diese Arbeit. Denn ohne sie geht es nicht – einschließlich der öffentlichen Hand", sagt der Geschäftsführer Gundlack. "Wir tun viel für das kulturelle Leben hier in Solingen. Und für die Jugend. Denn wo sollen die Jugendlichen sonst hin? Das hier ist ein Freizeitangebot, das im Sommer wie auch im Winter mit der Freilufteislaufbahn seinesgleichen sucht."
Text: Christoph Bild, Fotos: Christoph Bild und Christian Gundlack / Freizeitzentrum Ittertal