30. Mai 2022

Aktionswoche Schuldnerberatung 2022

Voller Tank, nix im Kühlschrank

Explodierende Preise an den Tankstellen und im Supermarkt: Menschen mit kleinen Einkommen müssen derzeit ganz genau rechnen, wofür ihr Geld noch reicht. Wer dann in die Schuldenfalle gerät, kann sich oft nicht kostenlos beraten lassen. Das muss sich ändern, fordert die Diakonie RWL anlässlich der bundesweiten Aktionswoche Schuldnerberatung vom 30. Mai bis 3. Juni.

  • Junge Frau mit Rechnungen vor Laptop und Taschenrechner.
  • Spielzeugfigur schippt Geld.
  • Geldbörse und Spielzeugauto.

2,01 Euro pro Liter für Diesel, Super E10 für 2,12 Euro – diese Zahlen lassen Manuela bangen (Name geändert). Früher freute sich die Mutter schon am Montag auf das Wochenende: Endlich Zeit mit ihren Kindern verbringen, die beim Vater wohnen. Doch Manuela kann mittlerweile die teuren Preise an der Zapfsäule nicht mehr bezahlen. Ihr Einkommen reicht einfach nicht mehr für die Fahrten zur Arbeit und die Besuche.

Manuela ist kein Einzelfall, sagt Beate Ben Halima von der Schuldnerberatung der Diakonie Mark-Ruhr in Hagen: "Zusätzlich werden die Preise für Nahrungsmittel weiter steigen, was das Leben in der Gesamtsumme stark verteuern wird und nicht nur die Ärmsten der Armen vor große finanzielle Schwierigkeiten stellt."

Kein Geld: Mann zeigt seine leeren Hosentaschen.

Kein Geld übrig: Da das Tanken so teuer ist, wissen viele Menschen nicht mehr, wie sie Lebensmittel bezahlen sollen.

Kein Geld für Lebensmittel

Beate Ben Halima erzählt von einer weiteren Klientin, die sie beraten hat. Die Mitarbeiterin eines großen Verpackungsunternehmens arbeitet seit mehr als zehn Jahren im Contischichtsystem. Arbeitsbeginn ist oft frühmorgens, bevor der öffentliche Nahverkehr fährt. Ohne Auto geht es für sie nicht. Inzwischen benötigt sie für die Tankfüllung ihres Kleinwagens so viel Geld, dass nach Abzug von Miete, Versicherungen und Treibstoff kaum noch etwas für Essen übrig bleibt.

"Das führt zu der absurden Situation, dass unsere Klientin tatsächlich überlegen muss, ihre Arbeitsstelle aufzugeben", berichtet die Schuldnerberaterin. Ein Umzug für sie und ihre Tochter komme nicht in Frage: In der Region gibt es zu wenig günstige Wohnungen.

Aufmerksamkeit für Überschuldete

Sprit, Strom, Lebensmittel: Die gestiegenen Kosten bringen zunehmend mehr Menschen in finanzielle Bedrängnis. Von der Verschuldung zur Überschuldung ist es dann oft nur ein kleiner Schritt. "Es gibt oft das Vorurteil, dass Überschuldete nicht mit Geld umgehen können und selbst schuld an ihrer Situation sind", kritisiert Diakonie RWL-Referentin Petra Köpping.

Das ist aber nicht so: Ändern sich die Lebensumstände von einem Tag auf den anderen, können viele Menschen schnell ihre Kredite für ihr Eigenheim, Auto oder Handy nicht mehr bedienen. "Eine lange Krankheit, eine heftige Strom- oder Steuernachzahlung, Kurzarbeit oder Jobverlust: Die Überschuldung kommt oft plötzlich", erläutert Petra Köpping. Unter dem Motto "…und plötzlich überschuldet" wollen die Schuldnerberatungsstellen mit einer bundesweiten Aktionswoche vom 30. Mai bis 3. Juni darauf aufmerksam machen.

Mit Pressemitteilungen, Beiträgen auf Social Media und auf ihren Internetseiten beteiligen sich unter anderem die Diakonischen Werke in Wuppertal, Hagen, Jülich und Mettmann. Die Diakonie Solingen schaltet außerdem eine Hotline (Tel.: 0212/287-200), an die sich am 1. Juni Bürgerinnen und Bürger von 8 bis 16 Uhr zu Fragen rund um Schulden, Verschuldung und Überschuldung wenden können.

Taschenrechner liegt auf Kleingeld und Geldscheinen.

Früher sparten die Menschen, bevor sie sich teure Konsumgüter leisteten. Heute finanzieren sie Handys, Fernseher und Co. häufig auf Raten.

Später zahlen statt vorher sparen

"Das Thema Schulden wird in Zukunft noch mehr eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellen", ist sich Beraterin Beate Ben Halima sicher. Sie beobachtet, dass Menschen beim Kauf von neuen Handys, Fernsehern oder Küchen mittlerweile eingeladen werden, sich zu verschulden. "Wo früher der benötigte Kaufbetrag angespart wurde, locken heute Angebote wie '100 Tage Zahlpause', 'heute bestellen und in drei Monaten bezahlen' und 'Ratenkauf'", kritisiert die Schuldnerberaterin. "Das ist nichts anderes, als die alltäglichen Aufforderungen, sich zu verschulden."

Sie rechnet daher damit, dass die Nachfrage nach ihren Beratungs- und Hilfe-Angeboten weiter wachsen wird. Zudem wurden die Kreditzinsen erhöht, die Mieten steigen weiter, während gleichzeitig weniger neue und günstige Wohnungen geschaffen werden. "Wir stehen vor Entwicklungen, die alle Lebensbereiche betreffen und damit insbesondere Menschen mit geringen Einkünften und geringem Vermögen besonders hart treffen", betont Beate Ben Halima.

Recht auf kostenfreie Beratung

Das beobachtet auch Christoph Straub, der die Schuldnerberatung der Diakonie Ruhr-Hellweg leitet. Besonders Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Rentnerinnen und Rentner und Bezieher*innen von Transferleistungen spüren die Folgen der Inflation und steigenden Preise dramatisch, sagt er.

In Arnsberg, Meschede und Warstein führt die Diakonie Ruhr-Hellweg im Durchschnitt 1.300 Beratungen pro Jahr. Je nach Landkreis oder Region haben jedoch nicht alle Menschen ein Recht auf eine kostenfreie umfängliche Beratung – Soloselbständige, Rentner*innen und Studierende etwa erhalten im Hoch-Sauerland-Kreis nur eine kostenlose Kurzberatung, während im Kreis Soest eine umfassende Beratung für alle Gruppen finanziert wird.

Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände, die die Aktionswoche organisiert, fordert deshalb ein Recht auf eine kostenfreie Beratung für alle. "Wer sich Hilfe holt, hat eine bessere Chance, aus der Überschuldung zu kommen", betont Petra Köpping. "Alle, die in Schwierigkeiten geraten, sollten einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie Beratung haben."

Portrait Petra Köpping

Schnelle und kostenfreie Beratung bei Schulden fordert Diakonie RWL-Referentin Petra Köpping.

Mehr Personal für Beratungsstellen

Zugleich müssen die Beratungsstellen ausgebaut werden, denn die Wartelisten sind lang. Eine intensive Insolvenzberatung nach ersten Vorgesprächen ist bei der Diakonie Mark-Ruhr mittlerweile erst nach mehreren Monaten möglich, sagt Schuldnerberaterin Sandra Ulrich. "Während ich ein Kliententelefonat führe, haben bereits drei weitere Menschen in aktuell prekärer Lage ihre Kontaktdaten für einen Rückruf auf dem Anrufbeantworter hinterlassen", berichtet sie. In anderen Kommunen müssten Überschuldete sogar mehr als zwei Jahre auf eine Beratung warten.

"In dieser Zeit schnellen ihre Schulden noch weiter in die Höhe", betont Petra Köpping. "Gerade im Bereich Schulden ist eine schnelle Beratung unabdingbar." Deshalb benötigen die Schuldnerberatungsstellen für ihre Arbeit mehr Personal – mit einer bundesweit verlässlichen Finanzierung, fordert die Diakonie RWL-Expertin.

Text: Jana Hofmann mit Material der Diakonie Mark-Ruhr und Diakonie Ruhr-Hellweg
Fotos: Pixabay, Shutterstock, Diakonie RWL