Geflüchtete aus der Ukraine
Wenn momentan Züge aus Berlin oder München in den großen Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen einfahren, stehen am Gleis schon mehrere von ihnen bereit. Mit etwas Wasser, vielleicht ein bisschen Schokolade, vor allem aber mit einem Schild in blau-gelb mit einem Hinweis auf das, was sie anbieten: "Hilfe - Help - допомогти."
Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmissionen helfen den Menschen aus der Ukraine beim Ankommen. Für viele Flüchtende sind sie die erste Anlaufstelle. So war es 2015, als viele Syrer*innen ankamen, und so ist es auch während des Ukraine-Krieges.
Schnell zur Stelle sein
"Turbulent", beschreibt Corinna Rindle, Leiterin der Kölner Bahnhofsmission, die aktuelle Lage in einem Wort. Viel Gelegenheit zur Vorbereitung hatten die Bahnhofsmissionen nicht. Lange war unklar, wie viele Menschen vor dem Krieg in Osteuropa fliehen würden.
Dann handelten die Bahnhofsmissionen ganz schnell, berichtet Karen Sommer-Loeffen, Referentin für Ehrenamt und Bahnhofsmissionen beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL): "Viele haben ihre Ehrenamtlichen zusammengerufen und Infomaterial auf Russisch und Ukrainisch vorbereitet."
Die Mitarbeitenden machen mit Hinweisschildern auf Deutsch, Englisch und Ukrainisch auf sich aufmerksam.
Erster Kontakt am Gleis
Besonders in den größeren Städten kommen zurzeit viele Menschen an. In Dortmund sind es täglich etwa 150 bis 200 Menschen, in Köln mehrere Hundert. Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission versuchen, sie direkt am Gleis anzusprechen und herauszufinden, was sie brauchen.
Für die Dortmunder Bahnhofsmission heißt das: Die Ehrenamtlichen bereiten sich auf die ankommenden Züge aus Knotenpunkt-Städten wie Berlin oder München vor. "Wir stehen mit einem kleinen Versorgungstrupp bereit", erklärt Christina Wittler, stellvertretende Leiterin der Dortmunder Bahnhofsmission. Kurz vor der Einfahrt des Zuges verteilen sich die Mitarbeitenden am Gleis. Sie halten Ausschau nach Menschen, die aussteigen und sich nach Hilfe umsehen. Außerdem machen sie mit Hinweisschildern auf Deutsch, Englisch und Ukrainisch auf sich aufmerksam.
Eine Unterkunft zu finden, ist herausfordernd
Die Ehrenamtlichen gehen auf die Menschen zu und bieten an, sie zu begleiten – entweder zum nächsten Zug, wenn sie zu Verwandten oder Freunden weiterreisen. Andere wissen nicht, wohin. Dann bietet die Bahnhofsmission ihnen eine Pause in ihren Räumlichkeiten an. Dort können sie ankommen, ausruhen, etwas trinken oder essen.
Entscheiden sie sich dann, in der Stadt zu bleiben, helfen die Ehrenamtlichen ihnen auch dabei weiter: Sie begleiten sie zum Corona-Test und erklären, wie sie sich bei der Kommune registrieren.
Der nächste Schritt ist aktuell die größte Herausforderung, berichten Corinna Rindle und Christina Wittler: Ein Dach über dem Kopf zu finden. Viele der städtischen Einrichtungen sind voll belegt. Angebote, bei Privatleuten unterzukommen, müssen erst geprüft werden – nicht alle sind wirklich gut gemeint, warnen die Leiterinnen.
Viele Menschen spenden Hygieneartikel wie Zahnbürsten oder Wasserflaschen.
Unglaubliche Bereitschaft zur Hilfe
Die ehrliche Hilfsbereitschaft ist trotzdem groß. Das merken die Kölner und Dortmunder auf allen Ebenen: bei Sachspenden wie Hygieneartikel oder Wasserflaschen, bei Geldspenden, aber auch bei Angeboten, mit anzupacken.
Immer wieder fragen Menschen, was sie tun können. Vor allem die Hilfe von Muttersprachler*innen beim Übersetzen nehmen die Bahnhofsmissionen gerne an. Für die Arbeit an den Bahnhöfen sollten sich die Helfenden dort gut auskennen. Daher sind vor allem eingearbeitete Ehrenamtliche wichtig.
Die Bahnhofsmissionen profitieren sehr von den Erfahrungen aus 2015. Auch wenn die Lage heute sich sehr unterscheidet. "Jetzt kommen mehr Menschen an", sagt Corinna Rindle. Zudem bewegen sich die Flüchtenden heute individueller – die Syrerinnen und Syrer wurden überwiegend zugeteilt.
Das machte 2015 die Arbeit an den Bahnhöfen besser planbar, erzählt auch die Dortmunder Leiterin. "Man kann sich anders darauf einstellen, wenn vorher gesagt wird: Wir schicken 2.000 Leute", sagt Christina Wittler. Momentan weiß niemand, wann, wo und wie viele Menschen ankommen. Unterstützung kommt von der Bahn, lobt die Dortmunderin: Sie meldet vorab, wie viele Menschen in einem Zug ein kostenloses Help-Ukraine-Ticket gebucht haben.
Kuscheltierspenden für geflüchtete Kinder.
Schutzraum Bahnhofsmission
Derzeit sind vor allem Mütter mit Kindern und ältere Menschen auf der Flucht. Männer im wehrfähigen Alter werden an der ukrainischen Grenze aufgehalten. Nach konkreten Schicksalen fragen die Ehrenamtlichen erst einmal nicht. "Wir wollen ein Schutzraum sein", betont Corinna Rindle.
Trotzdem bekommen sie immer wieder mit, was in den Menschen vorgeht. Die meisten wollen nicht hier sein, so der Eindruck der Kölnerin. Die Ukrainer*innen wären lieber zuhause geblieben, aber wollen die Kinder in Sicherheit bringen. Einige haben auch ihre Katze oder ihren Hund mitgebracht. "Wir können gut verstehen, dass sie die Haustiere nicht zurücklassen wollen", meint Christina Wittler aus Dortmund. Die Unterbringung macht das nicht einfacher – in vielen städtischen Einrichtungen sind Tiere nicht erlaubt.
Flucht in Hausschuhen
Je länger der Krieg dauert, desto stärker beeinflusst er auch den Zustand der Menschen, die die Ukraine verlassen. "Die ersten, die angekommen sind, waren noch relativ fit", berichtet Diakonie RWL-Expertin Karen Sommer-Loeffen. Diese Menschen haben sich frühzeitig auf den Weg gemacht. Mittlerweile kommen immer mehr Menschen an, die intensivere Unterstützung brauchen, die etwa in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, erzählt sie. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Unterstützung benötigen die Ankommenden: Jetzt kommen mehr Menschen, die länger in der Ukraine ausgeharrt haben – oft in der Hoffnung, ihre Heimat nicht verlassen zu müssen.
Die Kölnerin Corinna Rindle berichtet von einer überstürzten Flucht, die ihr besonders in Erinnerung geblieben ist: "Vor ein paar Tagen kam eine Familie an, die hatten noch ihre Hausschuhe an." Ihnen half die Bahnhofsmission mit Sachspenden – die Familie erhielt passende Schuhe.
Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmissionen leisten fantastische Arbeit, meint Christina Wittler aus Dortmund.
Mitfühlen, aber nicht mitleiden
Die Bahnhofsmissionen und ihre Mitarbeitenden behalten weiterhin ihre alltäglichen Aufgaben im Blick, unterstreicht die zuständige Referentin Karen Sommer-Loeffen. "Der Grundsatz der Bahnhofsmissionen ist es, allen Menschen am Bahnhof zu helfen", betont die Diakonie RWL-Expertin. Das ist herausfordernd, gelingt aber trotzdem – etwa mit mehr Ehrenamtlichen je Schicht und erweiterten Öffnungszeiten.
"Was die leisten, ist fantastisch", würdigt Christina Wittler ihre Mitarbeitenden. Dabei hat die Dortmunderin – genau wie ihre Kölner Kollegin – auch immer deren Belastbarkeit im Blick. Mehrmals am Tag können sich die Helfenden in Gesprächsrunden über das Erlebte austauschen. "Wir wollen nicht, dass sie Geschichten und Schicksale mit nach Hause nehmen, sondern mit der Arbeitsjacke hier in der Bahnhofsmission lassen", betont Corinna Rindle. Das unterstreicht auch Christina Wittler: "Sie können mitfühlen, sollen aber nicht mitleiden."
An der Situation der Flüchtenden können sie nicht viel ändern. Die Bahnhofsmission ist nur eine Zwischenstation, wissen die Leiterinnen. Deshalb versuchen sie, das Warten und Durchreisen für die Ukrainer*innen so angenehm wie möglich zu gestalten. Und wenn es nur mit einem Moment der Ruhe, einem Lächeln und ein paar freundlichen Worten ist.
Text: Carolin Scholz, Fotos: Bahnhofsmission Köln und Bahnhofsmission Dortmund