28. Juni 2022

Neue Landesregierung

Was im NRW-Vertrag für die Diakonie wichtig ist

CDU und Bündnis 90/Die Grünen haben ihren Koalitionsvertrag für NRW unterschrieben. Von Armut über Familie, Klimaschutz und Pflege bis zu Zentralen Unterkünften für Geflüchtete finden sich viele Themen, die die Arbeit der Diakonie in den nächsten Jahren entscheidend beeinflussen werden. Die Vorständin der Diakonie RWL, Kirsten Schwenke, benennt die wichtigsten Punkte.

  • Die Spitzen von CDU und Grüne bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags.
  • Hendrik Wüst und Mona Neubauer stellen den Koalitionsvertrag von CDU und Grüne vor.
  • Der NRW-Landtag von außen.

"CDU und Grüne haben sich für die kommenden fünf Jahre ein anspruchsvolles Regierungsprogramm vorgenommen. Der Koalitionsvertrag enthält viele wichtige Projekte zur Klima- und Sozialpolitik", sagt Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL.

"Die vielen guten Ideen und Vorhaben im Koalitionsvortrag decken sich in weiten Teilen mit unseren Vorstellungen für ein soziales und gerechtes NRW. Aber diese Ideen sind im Koalitionsvertrag nicht mit konkreten Daten und ausgewiesenen Finanzen unterlegt. Das wirft die Frage auf, ob und in welcher Qualität die ambitionierten Ziele überhaupt umgesetzt werden können."

Besonders erfreulich sei, dass sich CDU und Grüne an mehrere Stellen im Koalitionsvertrag auf das Subsidiaritätsprinzip beziehen und die Akteure der Freien Wohlfahrtspflege als wichtige Partner bei der Umsetzung ihrer Politik benennen. Bei öffentlichen Vergaben sollen künftig tarifgebundene Anbieter bevorzugt werden, was eine klare Stärkung der tariflich gebunden arbeitenden kirchlichen Anbieter bedeutet. "In diesem partnerschaftlichen Geist stellen wir auch künftig gern unsere Expertise für sozialpolitische Themen zur Verfügung und helfen dabei, neue Gesetze im Sinne unserer Patient*innen, Klient*innen und Mitarbeitenden mitzugestalten", so Kirsten Schwenke.

Die fünf Schwerpunkte im Einzelnen:

Symbolbild Kinder und Familie

Die neue Regierung plant eine Fachkraftoffensive für Erziehungskräfte. "Es ist gut, dass die Politik den hohen Handlungsdruck erkannt hat", so Kirsten Schwenke.

Familie, Kinder und Jugend

Die Koalitionäre wollen zur nächsten Landtagswahl das Wahlalter auf 16 Jahre herabsenken. "Das ist ein guter und wichtiger Schritt für mehr Teilhabe junger Menschen", so Kirsten Schwenke. Im Sinne der Generationengerechtigkeit will Schwarz-Grün jedes neue Gesetz einem "Jugend-Check" unterziehen. Dabei sollen Gesetze besonders auf ihre Folgen für junge Menschen hin untersucht werden. Außerdem sollen der Kinderschutz sowie der Kinder- und Jugendförderplan des Landes ausgebaut und mit mehr Geld unterlegt werden. "Dass die neue Landesregierung einen unabhängigen Beauftragten für die Belange von Kinderschutz und Kinderrechten schaffen will, begrüßen wir ausdrücklich", sagt Kirsten Schwenke.

Für Kitas, OGS und die Hilfen zur Erziehung soll eine Fachkraftoffensive aufgelegt werden. In den Kitas soll das pädagogische Personal durch neue Verwaltungsassistenzen entlastet und das Alltagshelferprogramm ausgebaut werden. "Die Qualität der Bildung und Betreuung in unseren Einrichtungen hängt entscheidend vom Personal ab. Es ist gut, dass die Politik den hohen Handlungsdruck erkannt hat", so Kirsten Schwenke.

Ein eigenes Unterkapitel widmen die Koalitionäre dem wichtigen Thema Offener Ganztag. Hier muss das Land zeitnah ein eigenes OGS-Gesetz für NRW formulieren, in dem wichtige Aspekte wie etwa zu Fachkräften, Räumen und gesundem Mittagessen formuliert werden. Schwenke: "Es muss sich zeigen, inwieweit die zu Recht eingeforderte Augenhöhe zwischen den OGS-Anbietern und Schule sich in einem OGS-Gesetz widerspiegeln wird. Die schulrechtliche Verankerung des OGS-Gesetzes sehen wir kritisch. Sie darf nicht zu Lasten der Jugendhilfe in diesem wichtigen Bereich gehen."

Sehr zu begrüßen ist das klare Bekenntnis der Koalitionäre zu den Freiwilligendiensten und zur Unterstützung der Träger. Freiwilligendienste sollen attraktiver gestaltet werden, um eine breite Teilnahme zu ermöglichen und bisher weniger erreichte Zielgruppen anzusprechen. Hier müssen Taten folgen: mit einer angemessenen Förderung, günstigen Angeboten zur Mobilität für Freiwillige und einer Kampagne zur Öffentlichkeitsarbeit.

Arbeit und Arbeitsmarkt.

Die neue NRW-Regierung will den Sozialen Arbeitsmarkt ausbauen. "Öffentlich geförderte Beschäftigung hat sich als ein probates Instrument gegen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bewährt", betont Schwenke.

Armut und Arbeitsmarktpolitik

"Wir freuen uns, dass unsere Forderung nach einer umfassenden, ressortübergreifenden Strategie zur Bekämpfung von Armut aufgegriffen worden ist", sagt Kirsten Schwenke. Dennoch soll in diesem Jahr gemeinsam mit zahlreichen Akteuren mit der Erarbeitung eines "Aktionsplans gegen Armut" begonnen werden. Daraus sollen unter anderem konkrete Handlungskonzepte für die Armutsbekämpfung und -prävention entstehen. "Uns freut, dass die Stärkung sozialer Arbeit in der Quartiersarbeit als ein weiterer Pfeiler der Armutsbekämpfung in den Blick genommen wird", so Schwenke weiter. "Gerade hier gibt es bereits viele gute Projekte der kirchlichen Träger, die weiterentwickelt werden können."

Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit soll der Soziale Arbeitsmarkt ausgebaut werden. "Öffentlich geförderte Beschäftigung hat sich als ein probates Instrument gegen die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit bewährt", betonte Schwenke. "Am Arbeitsmarkt Benachteiligte können so persönliche Stabilisierung, berufliche Qualifizierung und soziale Teilhabe erfahren." Schwarz-Grün löst eine weitere Forderung der Diakonie ein: Die Koalitionspartner planen, die Beratungsstellen Arbeit zu stärken, die von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsausbeutung betroffene Menschen unterstützen und ihnen Begegnungsmöglichkeiten bieten. "Ein niederschwelliges, quartiersnahes und unabhängiges Angebot ist Voraussetzung dafür, dass die Beratung von den Menschen auch angenommen wird", so Schwenke.

Symbolbild Integration.

Die Spitzen von CDU und Grüne planen wichtige integrationspolitische Fortschritte. "Hoffentlich werden damit einige unserer Forderungen zeitnah umgesetzt", sagt Schwenke.

Flucht und Integration

Die neue Koalition will Geflüchtete besser integrieren und Zugänge zum Arbeitsmarkt erleichtern. Geflüchtete sollen künftig viel schneller, nämlich nach spätestens sechs Monaten in der Landesunterbringung, dezentral in den Kommunen wohnen dürfen. "Die Isolation von Geflüchteten wird durch deutlich kürzer Aufenthalte in den Landesunterkünften beendet – das ist ganz wichtig", sagt Schwenke. Erstmals plant NRW zudem ein eigenes Landessaufnahmeprogramm für Menschen in humanitärer Not. "NRW beabsichtigt, alle humanitären und aufenthaltssichernden Regelungen so auszuschöpfen, dass gut integrierte geduldete Geflüchtete eine Bleibeperspektive erhalten. Damit werden einige unserer zentralen Forderungen hoffentlich zeitnah umgesetzt", so Kirsten Schwenke. Beim Kommunalen Integrationsmanagement (KIM) soll die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Freier Wohlfahrt verbessert werden – auch das war eine Kernforderung vor der Landtagswahl.

Als sehr erfreulich bezeichnet Kirsten Schwenke die geplante Einführung eines Landesantidiskriminierungsgesetzes und einer Landesantidiskriminierungsstelle, denn "damit können die auch von uns beklagten Schutzlücken im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bald geschlossen werden".

Symbolbild Pflege und Gesundheit: Herz und Stethoskop.

Mehr Geld für Krankenhäuser: "Leider werden auch hier keine konkreten Summen genannt", so Schwenke.

Gesundheit und Pflege

CDU und Grüne haben sich darauf geeinigt, den neuen Krankenhausrahmenplan umzusetzen. An diesem Plan hat auch die Diakonie über mehrere Jahre hinweg mitgearbeitet.

Die neue Koalition verspricht dafür deutlich mehr Geld in die Hand zu nehmen als bisher. Rund ein Drittel des Geldes soll in den Klimaschutz fließen. "Leider werden auch hier keine konkreten Summen genannt – es bleibt also vorerst offen, mit wie viel Geld unsere Krankenhäuser rechnen können", so Schwenke.

Für Menschen mit Behinderung will die neue NRW-Koalition bessere Inklusionsbedingungen schaffen. Sie bekennt sich klar zur UN-Behindertenrechtskonvention. "Das macht uns Hoffnung, dass wir zeitnah bei der aktuell stockenden Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes deutlich vorankommen", sagt Kirsten Schwenke.

In der Pflege sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Klärungsbedarf gebe es allerdings noch im Bereich der Seniorenpolitik. So stehe in dem Vertrag, dass ältere Menschen ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen sollten. "Das muss noch mit konkreten Ideen gefüllt werden", sagt Kirsten Schwenke.

Symbolbild Klima: Menschen umarmen eine Erde.

Wir brauchen deutlich mehr Sozialwohnungen, als CDU und Grüne bislang einplanen.

Klima und Wohnen

NRW soll CDU und Grünen zufolge die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden. Bei diesem großen und wichtigen Transformationsprozess wird die Freie Wohlfahrt durch die Koalitionäre explizit in den Blick genommen: Sie soll bei nötigen Investitionen in Gebäude und Flotten zur Verbesserung ihrer Klimabilanz deutlich stärker als bisher mitbedacht werden. Dazu sagt Kirsten Schwenke: "Wir leisten gern dazu unseren Beitrag und freuen uns, dass die Koalitionäre auch die enormen Klimaschutzpotenziale der Krankenhäuser, der Einrichtungen der Altenpflege oder der Kitas im Blick haben."

Die Koalitionäre machen sich das Ziel der EU zu eigen, Wohnungslosigkeit bis 2030 abzuschaffen. Dafür sollen das Landesprogramm "Endlich ein Zuhause" ausgebaut und neue Modellprojekte wie "Housing-First" NRW-weit ausprobiert werden. Dennoch bleibt es ein ambitioniertes Ziel – ob die Anstrengungen der neuen Landesregierung dazu ausreichen, bleibt abzuwarten.

"Beim sozialen Wohnungsbau bleibt der Koalitionsvertrag leider deutlich hinter unseren Erwartungen zurück", sagt Kirsten Schwenke. Um bedürftigen Menschen eine angemessene Wohnung zu bieten und angespannte Wohnungsmärkte spürbar auch für Alleinerziehende und Familien zu entlasten, müssten jedes Jahr in NRW rund 23.000 neue Wohnungen gebaut werden. "CDU und Grüne nehmen sich nur 9.000 Wohnungen pro Jahr vor, trotz massiv steigender Förderung vom Bund – das ist deutlich zu wenig", so Schwenke.

Text: Franz Werfel, Fotos: Diakonie RWL, Fciccolella

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Franz Werfel
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