Offene Ganztagsschule
"Bekomme ich heute ein Mittagessen?" Diese Frage hörten die Mitarbeiterinnen des Angebotes der Offenen Ganztagsschule (OGS) an der Grundschule Am Dicken Stein in Hünxe täglich. "Manche Familien mit mehreren Kindern können es sich nicht leisten, für jedes Kind ein Mittagessen zu bestellen", weiß Ulrike Peter, Bereichsleiterin Schule bei der Diakonie Dinslaken und zuständig für die OGS in diakonischer Trägerschaft. Deshalb müssten sich Geschwisterkinder oft mit dem Mittagessen abwechseln. Andere Kinder bekämen gar keine warme Mahlzeit in der Schule. Manche warteten dann täglich darauf, ob Essen übrigbleibt.
Die OGS-Kinder konnten gemeinsam essen: Das Modellprojekt ermöglichte eine warme Mahlzeit.
Mittagessen ist für manche Eltern zu teuer
Für viele Eltern seien die Kosten von 3,90 Euro pro Mittagessen einfach nicht zu stemmen, beobachtet Peter. Immer wieder berichteten die OGS-Mitarbeiterinnen von Kindern, die mittags nur wenig sättigende oder ungesunde Snacks hätten, wie etwa Schokobrötchen. "Es ist ganz schlimm für die Kinder, wenn sie hungrig dasitzen und mitbekommen, wie andere Kinder ein warmes Essen bekommen", sagt Nicole Elsen-Mehring, Geschäftsführerin der Diakonie Dinslaken.
"Wie wäre es, wenn alle Kinder ein kostenloses Mittagessen bekämen?", fragten sich die Mitarbeiterinnen deshalb oft. Genau das testete die Diakonie Dinslaken 2023 mit einem Modellprojekt im Rahmen des Aktionsjahres "Kein Kind in Armut". Mit Hilfe von Spenden wurde allen 79 OGS-Kindern rund dreieinhalb Monate lang eine warme Gratis-Mahlzeit angeboten. Die Anzahl der Essensanmeldungen schnellte daraufhin in die Höhe. Vor dem Start des Projekts hatten durchschnittlich nur 48 Prozent der Kinder eine warme Mahlzeit bestellt. Das kostenlose Angebot führte zu einem Anstieg auf durchschnittlich 73,8 Prozent. Eine Anmeldequote von 100 Prozent kann nicht erreicht werden, da nicht alle Kinder jeden Tag in der OGS essen, etwa weil sie krank sind oder aber an bestimmten Tagen früher abgeholt werden.
Zum offiziellen Startschuss waren neben den beiden Geschäftsführerinnen der Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken, Alexandra Schwedtmann (Mitte) Nicole Elsen-Mehring (re.) und Bereichsleiterin Ulrike Peter (hinten re.) auch der Hünxener Bürgermeister, Dirk Buschmann (2.v.re.) und Andrea Dombrück, Schulamt, vor Ort. Begrüßt wurden sie vom OGS-Leiter Christian Philipp und Ayse Yildiz.
Gemeinsame Mahlzeit sorgt für entspanntere Kinder
Das gemeinsame Essen habe sich sofort positiv ausgewirkt, sagt Peter. "Da war gleich ein ganz anderes Gemeinschaftsgefühl da." Die Kinder, die sonst warteten, ob etwas übrigbleibt, saßen nun mit am Tisch. "Die Stimmung war viel entspannter und ausgelassener. Und es war auch viel mehr Zuwendung zwischen den Kindern da." Und geschmeckt hat es den Kindern offenbar. Es sei kaum etwas übriggeblieben, berichtet Peter.
Auch Eltern bemerkten den Unterschied. Für sie und ihre Tochter sei das Mittagessen in der OGS eine enorme Erleichterung gewesen, berichtet eine Mutter. Das Kind und auch sie selbst seien nun viel entspannter. Die alleinerziehende Mutter bestellt für ihre Tochter deshalb auch nach Ablauf des Modellprojekts Mittagessen in der OGS, obwohl es dadurch finanziell sehr eng für sie wird. Das Geld müsse sie dann bei Freizeitaktivitäten einsparen, sagt sie.
Dass kein Kind mehr hungrig und ausgeschlossen gewesen sei, habe die Atmosphäre in der OGS enorm verbessert, sagt Elsen-Mehring. Es liege auf der Hand, dass Kinder mit leerem Magen nicht konzentriert an ihren Hausaufgaben arbeiten oder an Nachmittagsaktivitäten teilnehmen könnten. Die gemeinsame Mittagsmahlzeit bedeute darüber hinaus für die Kinder mehr als nur Essen. Es sei die einzige Zeit im Schulalltag, in der sie zur Ruhe kommen könnten. "Gutes Essen für alle Kinder ist die Grundlage für Bildung."
Diakonie fordert Refinanzierung von Schulessen
Seit das Projekt beendet ist und die Eltern das Essen wieder bezahlen müssen, sei die Teilnahme zurückgegangen, sagt Elsen-Mehring. In diesem Schuljahr ist die Zahl der OGS-Kinder auf 130 gestiegen, von denen etwas mehr als die Hälfte regelmäßig für die warme Mahlzeit angemeldet sind. Bereichsleiterin Peter hat beobachtet, dass durch die Inflation auch Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, mehr am Essen sparen. Familien, die im Rahmen des Programms Bildung und Teilhabe leistungsberechtigt sind, also etwa Wohngeld- oder Bürgergeldbezieher, könnten zwar die Kostenübernahme für das Mittagessen ihrer Kinder beantragen. Aber diese Möglichkeit werde vielfach nicht genutzt. Die Anträge seien zu kompliziert, sagt Peter.
Aus ähnlichen Gründen bietet auch der Härtefallfonds des Landes NRW "Alle Kinder essen mit" keine grundlegende Lösung des Problems. Der Fonds ermöglicht Kindern die Teilnahme an der gemeinsamen Mittagsverpflegung in Schulen, wenn ihre Familien trotz Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket haben. "Das ist zwar eine tolle Sache. Diese Leistungen sind aber nicht hinreichend bekannt. Hier müsste noch viel mehr Aufklärungsarbeit erfolgen, damit es selbstverständlich wird, dieses Geld abzurufen", sagt Heike Moerland, Leiterin des Geschäftsfeldes Berufliche und soziale Integration beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL).
Fordert höhere Sozialleistungen, damit alle Menschen gesundes Essen bezahlen können: Diakonie RWL-Expertin Heike Moerland.
"Zur Chancengleichheit gehört ein warmes Mittagessen dazu", betont Elsen-Mehring. Lösen ließe sich das Problem nur durch eine kostenlose Mittagsmahlzeit für alle Kinder. Für Eltern mit entsprechendem Einkommen könnte das Essensgeld auf die OGS-Beiträge aufgeschlagen werden. Das Mittagessen für Kinder einkommensschwacher Eltern müsste dann durch die öffentliche Hand finanziert werden. Realistisch sei das derzeit nicht, bedauert Elsen-Mehring. Denn mit rund einem Zehntel aller Städte und Dörfer fallen viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen in die Haushaltssicherung.
Die Diakonie RWL warnt davor, dass vor allem seit der starken Teuerung für Lebensmittel in Deutschland immer mehr einkommensschwachen Menschen Ernährungsarmut droht. "Wir fordern deshalb eine auskömmliche Refinanzierung gesunden Essens in Schulen und sozialen Einrichtungen", sagt Armutsexpertin Moerland. "Daneben ist vor allem eins wichtig: Die Sozialleistungen müssen erhöht werden, damit alle Menschen gesundes und nahrhaftes Essen bezahlen können, gerade wenn sie nicht an einer Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen."
Text: Claudia Rometsch, Fotos: Diakonie RWL/Andreas Endermann, Diakonie Dinslaken
Themenpapier "Armut und Ernährung"
Dossier: Diakonie gegen Armut
Soziale Hilfen