22. April 2024

Arbeitslosigkeit

Warum Helmut Havel jetzt Steuern zahlt

"Es war nicht immer einfach", beschreibt Helmut Havel die vergangenen 25 Jahre. Dennoch hat der 49-Jährige geschafft, was nur wenigen Langzeitarbeitslosen gelingt. Wie ihn das Team des Diakonie-Projekts "Kooperative Beschäftigung 2.0" dabei unterstützt hat, endlich einen festen Job zu finden.

  • Helmut Havel vor dem Kaufhaus der Diakonie (KadeDi) in Duisburg. Neben ihr steht Jobcoach Ines Stieglitz.

Lange Zeit gehörte Helmut Havel zu den Menschen, die kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. "Dass ich jetzt dennoch einen festen Job habe, ist für mich ein Happy End“, sagt der 49-Jährige. "Meine Chefs sind spitze, ich verstehe mich mit den Kollegen und Kolleginnen. Und meine Tochter und ich können von meinem Gehalt gut leben." Seit Oktober 2023 arbeitet Havel bei einer Möbelspedition: die erste Festanstellung seines Lebens. "Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man Geld ausgibt, das man selbst verdient hat", freut er sich.

Intensive Begleitung als Chance

Ein Leben, wie er es heute führt, sei für ihn lange in weiter Ferne gewesen, sagt Havel. Bereits mit 18 Jahren sei er ganz auf sich gestellt gewesen. Ohne Ausbildung habe er sich mit befristeten Jobs durchgeschlagen und zwischenzeitlich sogar einige Jahre auf der Straße gelebt. "Verändert hat sich das alles durch die Geburt meiner Tochter." Havel ordnete sein Leben, fand eine Wohnung. Arbeit bekam er allerdings nicht. Als seine Tochter im Teenager-Alter war, startete Havel einen neuen Anlauf. "Ich wollte ein gutes Vorbild für sie sein. Das hat mir die Kraft gegeben."

Möglich geworden seien die großen Veränderungen in seinem Leben aber durch eine öffentlich geförderte Beschäftigung beim Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen des Diakoniewerks Duisburg, sagt Havel. Und dadurch, dass er dort zusätzlich noch in das Projekt "Kooperative Beschäftigung 2.0" (KoBe 2.0) aufgenommen wurde. Intensives Coaching, Qualifizierung und Praktika führten am Ende zum Erfolg. "Es war nicht immer einfach, aber bei der Diakonie habe ich immer ein offenes Ohr und Hilfe gefunden", sagt Havel. "Die haben mich Schritt für Schritt an den Job herangeführt." Diese intensive Begleitung sei seine Chance gewesen. 

Helmut Havel hat für das Kaufhaus der Diakonie Möbel transportiert.

Helmut Havel hat sich im Projekt "Kooperative Beschäftigung" im Bereich Lagerlogistik qualifiziert und für das Kaufhaus der Diakonie Möbel transportiert.

Passendes Praktikum

Den ersten Kontakt mit einem geregelten Arbeitsleben hatte Havel, als er im März 2022 einen nach dem Teilhabechancengesetz geförderten Arbeitsplatz beim Diakoniewerk Duisburg bekam. In der Möbelabteilung des Kaufhauses der Diakonie (KadeDi) erwarb er die Vorkenntnisse für seinen heutigen Job. "Ich habe zum Beispiel gelernt, wie man Möbel verpackt und einen Lkw richtig belädt." Über das gesetzliche Instrument "Teilhabe am Arbeitsplatz" konnte Havel auch ein Führerschein der Klasse B finanziert werden. Entscheidend sei aber dann gewesen, dass Ines Stieglitz, sein Jobcoach bei der Diakonie, ihm das passende Praktikum bei seinem jetzigen Arbeitgeber vermittelt habe, sagt Havel.

Diese besonders engmaschige Betreuung erhielt Helmut Havel durch das von der Evangelischen Kirche im Rheinland finanzierte Projekt KoBe 2.0. Das Programm wurde von April bis Ende 2023 bei drei diakonischen Beschäftigungsunternehmen angeboten. Neben dem Diakoniewerk Duisburg waren das die "Neue Arbeit" der Diakonie Essen und die "renatec" der Diakonie Düsseldorf. Im Rahmen des Projekts wurden von jedem der drei Träger jeweils 15 Langzeitarbeitslose intensiv gecoacht. Ziel war es, den Schritt von einem geförderten in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu schaffen.

Ina Heythausen, Referentin Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL.

Wer lange arbeitslos ist, müsse erst wieder Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit aufbauen, sagt Ina Heythausen, Referentin Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL.

Internes Coaching

Das Programm flankierte die gesetzlich vorgesehenen Unterstützungsmaßnahmen mit zusätzlicher individueller Förderung. Zwar sieht das gesetzliche Instrument "Teilhabe am Arbeitsmarkt" (nach § 16i SGB II) ebenfalls Unterstützung durch einen Coach vor. Aber die Coaches hätten in der Regel sehr viele Klienten gleichzeitig zu betreuen, beobachtet Ina Heythausen, Referentin im Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration der Diakonie RWL. "Vor allem arbeitsbezogene Probleme können externe Coaches oft nicht aufgreifen", stellt Heythausen fest. Im Rahmen des Projekts KoBe 2.0 konnten die Menschen hingegen durch interne Coachs betreut werden.

Diese konnten  Probleme am Arbeitsplatz erkennen und gleich aktiv ansprechen. Sie konnten daher mit den Betroffenen sofort Lösungen suchen, wenn es Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gab oder aber Arbeitshemmnisse, zum Beispiel durch gesundheitliche Einschränkungen. Ein wichtiger Teil des Coachings war auch die Stärkung der Selbstwirksamkeit der Betroffenen. "Wenn Menschen so lange arbeitslos sind, fühlen sie sich oft gar nicht mehr als diejenigen, die ihre Jobsuche und Arbeitsaufnahme aktiv gestalten dürfen", weiß Heythausen. Es sei ein längerer Prozess, wieder Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit aufzubauen.

Jobcoach Ines Stieglitz vom Diakoniewerk Duisburg begleitet derzeit Heinz Lindau, Mitarbeiter aus der Tischlerei.

Ines Stieglitz (rechts) vom Diakoniewerk Duisburg begleitet derzeit Heinz Lindau, Mitarbeiter aus der Tischlerei. Auch er hat einen nach dem Teilhabechancengesetz geförderten Arbeitsplatz beim Diakoniewerk Duisburg.

Gutes Netzwerk

Die Möglichkeiten des Teilhabechancengesetzes - von Weiterbildungen bis Praktika in der freien Wirtschaft - würden zu wenig genutzt, beobachtet Heythausen. Das Projekt hat gezeigt, dass es mit einem internen, vermittlungsorientierten Coaching gelingt, diese Chancen zu nutzen. Denn oftmals sei sehr viel Feinabstimmung nötig, um genau den passenden Arbeitsplatz zu finden.

"Es braucht ein Netzwerk und guten Kontakt zu Unternehmen", sagt Ines Stieglitz vom Diakoniewerk Duisburg. Zugleich sei es wichtig, die Stärken und Schwächen der einzelnen Mitarbeitenden genau zu kennen. Und die Rahmenbedingungen müssten stimmen, etwa die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes. Für Helmut Havel war es zum Beispiel entscheidend, dass sein Arbeitgeber ihn nur auf Touren einsetzt, die keine Übernachtung erfordern. "Abends muss ich für meine Tochter da sein können", sagt der alleinerziehende Vater. 

Das intensive Coaching machte sich bezahlt. Die beteiligten Träger konnten im Rahmen des Projekts durchschnittlich ein Drittel der KoBe-Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. Ines Stieglitz konnte sogar die Hälfte der Teilnehmenden in der neunmonatigen Projektzeit vermitteln. "Bevor wir mit dem internen Coaching gestartet sind, waren alle, deren geförderte Beschäftigung endete, wieder arbeitslos geworden", sagt sie.

Helmut Havel arbeitet jetzt fest bei der Spedition Rhenania.

Bei der Spedition Rhenania hat Helmut Havel die erste Festanstellung seines Lebens. Und er ist dort sehr glücklich.

Erfahrungen nutzen

Die Diakonie fordert deshalb, die guten Erfahrungen mit dem Projekt KoBe 2.0 zu nutzen, um das Teilhabechancengesetz und das darin enthaltene Instrument "Teilhabe am Arbeitsmarkt" entsprechend weiterzuentwickeln. Genau das hatten die Koalitionspartner SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Jahr 2021 in ihrem Koalitionsvertrag auch vereinbart. "Wir fordern, dass es für die Beschäftigungsträger die Möglichkeit eines internen Coachings und den Auftrag eines Übergangsmanagements gibt", sagt Heythausen. Außerdem ruft die Diakonie die Bundesregierung dazu auf, mehr Geld für die "Teilhabe am Arbeitsmarkt" zur Verfügung zu stellen. Schließlich bewerteten auch die Jobcenter dieses Förderinstrument flächendeckend positiv.

Geschichten wie die von Helmut Havel bestätigen das. "Ich zahle jetzt Steuern wie jeder andere Arbeitnehmer", sagt er stolz. Darüber hinaus fühlt er sich nun erstmals in seinem Leben wertgeschätzt und respektiert. "Die Leute sagen nicht mehr: Da kommt der Arbeitslose." Vielmehr werde er mittlerweile gefragt, was er denn heute bei der Arbeit erlebt habe.

Text: Claudia Rometsch, Fotos: Diakoniewerk Duisburg, Diakonie RWL

Ihr/e Ansprechpartner/in
Ina Heythausen
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
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Arbeit und Beschäftigung

Das Teilhabechancengesetz
Zielgruppe des § 16i SGB II  (Teilhabe am Arbeitsmarkt) sind Menschen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und sechs Jahre innerhalb der vergangenen sieben Jahre Leistungen nach SGB II erhalten haben. Sie können mit diesem Regelinstrument sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. Allerdings mit der Einschränkung, dass sie nicht arbeitslosenversichert sind.

Bei Vorliegen der Fördervoraussetzungen ist eine Beschäftigungsdauer bis zu fünf Jahren möglich. Arbeitgeber, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, erhalten einen Lohnkostenzuschuss.