23. April 2024

60 Jahre Freiwilligendienste

Gut für die ganze Gesellschaft

Am 29. April wird das Freiwillige Soziale Jahr 60 Jahre alt. "Ein Erfolgsmodell, das die soziale Arbeit stärkt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt festigt", sagt Mathias Schmitten, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste der Diakonie RWL. Im Interview würdigt er das Engagement von Freiwilligen und Einsatzstellen: "Einrichtungen, die mit Freiwilligen arbeiten, machen bessere Arbeit." Nötig sei aber mehr Engagement von Bund und Land.

  • Freiwilliger mit Kindern in einem Feriendorf.
  • Freiwilligendienstleistende aus dem Diakonie RWL-Gebiet beteiligen sich an der Aktion #VersprechenHalten.
  • Postkartenmotiv aus der Aktion #VersprechenHalten
  • Postkartenmotiv aus der Aktion #VersprechenHalten

Vor 60 Jahren, am 29. April 1964, wurde das Jugendfreiwilligendienstegesetz verabschiedet. Ein Grund zum Feiern? 

Mathias Schmitten: 60 Jahre Freiwilligendienste sind auf jeden Fall ein Grund zum Feiern. In dieser Zeit haben sich hunderttausende junge Menschen im Freiwilligendienst für andere Menschen engagiert. Ein herzliches Dankeschön an alle Freiwilligen und unsere Einsatzstellen! 

... auch an die Einsatzstellen? 

Mathias Schmitten: Ja, die Kolleginnen und Kollegen in unseren Einsatzstellen leisten viel, damit der Freiwilligendienst attraktiv bleibt. Indem sie dafür sorgen, dass die Freiwilligen dort, wo sie sind, ihre Persönlichkeit und ihre Potenziale ganz individuell einbringen können. Indem sie sich auf die Fragen der Freiwilligen einlassen und offen sind, wenn Freiwillige neue Ideen und frischen Wind in die Arbeit bringen. Davon profitieren die Freiwilligen. Und natürlich profitieren auch die Einsatzstellen und die Menschen, für die sie tätig sind. Einrichtungen, die mit Freiwilligen arbeiten, machen die bessere Arbeit. 

Welche gesellschaftlichen Impulse gehen davon aus? 

Mathias Schmitten: In einer Zeit der Polarisierung zeigen Freiwilligendienste, wie Solidarität und Gemeinschaft gelebt werden können. Freiwilligendienste führen zurück zu dem, was im Kontakt zwischen Menschen selbstverständlich ist. Sie überwinden in der menschlichen Begegnung die Kluft zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich und zwischen Menschen unterschiedlicher politischer Prägung. Wenn junge Menschen sich um alte und kranke Menschen kümmern oder Menschen mit Behinderungen im Schulalltag begleiten, werden viele Streitthemen auf der Meinungsebene plötzlich viel unbedeutender. Und seit der Bundesfreiwilligendienst als neues Format hinzugekommen ist, haben auch lebensältere Menschen die Möglichkeit, sich in einem geregelten und gut begleiteten Rahmen zu engagieren. All das trägt dazu bei, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und unsere Demokratie und Gesellschaft insgesamt voranzubringen.  

Wie sehen Sie die Rolle der Freiwilligendienste bei der Förderung des interkulturellen Verständnisses, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen? 

Mathias Schmitten: Gerade im Vorfeld der Europawahlen erscheint mir dieser Beitrag der Freiwilligendienste besonders wichtig. Denn der europäische Gedanke ist auch durch die Freiwilligendienste immer weiter vorangetrieben worden. Heute leisten viele Menschen aus anderen europäischen Ländern einen Freiwilligendienst hier in Deutschland. Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und interkultureller Austausch werden in den Freiwilligendiensten lebendig. 

Sie beschreiben ein Erfolgsmodell. Gibt es auch Schattenseiten? 

Mathias Schmitten: In einer Situation, in der die Finanzierung des Bundesfreiwilligendienstes immer wieder auf wackeligen Füßen steht, kommt der Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres eine noch größere Bedeutung zu. Denn die Förderung des FSJ ist Ländersache. In Nordrhein-Westfalen fehlt eine verlässliche Förderung der Freiwilligendienste. Viele Bundesländer engagieren sich hier deutlich stärker als NRW. Das gilt selbst für die wesentlich ärmeren Länder in unserem Verbandsgebiet, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Das Land NRW muss hier mehr tun.  

Mathias Schmitten, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste der Diakonie RWL

Junge Menschen wollen politisch mitreden, sagt Zentrumsleiter Mathias Schmitten. "Das finde ich ein starkes Signal auch für unser demokratisches Gemeinwesen."

Das Land NRW will sparen. Und Sie fordern neue Ausgaben? 

Mathias Schmitten: Wir hatten eine unglaublich erfolgreiche Petition zur Stärkung der Freiwilligendienste auf Bundesebene, die vom Petitionsausschuss des Bundestages einstimmig mit höchstmöglicher Priorisierung an die Bundesregierung und die Ländervertretungen überwiesen wurde. Unter den Slogans #versprechenhalten oder #fwdstaerken setzen sich viele Freiwillige weiter für eine Stärkung der Freiwilligendienste ein. Das zeigt, dass junge Menschen politisch mitreden wollen. Das finde ich ein starkes Signal auch für unser demokratisches Gemeinwesen.  

Hinzu kommt Folgendes: Jede Investition in die Freiwilligendienste ist eine Investition in die Zukunft der sozialen und pflegerischen Versorgung. Mehr als 50 Prozent der Freiwilligen entscheiden sich nach ihrem Freiwilligendienst für eine Ausbildung im sozialen oder pflegerischen Bereich, weil sie die Arbeit mit Menschen begeistert. Junge Menschen, die sich freiwillig engagiert haben, sind als Auszubildende und Fachkräfte besonders gefragt. Sie sind, wie es kürzlich ein Einrichtungsleiter beschrieb, „Juwelen“ unter den Nachwuchskräften, die wissen, für welchen Beruf sie sich entschieden haben. Wir als Diakonie RWL fordern die Landesregierung NRW auf, jetzt zu handeln und in die Freiwilligendienste zu investieren. 

Die Fragen stellte Christian Carls. Fotos: Diakonie Deutschland, Diakonie RWL