Wohnungslosigkeit
Noch im Frühjahr vergangenen Jahres befand sich Familie A. aus Oberhausen auf ihrem persönlichen Tiefpunkt: Wegen einer Räumungsklage waren die Bürokauffrau, ihr Mann und die beiden Töchter plötzlich wohnungslos. Während sie zunächst bei Verwandten und Freund*innen unterkamen, fand das Ehepaar später in einer Garage eine vorübergehende Bleibe. Dass die Familie drei Monate später wieder ein gemeinsames Dach über dem Kopf hat, verdankt sie dem vom Land Nordrhein-Westfalen und dem Sozialfonds der Europäischen Union geförderten Projekt "Endlich ein Zuhause!". "Ich bin mir sicher, dass wir ohne die Unterstützung auf der Straße gelandet wären", sagt Frau A.
Sie kann sich noch gut daran erinnern, als im Oktober 2022 die Räumungsklage im Briefkasten lag. "Ja, wir waren mit unseren Zahlungen im Rückstand. Wir hatten aber auch geklärt, dass wir die Miete ausgleichen. Der Mitarbeiter hatte uns daraufhin mehrfach und glaubwürdig versichert, dass die Klage zurückgezogen würde. Wurde sie aber nicht." Stattdessen musste die Familie rund ein halbes Jahr später ausziehen. "Immerhin hatten wir noch Zeit, alles aus der Wohnung zu holen, das ist eher selten. Und wir hatten das Glück, dass die eine Tochter auf Klassenfahrt und die andere bei einer Freundin war. So haben sie erst einmal nichts davon mitbekommen", sagt Frau A. Trotzdem habe es sich angefühlt, als wären sie ganz tief gefallen. "Dass ich zumindest vorübergehend bei meiner Stieftochter einziehen musste, hat mich in meinem Stolz schon sehr verletzt."
Zuerst verschaffen sich die Sozialarbeiter*innen einen Überblick, um die Situation richtig bewerten zu können und Sofortmaßnahmen abzuleiten.
Gut vernetzt
Im Juni vergangenen Jahres dann die Wende: Das Sozialamt der Stadt Oberhausen vermittelte Familie A. an Nina Perret von "Endlich ein Zuhause!". Im Rahmen der Landesinitiative werden Haushalte, die wohnungslos sind oder denen der Wohnungsverlust droht, intensiv und niederschwellig unterstützt. Durch vernetzte und miteinander gut verzahnte Unterstützungsangebote werden vorhandene Wohnungen erhalten oder, falls dies nicht möglich ist, wird versucht, alternativen Wohnraum zu vermitteln.
"Sobald Betroffene Kontakt zu uns aufnehmen, beginnen wir erst einmal mit dem sogenannten Clearing", erklärt die Sozialarbeiterin beim Diakoniewerk Oberhausen den Ablauf. "Haben wir uns einen ersten Überblick verschafft, nehmen wir Kontakt zu Vermietenden auf und prüfen, inwieweit beispielsweise Mietrückstände ausgeglichen werden könnten. Sind Ratenzahlungen möglich beziehungsweise kann ein Darlehen aufgenommen werden, helfe ich bei der Antragsstellung. Finden die Parteien trotz aller Bemühungen nicht zusammen, vermitteln meine Kollegin Yvette Bernick und ich die Betroffenen weiter an Carmen Anton."
Kaum bezahlbarer Wohnraum
Als Mitarbeiterin der SBO Servicebetriebe Oberhausen ist Carmen Anton zuständig für die Wohnraumakquise – mit Blick auf die aktuelle Lage am Wohnungsmarkt kein leichtes Unterfangen. "Ich suche auf bekannten Portalen, bei Kleinanzeigen, in der Zeitung und schreibe Unternehmen auch direkt an. Es ist nicht so, als wäre der Wohnraum nicht da. Er ist nur nicht bezahlbar." Für Ratsuchende, die Sozialleistungen erhalten, gelten Obergrenzen für die Anmietung von Wohnraum. Da sei der Markt dünn. Hinzu komme, dass Betroffene häufig in finanzieller Schieflage seien und beispielsweise eine schlechte Schufa hätten. "Vermieterinnen und Vermieter gehen in solchen Fällen oft von einer schlechten Zahlungsmoral aus und wollen den freien Wohnraum lieber anderweitig vermieten." Zwar stehen Nina Perret, Yvette Bernick und Carmen Anton bei Problemen auch für Vermieter*innen als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung. "Bürgen können wir allerdings nicht." Und so bleibe der Wohnraum manchen Menschen verschlossen.
Nicht so der Familie A. Sie hatte Glück und konnte bereits drei Monate nach der Räumung ihre neue Wohnung beziehen. "Nachdem wir im Sommer den Schlüssel bekommen haben, hat sich alles rasant geändert", erinnert sich Frau A. Die Familie hatte nicht nur ihre eigenen vier Wände. Durch einen Zufall fand Frau A. außerdem einen neuen Job als Bürokauffrau.
Frank Bremkamp vom Diakoniewerk Oberhausen führt den Erfolg des Projektes auch auf die enge Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten zurück.
Erfolgreiches Projekt
Damit fließt der Fall in die überaus erfolgreiche Statistik des Projektes "Endlich ein Zuhause!" in Oberhausen mit ein. Seit Beginn im Oktober 2022 bis einschließlich dem dritten Quartal 2023 wurden in der Ruhrgebietsstadt mehr als 140 Fälle behandelt. In fast der Hälfte der Fälle konnte der Wohnraum gerettet, in einigen Fällen neuer Wohnraum vermittelt werden. "Das ist ein großartiges Ergebnis, das zeigt, wie groß der Bedarf ist – und wie wichtig dieses Projekt ist. Ohne die abgestimmte enge Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten wäre ein solcher Erfolg nicht möglich", sagt Frank Bremkamp, Bereichsleiter Soziales, Gesundheit, Integration beim Diakoniewerk Oberhausen.
Landesweit gibt es in der Initiative rund 70 dieser Projekte. Doch die Förderung vom Land Nordrhein-Westfalen und dem Sozialfonds der Europäischen Union läuft 2025 aus. "Wir müssen jetzt gemeinsam überlegen, wie wir die Projekte weiterfinanzieren können", so Jan Orlt, im Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) für Wohnungslosenhilfe zuständig. "Wir fordern, dass die Kreise, Städte und Gemeinden die Finanzierung dieser erfolgreichen Projekte weiterführen. Denn ohne die Projekte fehlen dringend benötigte zusätzliche Angebote zur gezielten Suche nach geeigneten Wohnungen und zur Prävention." Beratungsstellen könnten den notwendigen Beratungsbedarf nicht auffangen. "Dann werden mehr Menschen ihre Wohnung verlieren, die wir jetzt vor der Wohnungslosigkeit bewahren können", sagt der Diakonie RWL-Referent. "Und weniger Menschen finden eine dringend benötigte Wohnung."
Ungewisse Zukunft
Ob "Endlich ein Zuhause!" in Oberhausen über das Jahr 2025 hinaus fortgesetzt werden kann, ist derzeit unklar. "Wir hoffen es jedoch", sagt Frank Bremkamp und ergänzt: "Ich habe mit der Stadt Oberhausen vereinbart, die Fortführung als Thema im nächsten Quartalsbericht zu platzieren."
Die Garage, die für kurze Zeit das Zuhause des Ehepaares A. war, hat die Familie übrigens immer noch. Gleiches gilt für den Kontoauszug, den Frau A. unmittelbar nach der Räumung gezogen hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren 1,95 Euro auf dem Konto. "Wenn auch zu einem sehr hohen Preis: Die Räumung hat unsere Familie noch mehr zusammengeschweißt. Trotzdem waren wir froh und sind immer noch dankbar, dass es Menschen gab, die uns ganz ohne eigenes Interesse geholfen haben."
Text: Diakoniewerk Oberhausen/Lisa Peltzer mit Diakonie RWL/Jana Hofmann; Fotos: Diakoniewerk Oberhausen/Lisa Peltzer und Shutterstock
Soziale Hilfen
Deutschland hat sich in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen dazu bekannt, die Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu überwinden. Zu diesem Zweck wird derzeit ein Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit erstellt. Der Referentenentwurf befindet sich in der Ressortabstimmung. Parallel dazu findet die Länder- und Verbändeanhörung statt, an der sich die Diakonie Deutschland und der Evangelische Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe (EBET) e.V. – Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe – beteiligen.
Diese wichtigen Aktivitäten auf Bundesebene müssen auf Länderebene auch zukünftig durch Programme wie "Endlich ein Zuhause!" flankiert werden, damit Wohnungslosigkeit tatsächlich bis 2030 überwunden werden kann. Die Diakonie RWL begleitet diese Prozesse auf allen Ebenen aktiv mit. Sie ist im regelmäßigen Austausch mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW und beteiligt sich im EBET.
In Oberhausen setzen das zunächst bis zum Jahr 2025 bewilligte Projekt zum Wohnraumerhalt und der professionellen Wohnraumakquise das Diakoniewerk Oberhausen, die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Oberhausen, die SBO Servicebetriebe Oberhausen und die Stadt Oberhausen gemeinsam um. Gefördert wird es vom Land Nordrhein-Westfalen und dem Sozialfonds der Europäischen Union.