Lust auf soziale Berufe
Für meine Frühschicht als Altenpfleger im Seniorenstift Bethanien stehe ich um 4.15 Uhr auf. Dafür brauche ich eine Anlaufzeit, obwohl ich Frühaufsteher bin. Der obligatorische Kaffee am Morgen hilft, den trinke ich meistens auf dem Balkon. Danach kümmere ich mich um meine Katze, die Diabetes hat: Sie bekommt erstmal einen Schuss Insulin. Um 5.30 Uhr breche ich auf zur Arbeit.
Das Seniorenstift gehört der Stiftung Krankenhaus Bethanien an. Die Klinik ist ein akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Duisburg-Essen.
Lieber Frühdienst als Nachtschicht
Ich liebe den Frühdienst. Spätdienst ist ok. Aber die Nachtschicht bringt meinen Bio-Rhythmus komplett durcheinander. Ein Nachtdienst-Block geht zum Beispiel über das ganze Wochenende: Freitags um 20.30 Uhr in die Nacht hinein und um 6.30 Uhr morgens wieder heraus – also zehn Stunden mit 45 Minuten Pause in der Nachtwache.
Das passiert mindestens einmal im Monat und danach habe ich zwei Tage frei. Ansonsten wechseln sich Früh- und Spätdienstwochen ab. In der Nacht ist es für Patienten mit Demenz wichtig, dass sie ihren Schlaf bekommen. Ich begleite die Patienten beim Zubettgehen, damit sie zur Ruhe kommen. Ich mache drei Kontrollgänge in der Nacht, in jedes einzelne Zimmer, denn manche Patienten decken sich auf oder haben Angstzustände. Dann zeige ich, dass ich für die Patienten da bin und auf sie aufpasse. Ich sitze auf der Bettkante und wir sprechen ganz ruhig miteinander.
Im Seniorenstift Bethanien haben die verschiedenen Etagen unterschiedliche Farben. Das hilft den Menschen mit Demenz bei der Orientierung.
Orientierung für den Tag geben
"Guten Morgen Frau Tippelkamp, wir haben sieben Uhr, heute ist Dienstag". Sätze wie diese helfen morgens, eine Orientierung für den Start in den Tag zu geben. In der Frühschicht helfe ich bei der Mobilisierung. Dabei mache ich bereits Prophylaxen wie Bewegungsübungen auf der Bettkante. Ich begleite die Bewohner ins Badezimmer und leite zur Grundpflege an. Häufig sind die Patienten desorientiert, dann mache ich Bewegungen vor, wie das Waschen unter dem Arm. Ich unterstütze beim Ankleiden, danach geht es in den Tagesraum zum Frühstück. Einige bekommen es angereicht – plus Medikamente.
Nach dem Frühstück folgt die Dokumentation, was ich mehrmals am Tag mache. Auffälligkeiten wie Rötungen oder Schmerzen halte ich dabei fest. Ansonsten organisiere ich Arzttermine, spreche mit Betreuern und Sanitätshäusern oder fordere Rezepte bei Ärzten an. Dann gibt es das Mittagsessen und die Dienstübergabe für den Spätdienst.
Als Altenpfleger fällt mir der Umgang mit Menschen mit Demenz leicht, damit habe ich überhaupt keine Probleme. Schwer fällt es mir, wenn jemand gegangen ist und ich die Angehörigen informieren muss. Dann muss ich durchatmen und überlegen, was ich sage. Diese Botschaft zu übermitteln ist für mich unangenehm.
Der "Green Screen" gehört zu Jim Ayags festem Equipment, um Videos für Social Media zu produzieren.
Nach der Schicht beginnt das Posten
Nach meiner Arbeit beginne ich noch im Auto mit einer kleinen Instagram-Story. Da sage ich meiner Community, wie der Tag so aussieht. Meistens poste ich zu aktuellen Themen aus dem Fernsehen oder zur Politik. Ich suche mir ein Thema aus und sage einfach meine Meinung. Meistens aber rege ich mich über meckernde Pflegekräfte auf.
Gegen 15 oder 16 Uhr poste ich weiter oder drehe ein TikTok – das ist ein 15- bis 30-sekündiges Video – in meinem Drehzimmer, in dem das Equipment steht. Ich drehe TikToks grundsätzlich zuhause vor dem "Green Screen". Die TikToks plane ich vor: Ideen dazu halte ich mit Notizen fest, die ich dann in einem witzigen Video mit einer Botschaft verarbeite. Mit Schnitt und Nacharbeit für ein Video brauche ich etwa eine Stunde. Eine Story auf Instagram ist zeitaufwändiger: Ich drehe, schreibe Untertitel für die Barrierefreiheit, verziere die Videos digital und beantworte Reaktionen und Direktnachrichten.
Meine Community würde gerne mehr Privates von mir erfahren, aber ich achte darauf, dass es Kanäle mit Inhalten zum Thema Pflege bleiben. Die bestehen in erster Linie aus Pflegesituation, die ich aus meinem Alltag kenne. Ich stelle ironisch dar, womit sich Pflegekräfte identifizieren können. Ich hebe das Positive der Pflege hervor. Aktuell spricht gefühlt die ganze Welt von Intensivpflege, aber viele vergessen die Altenpflege. Das möchte ich ändern!
Auf TikTok folgen Jim Ayag knapp 380.000 Abonnenten. Auf Instagram 27.000.
"Irgendwann war ich Pflege-Influencer"
Schleichend habe ich mehr und mehr Reichweite auf TikTok und Instagram bekommen. Dann kamen immer mehr Anfragen für Interviews, Meinungen, Statements. Und irgendwann habe ich gedacht: "Ich glaube, ich bin Influencer."
Eine Zeit lang haben mir viele junge Menschen ihre Ausbildungsverträge geschickt, um zu sagen: "Ich bin durch dich zur Pflege gekommen." Und jetzt bin ich als Influencer da und habe unverändert Spaß daran. Meine Kolleginnen und Kollegen nehmen meine Influencer-Arbeit für die Pflege gut auf. Sie unterstützen mich, sprechen mir zu oder äußern auch mal Kritik. Eine Kollegin ist mein größter Fan, Schwester Sandra. Von meinem Arbeitergeber bekomme ich volle Unterstützung, das ist sehr cool.
"Hates" für Aufklärung über Impfungen
Manchmal bekomme ich Morddrohungen von Querdenkern. Einmal hat mir jemand, der mich in der Öffentlichkeit erkannt hat, vor die Füße gespuckt. Manche Pflegekräfte beschimpfen mich online, wenn ich über die Pflegekammer oder Berufsverbände spreche – nach dem Motto: "Wie kannst DU für die Werbung machen?" Aber ich vertrete einfach nur meine Meinung. Am Anfang war das schwer. Mir hilft es aber, wenn ich mich in privaten Gruppen auf Social Media austausche. Das Influencen erweitert meinen Horizont: Ich liebe es, mich zu vernetzen und Menschen kennenzulernen.
Als Altenpfleger und Influencer habe ich einen vollen Tag, aber abends ist bei mir Family-Time. Dann gehe ich mit meinem Mann gerne spazieren oder treffe mich mit meiner Familie. So schalte ich ab. Auch in der Freizeit bin ich sehr humorvoll. Ich bin halt Filipino – da scheint die Sonne aus dem Herzen, wie man so sagt.
Text: Christoph Bürgener, Redaktion: Hahn/Damaschke, Fotos: Jim Ayak, Ev. Stiftung Bethanien, pixabay