Tag der Bahnhofsmission
Dauert eine Krise lang genug an, entwickeln sich auch im Ausnahmezustand neue Strukturen und Routinen. In der Bahnhofsmission Duisburg ist es die Ausgabe der Lebensmittelpakete. Es ist ein ungewohntes Bild. Die rund 35 Hilfesuchenden – Alleinerziehende, Wohnungslose, Senioren, Suchtkranke und ganze Familien – reihen sich mit mindestens zwei Metern Sicherheitsabstand in einer langen Schlange vor den Ausgabetischen im Tunnel des Duisburger Bahnhofs auf. Die mit Nasen-Mundschutz und Handschuhen ausgestatteten Mitarbeitenden der Bahnhofsmission übergeben ihnen die Tüten mit Butterbroten, Kaffee und einigen Süßigkeiten. "Wir wollen weiterhin präsent sein. Das geht nur, wenn wir unsere Klienten und uns schützen", sagt Bodo Gräßer, einer der beiden Leiter der Bahnhofsmission.
Gemeinsam essen: Das Frühstück in den Bahnhofsmissionen fällt jetzt weg.
Hilfe auf 1.000 Quadratmetern
Weiter da sein, vor allem in der Krise: Das ist auch der Bahnhofsmission Münster wichtig. Als die Station am Bahnsteig 9/12 schließen musste, taten sich die Mitarbeitenden mit der Wohnungslosenhilfe von Diakonie und Caritas, Verantwortlichen der Stadt Münster und der Gemeinde der Herz-Jesu-Kirche zusammen.
Herausgekommen ist das erste Tagesangebot für Wohnungslose in der Corona-Krise. Im rund 1.000 Quadratmeter großen Pfarrer-Eltrop-Heim können die Hilfesuchenden täglich zwischen 10 und 16 Uhr frühstücken, zu Mittag essen, duschen und ihre Wäsche waschen. "Wir haben im großen Saal Tische mit genügend Abstand aufgestellt. Die Küche wurde mit einer Plexiglasscheibe abgetrennt, und wir haben ein improvisiertes Büro eingerichtet", erzählt Julia Kunzelmann von der Beratungsstelle für Wohnungslose der Diakonie Münster. Bis zu 110 Menschen kommen jeden Tag in die Einrichtung, um sich zu unterhalten, einen Kaffee zu trinken oder mit dem nötigen Abstand Karten zu spielen.
"Viele unserer Gäste sagen uns: Zuhause fällt mir die Decke auf den Kopf. Einsamkeit ist ein großes Thema", sagt Kunzelmann. Aber auch die Ungewissheit setze den Gästen zu. Viele arbeiteten bei Zeitarbeitsfirmen oder hätten nur befristete Arbeitsverträge. "Sie haben jetzt große Angst, bald ohne Arbeit dazustehen."
Auch in der Krise da: Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission unterstützen die Menschen weiter und halten dabei genügend Abstand.
Nähe per Telefon
Das Alleinsein und die Kontaktbeschränkungen sind auch für viele der Stammgäste der Bahnhofsmission Duisburg herausfordernd. "Eine unserer Besucherinnen, eine ältere Dame, ruft regelmäßig bei uns an", erzählt Gräßer. Über Ostern besuche sie normalerweise ihre Enkelkinder. In diesem Jahr musste sie alleine zuhause bleiben. "Das ist für viele eine ganz schwere Zeit."
Gemeinsam mit fünf weiteren Mitarbeitenden hält Bodo Gräßer den Laden am Laufen. Regulär arbeiten 43 Menschen – zum Großteil Ehrenamtliche – in der Bahnhofsmission. "Innerhalb von 24 Stunden sind wir von 100 auf quasi 20 Prozent heruntergefahren", so Gräßer. Übrig geblieben ist das "Not-Team". Montags bis freitags ist es zwischen 07.30 und 19 Uhr für die Menschen da – am Telefon oder auf dem Vorplatz des Bahnhofs mit genügend Abstand.
"Wir sind gut vernetzt mit anderen niederschwelligen Angeboten in Duisburg und können auch weitervermitteln." Er mache sich Gedanken um so manchen Stammgast, der jetzt in der Krise nicht mehr komme. "Viele der Grundbedürfnisse lassen sich jetzt nur schwer erfüllen." In den Kaufhäusern konnten sich Wohnungslose vor der Corona-Krise die Hände waschen und zur Toilette gehen. All das fällt jetzt weg.
Auch in Notlagen für die Menschen da: Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmissionen hören zu und unterstützen. (Foto: Bahnhofsmission).
Studierende helfen aus
Wie bei der Bahnhofsmission Duisburg müssen auch in Münster viele der älteren Ehrenamtlichen zuhause bleiben. Als klar war, dass die Bahnhofsmission im Pfarrer-Eltrop-Heim ein Notangebot öffnen kann, meldeten sich zahlreiche Studierende. "Wir haben aktuell rund 70 Ehrenamtliche, die in drei Schichten am Tag die Essensausgabe leiten", sagt Kunzelmann.
Das Frühstück bereiteten die Ehrenamtlichen zu, mittags bringe das Technische Hilfswerk Essen. "Ich bin ganz begeistert, von dem großen Einsatz der Ehrenamtlichen", lobt die Diakonie-Mitarbeiterin. Eine der Ehrenamtlichen kümmere sich um die Backwaren. Jeden Tag fahre sie mit ihrem Auto die unterschiedlichen Bäckereien ab und sammele die Brotspenden ein. "Ohne unsere Ehrenamtlichen hätten wir es nicht so schnell geschafft von einem Tag auf den anderen komplett neue Strukturen aufzubauen", betont Kunzelmann.
"kids on tour": Reisehilfe ist außerhalb der Corona-Krise ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Ehrenamtliche begleiten Kinder bei Zugreisen (Foto: Diakonisches Werk Duisburg, Andreas Reinsch).
Reisehilfen fallen weg
"Die Arbeit ist jetzt eine ganz andere. Reisehilfen gibt es so gut wie gar nicht mehr. Zu Beginn der Krise haben wir noch rumänischen und bulgarischen Menschen, die hier arbeiten, geholfen, in ihre Heimat zurückzukommen. Die Busverbindungen waren da schon eingestellt", erzählt Gräßer.
Immer mal wieder erkundigten sich Menschen, ob es eine gute Idee sei, wieder Zug zu fahren. "Wir raten da immer von ab und fragen, ob die Reise notwendig ist und es jemanden gibt, der den Reisenden im Auto fahren könnte." Etwas Gutes bringe die Krise aber auch mit sich: "Ich erfahre, dass ich mehr Zeit habe. Die einzelnen Kontakte zu den Menschen sind wesentlich intensiver", erzählt Gräßer. Hilfsbereitschaft und Nähe, trotz physischer Distanz, sind die Lichtblicke an dem Tag der Bahnhofsmission 2020.
Text: Ann-Kristin Herbst, Fotos: Evangelischer Kirchenkreis Duisburg, Reinsch, Bürgener, Herbst.
Ehrenamt / Freiwilliges Engagement
Corona-Hilfspaket der Deutschen Bahn
Kontaktsperren, Sicherheitsabstände, Gesundheitsrisiken, aber auch Engpässe bei Schutzmaterialien, Hygieneartikeln und Lebensmitteln machen ein normales Arbeiten äußerst schwierig. Viele Wohnungslose, Bedürftige und Menschen, die sonst niemanden haben, sind aber gerade in diesen Zeiten auf die Hilfe angewiesen. Die Deutsche Bahn Stiftung hat ein Corona-Soforthilfeprogramm gestartet, aus dem alle 104 Bahnhofsmissionen bundesweit insgesamt bis zu 100.000 Euro abrufen können. Dadurch können Hilfsgüter wie zum Beispiel Lebensmittel, Hygiene- oder Schutzartikel oder die Ausstattung für Gäste wie Kleidung, Schlaf- oder Rucksäcke beschaffen werden. Außerdem stellt die DB allen Bahnhofsmissionen zum Schutz von Mitarbeitern und Gästen zur Verfügung. (Quelle: Deutsche Bahn).