20. Februar 2025

Bahnhofsmissionen

Eine Million Mal Hilfe

Familien mit Kindern, arme Menschen, Senior*innen, wohnungslose Menschen, Menschen mit Drogen- und Suchterfahrung – die Gäste der 23 Bahnhofsmissionen in NRW sind sehr verschieden, Anforderungen an die Mitarbeitenden steigen. Die Diakonie RWL hat mit dem NRW-Sozialministerium besprochen, wie die wertvolle Arbeit der Bahnhofsmissionen auch künftig gesichert werden kann.

  • Die Ehrenamtliche Barbara Günster berichtet über ihre Arbeit.
  • Im Austausch: Stellte sich den Fragen: Markus Leßmann, Kirsten Schwenke und Karen Sommer-Loeffen.
  • Kirsten Schwenke begrüßt die Teilnehmenden des Austauschs.
  • Markus Leßmann stellt sich den Fragen.

"Erst kürzlich hatten wir einen jungen Mann in der Bahnhofsmission zu Besuch", berichtet Ingrid Gündisch, die Leiterin der Bahnhofsmission im Düsseldorfer Hauptbahnhof. "Er stammt aus Rumänien, kam aber aus den Niederlanden zu uns. Er war komplett mittellos, sprach kein Deutsch und hatte keine Ausweispapiere mehr. Wir vermuten, dass er in den Niederlanden in einem prekären Arbeitsverhältnis war, seine Papiere ihm dort abgenommen wurden und er nun seinen Job fluchtartig verlassen hat, weil er es nicht mehr ausgehalten hat." 

Die erfahrene Sozialarbeiterin spricht ruhig, aber bestimmt. "Aus dem Alltag einer Bahnhofsmission" ist ihr kurzer Impuls überschrieben. Damit gibt Ingrid Gündisch einen Einblick in ihr Tagesgeschäft – Einblicke in Armut, Orientierungslosigkeit, Krankheit, Sucht. Einblicke, bei denen die meisten Menschen lieber wegschauen, wenn sie ihnen bei ihrem Weg durch den Bahnhof begegnen. 

"Die Bahnhofsmissionen leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft", so Diakonie RWL-Referentin Kirsten Schwenke.

"Die Bahnhofsmissionen leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft", so Diakonie RWL-Referentin Kirsten Schwenke.

Bahnhofsmissionen sind vom Netz gegangen 

Die Diakonie RWL hat mir ihrem Fachverband der evangelischen Bahnhofsmissionen zu einem Austausch eingeladen. Einem Austausch mit dem NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), bei dem es darum geht, wie die Arbeit der Bahnhofsmissionen in den nächsten Jahren finanziell abgesichert werden kann. In NRW mussten in den vergangenen drei Jahren drei Bahnhofsmissionen ihre Arbeit einstellen. Ihre Türen sind seither verschlossen. 

23 Bahnhofsmissionen gibt es derzeit noch in NRW, an 22 davon ist die Diakonie als Träger beteiligt. "Die Bahnhofsmissionen leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft", macht RWL-Vorständin Kirsten Schwenke in ihrer Begrüßung deutlich. "Die Mitarbeitenden in den Bahnhofsmissionen tragen zur sozialen Mobilität bei, leisten Umsteigehilfe für Menschen mit Behinderungen, Senior*innen oder Familien mit Kindern. Sie begleiten Menschen, die Unterstützung bedürfen: In den Zügen, in Not Geratene, die sich am Bahnhof aufhalten, obdachlose Menschen oder Menschen in akuten Notsituationen. Sie sind somit Seismografen unserer Gesellschaft." Und dann kommt diese beeindruckend hohe Zahl: "Allein in NRW leisteten unsere 23 Bahnhofsmissionen im vergangenen Jahr eine Million Mal Hilfe." 

"Bei uns können Gestrandete zur Ruhe kommen", berichtet die Kölner Ehrenamtliche Barbara Günster.

"Bei uns können Gestrandete zur Ruhe kommen", berichtet die Kölner Ehrenamtliche Barbara Günster.

Akku aufladen 

Eine Frau, die zu dieser Zahl mit beiträgt, ist Barbara Günster. Sie engagiert sich mehrmals pro Woche als Ehrenamtliche in der Bahnhofsmission am Kölner Hauptbahnhof. "Bei uns können Gestrandete zur Ruhe kommen. Wir unterstützen nicht nur Menschen im Rollstuhl, Familien mit Kinderwagen oder Menschen mit viel Gepäck. Auch Jugendliche oder geflüchtete Menschen nehmen unsere professionelle Reiseplanung- und begleitung in Anspruch." Die Kölner Bahnhofsmission, mit 80 Ehrenamtlichen eine der größten bundesweit, bietet aber noch viel mehr. Günster: "Bei uns kann man seinen inneren Akku wieder aufladen. Oder den vom Mobiltelefon oder Laptop. Wir wärmen Essen auf, das Menschen mitbringen – oder vermitteln zu Ausgabestellen, wenn sie kein Essen haben." Was ihr besonders viel Freude macht bei ihrer Arbeit? "Dass wir so ein vielfältiges Team sind – junge und ältere Menschen, Frischlinge und ganz Erfahrene, Bundesfreiwilligendienstleistende. Und dass jede Bahnhofsmission anders ist." Denn sie passten sich den jeweils speziellen Bedürfnissen der Klient*innen und jeweiligen Bahnhofsquartieren an. "Wenn ich zum Beispiel mit Menschen mit Demenz zu tun habe, die sich im Bahnhof nicht zurechtfinden, braucht es eine andere Art von Fingerspitzengefühl, als wenn ein Mensch mit einer Drogengeschichte uns aufsucht", sagt Barbara Günster. 

Dass das Aufgabenspektrum der Bahnhofsmissionen immer vielfältiger und umfangreicher wird, berichten alle Träger. Diakonie RWL-Expertin Karen Sommer-Loeffen fasst es so zusammen: "Die Problemlagen werden immer komplexer. Die Not der Menschen immer extremer." Das können Bahnhofsmissionen dank ihrer jahrzehntelang akribisch geführten Statistik gut belegen. In diesem Jahr wird die Dortmunder Bahnhofsmission 125 Jahre alt – ein Jubiläum, das in Bonn im vergangenen Jahr bereits gefeiert wurde. Wie lange man diese Angebote noch offenhalten könne, beschäftigt auch Tobias Köhler sehr. Natürlich, sagt der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Bonn und Region, wolle die Diakonie, so irgend möglich, die Bahnhofsmission erhalten – die Bahnhofsmissionen gehörten schließlich zur DNA der Diakonie. Aber: "Solange die öffentliche Hand ihren fiskalischen Druck an die Träger der freien Wohlfahrtspflege weitergibt, so lange gerät unser Gesamtgefüge ins Wanken." 

Ehrenamtliche brauchen eine gute Begleitung, so Diakonie RWL-Expertin Karen Sommer-Loeffen.

Ehrenamtliche brauchen eine gute Begleitung, so Diakonie RWL-Expertin Karen Sommer-Loeffen.

Ehrenamt braucht Hauptamt 

Das gelte insbesondere für die unverzichtbare Arbeit der vielen ehrenamtlich Engagierten. Ohne sie hätten schon längst mehr Bahnhofsmissionen dichtmachen müssen. "Ehrenamt braucht Hauptamt", stellt Karen Sommer-Loeffen klar. Dabei gehe es längst nicht nur darum, Dienstpläne zu erstellen, Kaffee zu kochen und die Räume aufzuschließen. "Wenn sich die sozialen Hilfeleistungen ausdifferenzieren und somit das Engagement in der Bahnhofsmission immer stärker herausfordert, brauchen die Ehrenamtlichen natürlich eine gute Begleitung." Das schließe eine strukturierte Einarbeitung ebenso ein wie regelmäßige Weiterbildungen, Reflexionsgespräche und Supervision. 

Komplexere Anforderungsprofile und auch quantitativ steigender Bedarf – wie passt damit zusammen, dass die Bahnhofsmissionen so stark wie nie um ihre Finanzierung bangen müssen? Sommer-Loeffen: "Die Grundfinanzierung bestreiten die evangelische und die katholische Kirche allein aus Kirchensteuern. Hinzukommen Spenden, auch von der Deutsche Bahn Stiftung, projektbezogene öffentliche Mittel sowie in einigen wenigen Städten Unterstützung aus dem kommunalen Haushalt." Doch die Einnahmen der Kirchensteuern sinken rapide. Somit steht auch die Arbeit der Bahnhofsmissionen auf dem Spiel.  

Stellte sich den Fragen: Markus Leßmann, Abteilungsleiter für Soziales im NRW-Ministerium.

Stellte sich den Fragen: Markus Leßmann, Abteilungsleiter für Soziales im NRW-Ministerium. 

Vielleicht kann das Land NRW helfen 

Dazu hat Markus Leßmann, Abteilungsleiter für Soziales im NRW-Ministerium, Fragen. "Mich wundert, dass wir nicht seit Jahren intensiver miteinander in Kontakt stehen. Das möchten wir gerne ändern", sagt er. Und stellt dar, dass das von Karl-Josef Laumann (CDU) geführte Ministerium in der Tat daran arbeitet, systematisch mit einer umfassenden Strategie die Armutsbekämpfung aus dem NRW-Koalitionsvertrag umzusetzen. "Die Bahnhofsmissionen mit ihrer Arbeit und ihren vielfältigen Personenkontakten sind wichtige Partner für uns und helfen, dass Maßnahmen auch wirklich bei den Betroffenen ankommen. Das ist für unsere Hausleitung von großer politischer Bedeutung ", so Leßmann. Natürlich kann er an diesem Vormittag nicht einfach die Schatulle öffnen und alle Sorgen nehmen. Aber er kann Kontakte anbahnen – zur Deutschen Bahn, zu den beteiligten Städten – und Prozesse anschieben. Die Forderung der Diakonie RWL aus dem jüngsten NRW-Landtagswahlkampf, für jede Bahnhofsmission eine hauptamtliche Leitung zu finanzieren, möglicherweise auch in einem gemeinsamen Konzept mit den Städten, findet er interessant. Und verfolgenswert. 

Wie hatte es die ehrenamtliche Helferin Barbara Günster von der Kölner Bahnhofsmission so schön formuliert: "Jeder Mensch möchte doch zuallererst einmal als Mensch gesehen und wahrgenommen werden. Und das versuchen wir bei der Bahnhofsmission jeden Tag neu." Es wäre ein großer Erfolg, wenn es den kirchlichen Trägern gelänge, hierfür künftig auch die NRW-Landesregierung als Partnerin zu gewinnen. 

Text: Franz Werfel; Fotos: Diakonie RWL/Jana Hofmann 

Ihr/e Ansprechpartner/in
Franz Werfel
Stabsstelle Politik und Kommunikation