Donnerstag, 31. August 2023
Rettet den Offenen Ganztag!
Familien-Staatssekretär Lorenz Bahr: "Das können die Träger nicht alleine schaffen"
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Jugend und Schulen
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"Es ist mir völlig klar, dass Sie das als Träger nicht allein schaffen können", sagte Bahr bei der Jahresversammlung des Evangelischen Fachverbands Ganztagsangebote an Schule Rheinland-Westfalen-Lippe der Diakonie RWL. Diakonie RWL-Experte Tim Rietzke mahnte schnelle Hilfen an: "Land und Kommunen müssen jetzt den Offenen Ganztag retten. Ein OGS-Rettungsschirm muss schleunigst aufgespannt werden."
Einer aktuellen Mitgliederbefragung der Diakonie RWL zufolge rechnen neun von zehn OGS-Träger in diesem Jahr mit einem negativen Jahresergebnis. Grund dafür sind vor allem die Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro, die die Träger jedem Mitarbeitenden zwischen Juni 2023 und Februar 2024 zahlen müssen, sowie die hohen Tarifsteigerungen von durchschnittlich elf Prozent, die ab März 2024 fällig werden. Hinzu kommt ein ohnehin vorhandenes strukturelles Finanzierungsdefizit, das die Träger bisher durch Querfinanzierungen ausgleichen konnten. Jeder dritte OGS-Träger gab bei der Befragung an, noch in diesem Jahr in einen Liquiditätsengpass zu rutschen.
Bahr: "Kommunen in der Pflicht"
Vor diesem Hintergrund sagte Lorenz Bahr: "Es ist mir völlig klar, dass Sie das als Träger nicht allein schaffen können." Der Verweis aufs Land trage jedoch nicht. Denn erster Ansprechpartner für die Finanzierung des Offenen Ganztags seien die kommunalen Jugendämter. "Wir werden die Kommunen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Kita und OGS sind in allererster Linie kommunale Aufgaben."
Für die OGS-Finanzierung ist das Landesschulministerium zuständig. In dessen Entwurf für den Landeshaushalt 2024 steht aktuell lediglich die gesetzlich verpflichtende Anhebung der OGS-Förderung um drei Prozent, also von bisher 1.042 auf dann 1.073 Euro pro Platz und Schuljahr. Bahr: "Um es klar zu sagen: Was wir als Landesregierung vorgelegt haben, ist ein Sparhaushalt. Alle Ressorts haben Einsparungen vorgenommen, damit wir bei Kindern, Jugendlichen und Familien nicht kürzen müssen."
Rietzke: "Minimale Erhöhungen kommen Kürzungen gleich"
Dazu sagte Tim Rietzke, OGS-Experte bei der Diakonie RWL: "Die aktuell massiven Kostensteigerungen bewirken, dass die nur minimalen Erhöhungen wie Kürzungen wirken. Was die Landesregierung vorlegt, ist angesichts von Tarifsteigerungen von durchschnittlich elf Prozent zu wenig. Die Kommunen und das Land NRW schieben sich bei der Finanzierung des Offenen Ganztags gegenseitig die Verantwortung zu. Viele Eltern und Träger fühlen sich alleingelassen – und das weniger als drei Jahre, bevor Land, Kommunen und Träger miteinander einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich schaffen wollen."
Viele Familien, so Rietzke, seien durch die aktuellen Debatten verunsichert. "Wenn unsere Träger die Tarifsteigerungen nicht refinanziert bekommen, müssen sie entweder Gruppen schließen oder Einrichtungen ganz vom Netz nehmen." Oder sie müssten die wöchentlichen Betreuungszeiten beziehungsweise die Ferienbetreuung einschränken. "Leidtragende sind dann die Kinder, für die eine hochwertige pädagogische Begleitung wegfällt. Und natürlich die Eltern, wenn sie am frühen Nachmittag oder in den Ferienzeiten ihre Verantwortung für die Familie mit ihrem Beruf nicht mehr vereinbaren können."
Hintergrund: zwei Rechenbeispiele
Bei der Jahresmitgliederversammlung des Evangelischen Fachverbands haben zwei OGS-Träger ihre aktuellen Bilanzen öffentlich gemacht. Diese möchten wir Ihnen für Ihre Berichterstattung zur Verfügung stellen.
Birgit Hirsch-Palepu, Geschäftsführerin der Diakonie Mülheim an der Ruhr:
"Die Diakonie hat 54 OGS-Gruppen in Mülheim. Im Schuljahr 2022/23 hat die strukturelle Unterfinanzierung der OGS bei uns mit einem Minus von 270.000 Euro zu Buche geschlagen. In diesem Kalenderjahr kamen durch die gestiegenen Personalkosten weitere 330.000 Euro hinzu, also in Summe 600.000 Euro. Mit genau demselben Minus rechnen wir 2024 erneut – aufgrund der linearen Tarifsteigerungen ab März 2024 sowie aufgrund des strukturellen Defizits."
Ulrike Kilp, Geschäftsführerin der Diakonie im Kirchenkreis Solingen:
"Wir unterhalten 15 OGS-Gruppen in Solingen. In diesem Kalenderjahr fahren diese Gruppen zusammen ein Minus von 285.000 Euro ein – gerechnet ohne den Tarifabschluss. Mit dem Tarifabschluss kommen dazu noch einmal 100.000 Euro on top – pro Jahr."
Ansprechpartnerinnen:
Birgit Hirsch-Palepu, Geschäftsführerin der Diakonie Mülheim an der Ruhr: 0208/3003-225, hirsch-palepu@diakonie-muelheim.de
Ulrike Kilp, Geschäftsführerin der Diakonie im Kirchenkreis Solingen: 0212/287-257, ulrike.kilp@evangelische-kirche-solingen.de