10. Mai 2022

Integrationsagenturen

Mädchen und Frauen stärken

Hausaufgabenspaß, Tanz und Bewegung, "Mut tut gut"-Training: Das Internationale Mädchenzentrum Gladbeck stärkt mit Freizeitangeboten, Fahrradfahr-Kursen und offenen Treffen das Selbstbewusstsein von Frauen und Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte. Ein selbstbestimmtes Aufwachsen darf kein Privileg sein, fordert Leiterin Esther Montzka.

  • Mädchen stehen im Kreis bei einer Stärkungs-Übung im Internationalen Mädchenzentrum Gladbeck.
  • Der neu gewählte Vorstand des Fachverbands Flucht und Migration vor der Jugendherberge in Düsseldorf, in der die Mitgliederversammlung stattfand.
  • Mädchen stehen im Kreis bei einer Stärkungsübung im Internatinoalen Mädchenzentrum Gladbeck.

Der Verein Internationales Mädchenzentrum Gladbeck ist einer der kleinsten Träger in der Diakonie RWL. Sie richten sich im Schwerpunkt an Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte. Was bieten Sie ihnen an?

Uns geht es vor allem um niedrigschwellige Angebote. Vor Corona waren wir eine klassische offene Einrichtung, die tagesaktuell besucht werden konnte: Hausaufgabenspaß, Frauencafé, Do it Yourself-Werkstatt oder Tanz und Bewegung. Dazu kommen Angebote zur Selbststärkung: Empowerment- und "Mut tut gut"-Trainings.

Corona hat – wie bei vielen Einrichtungen – einiges verändert. Wir haben kleine Räume und müssen deshalb darauf achten, wie viele Besucherinnen wir herein lassen. Wer kommen will, kann sich spontan per Chat anmelden. Und wir haben auch ein digitales Angebot auf die Beine gestellt.

Wie sieht das konkret aus?

Da fällt mir gleich ein Mädchen ein, das wir bis heute begleiten. Sie kam 2016 als junges Mädchen zu uns. Sie und ihre Familie kommen aus dem Irak. Eines Tages kam der Vater mit seiner Tochter ins Mädchenzentrum und fragte, ob sie direkt nach ihrer Neuankunft in Deutschland bei uns mitmachen darf. Sie sprach kein Wort Deutsch, wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt.

Es ist eine ganz enge Bindung zu dem Mädchen entstanden, sie besucht heute immer noch unsere Einrichtung. Als sie anfangs zu uns kam, haben wir schnell bemerkt, dass sie besondere Unterstützung braucht: Die Fluchtsituation war sehr belastend und traumatisierend. Das alte Haus im Irak war der Sehnsuchtsort der Familie. Ihr älterer Bruder war noch im Irak und konnte nicht nachkommen, was die Familie stark belastete. Das Mädchen hat auch erlebt, wie traumatisiert die Mutter war. Das hat sich auch auf die Tochter niedergeschlagen.

Holzblöcke im Gras: "Ich bin stark!"

Das Mädchen absolvierte Empowerment-Trainings und konnte so Mut schöpfen.

Wie konnten Sie das Mädchen und die Familie in dieser schwierigen Situation unterstützen?

Leider wurde ihre Traumatisierung in der Schule nicht berücksichtigt: Im Schulsystem ist eine traumasensible Begleitung nicht vorgesehen.

Wir haben das Gespräch mit der Schule gesucht und schließlich hat das Mädchen die Schule gewechselt. Jetzt besucht sie eine Förderschule im Stadtteil und kann dort eine intensivere Begleitung erfahren.

Sie hat an all unseren Angeboten und unseren Empowerment-Trainings teilgenommen. Jetzt ist sie sehr gestärkt. Mittlerweile ist sie 16 Jahre alt und wir freuen uns sehr, ihre Entwicklung zu sehen: Sie hat sich von einem schüchternen, traumatisierten Mädchen zu einer sehr starken heranwachsenden jungen Frau entwickelt. Auch zuhause hat sich die Situation entspannt: Ihr älterer Bruder konnte endlich nach Deutschland nachkommen. Ihre Bedürfnisse kann sie ganz klar zum Ausdruck bringen. Zum Beispiel hat sie kürzlich ein Berufspraktikum absolviert und kann sehr gut formulieren, was sie braucht und was sie sich für ihre Zukunft wünscht.

Esther Montzka, Leiterin der Integrationsagentur und des Internationalen Mädchenzentrums Gladbeck.

"Ein selbstbestimmtes Aufwachsen ist für viele Mädchen noch immer ein Privileg – das kann nicht sein", betont Esther Montzka.

Derzeit laufen erstmals die landesweiten Aktionstage der Integrationsagenturen und Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit. Bis zur Landtagswahl am 15. Mai stellen sie ihre Arbeit vor. Warum braucht es die Aktionstage überhaupt?

Wir wollen mit den Aktionstagen unser Profil schärfen und den Austausch stärken. Nordrhein-Westfalen ist vor 15 Jahren innovativ vorangegangen und hat die Integrationsagenturen auf den Weg gebracht. Dadurch haben wir mit unseren vielfältigen Projekten eine Strahlkraft, die man auch bundesweit wahrnimmt. Leider kennen noch zu wenige Menschen unsere Angebote. Das wollen wir ändern.

Die Integrationsagenturen
Die 172 Integrationsagenturen und 42 Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit in Nordrhein-Westfalen haben das Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe von zugewanderten Menschen zu verbessern. Sie sind seit 2007 in den Kommunen, Stadteilen und Quartieren aktiv und arbeiten mit Gemeinden, Behörden, Einrichtungen oder Initiativen zusammen. Die Integrationsagenturen bieten unter anderem Sprachkurse, Kinder-Freizeitangebote, Coachings für Frauen, Angebote für Senioren*innen oder Schulungen für Ehrenamtliche. Träger sind die Wohlfahrtsverbände, das Land fördert die Integrationsagenturen.

In wenigen Tagen ist Landtagswahl in NRW. Was fordern Sie von der nächsten Landesregierung?

Gerade aus der Perspektive unseres kleinen Trägervereins ist eine gute Finanzierung ein riesiges Thema. Ohne eine langfristige Förderung und eine Anpassung an die wachsenden Kosten könnte es passieren, dass Träger ihre Angebote nicht aufrechterhalten können. Der Wunsch wäre auch hier eine 100 Prozent geförderte Strukturförderung, auch als Wertschätzung der langjährig vorbildlichen Integrationsarbeit der freien Wohlfahrtsverbände.

Die Integrationsagenturen sind unverzichtbar, um ein gutes, faires und friedliches Zusammenleben aller Menschen in NRW zu gestalten. Es ist deshalb ein wichtiges und richtiges integrationspolitisches Signal, unsere Arbeit finanziell zu stärken.

Mit einer gesicherten Finanzierung können wir unsere Strukturen festigen und ausbauen. Im Internationalen Mädchenzentrum sind unsere Kapazitäten sehr ausgeschöpft. Wir würden gerne noch mehr anbieten, um Mädchen und Frauen zu stärken: Der Bedarf ist da, wir können ihn aber leider nicht komplett abdecken.

Das Gespräch führte Jana Hofmann.
Fotos: Internationales Mädchenzentrum Gladbeck, 
Hanna Zängerling, Privat

Ihr/e Ansprechpartner/in
Dalia Höhne
Geschäftsfeld Flucht
Weitere Informationen

Zur Person 
Esther Montzka leitet die Integrationsagentur und das Internationale Mädchenzentrum Gladbeck. Sie ist außerdem Vorstandsmitglied des Fachverbands Migration und Flucht in der Diakonie RWL. Die 46-Jährige ist Kommunikationswissenschaftlerin mit Psychologie-Studium und ist selbst in dem Stadtteil Brauck aufgewachsen, in dem das Internationale Mädchenzentrum angesiedelt ist. "Ein selbstbestimmtes Aufwachsen ist für viele Mädchen noch immer ein Privileg – das kann nicht sein", betont Esther Montzka. "Es liegt mir sehr am Herzen, Mädchen und Frauen zu fördern und ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen."