Themenreihe Familie
Auf welchen Wegen finden Paare zu Ihnen in die Trennungs- und Scheidungsberatung?
Dobbek: Ein kleinerer, aber permanenter Teil kommt tatsächlich über das Familiengericht. Das muss man sich so vorstellen, dass der Familienrichter sieht, dass sich das Paar auf gar nichts einigen kann. Er pausiert dann das Scheidungsverfahren und empfiehlt eine Familienberatung. In sehr seltenen Fällen wird die Beratung auch angeordnet. Viele Zugänge kommen aber auch über unsere Homepage oder durch Mund-zu-Mundpropaganda. Viele suchen uns auch bewusst aus, weil wir eine evangelische Beratungsstelle sind. Oft besteht die Vorannahme, dass Kirche und Trennung nicht zusammenpassen. Es wird dann als sehr wohltuend erlebt, dass wir als Teil der Kirche Trennungsberatung anbieten.
Kinder werden oft Zeuge von Konflikten zwischen den Eltern oder werden sogar mit hineingezogen, sagt der Psychotherapeut Thomas Dobbek.
Welche sind die häufigsten Konflikte zwischen den getrennten Eltern, die zu Ihnen kommen?
Dobbek: Häufig können getrennte Paare den Kernkonflikt zwischen ihnen – also etwa die Kränkungen, die Verletzungen, die erkalteten Gefühle oder eben die Wut – nicht von ihrer Rolle als Mutter oder Vater trennen. Oft gibt es Streit um das Umgangsrecht oder das Sorgerecht. Die Kinder werden dann Zeuge von Konflikten zwischen den Eltern oder werden sogar mit hineingezogen. Ein wichtiger Impuls ist es dann, den Ratsuchenden zu vermitteln, dass sie sich als Paar trennen können, aber als Eltern ein Leben lang zusammenbleiben. Sie bleiben immer gemeinsame Eltern ihrer Kinder, nicht nur genetisch, sondern auch emotional und sozial. Sie sind als Eltern verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es ihrem Kind trotz der Trennung so gut wie möglich geht.
Die Auswirkungen ihrer Streitigkeiten versuche ich den Eltern in der Beratung dann mit dem Bild zu verdeutlichen, dass ihr Kind ein Gefühlsseismograf ist. Das heißt, jede kleine Szene, jedes kleine verbale Scharmützel ist bei den kleinen Gefühlsseismografen im negativen Sinne ein Volltreffer, also führt zu erheblichen Ausschlägen. Wir versuchen, die Erwachsenen dazu zu bewegen, durch Kinderaugen zu gucken und sich in das Kinderherz einzufühlen.
Wie können Eltern dafür sorgen, dass ihre Trennung trotz der Konflikte friedlich abläuft?
Dobbek: Grundsätzlich ist es als erstes immer klug zu schauen, was gut an der Beziehung war. Was haben wir gemeinsam bewältigt und geschafft? Trotz Enttäuschung und Schmerz und auch, wenn es nicht für eine dauerhafte Beziehung gereicht hat, hat die Partnerschaft doch auch gute Aspekte gehabt. Wenn ein Paar das allein nicht schafft, wäre eine Beratung sinnvoll.
Der zweite Punkt ist, die persönlichen Kränkungen und Verletzungen zu trennen von der Rolle als Mutter oder Vater. Entscheidend ist, dass die jeweiligen Gefühle nicht über die Kinder ausagiert werden, auch wenn sie für sich genommen völlig in Ordnung und zutiefst menschlich sind. Ein typisches Beispiel ist etwa, wenn ein Kind an einem Schaufenster steht, ein schönes Fahrrad sieht und die Mutter sagt: "Das kann ich Dir leider nicht kaufen, weil der Papa uns kein Geld gibt." Wenn Eltern einen Impuls haben, so etwas zu sagen, ist das menschlich. Aber wichtig ist, es nicht auszusprechen. Falls das nicht gelingt, ist es Zeit, eine Beratungsstelle aufzusuchen.
Und der dritte Punkt ist, sich in die Lage der Kinder zu versetzen. Ein Tipp ist, sich einmal ins Kinderzimmer auf den Fußboden zu setzen. Aus dieser Perspektive ist man ungefähr auf Augenhöhe der Kinder. Und jetzt stellen Sie sich vor, da kommen zwei Erwachsene herein, die Sie über alles lieben, und die sich heftig streiten. Wichtig ist zu schauen, wie Sie die Kinder aus dem Konflikt heraushalten können. Das kann gelingen, wenn man den Blick auf die Frage richtet, was hilfreich wäre und zur Ausheilung beitragen könnte. Denn auch für die getrennten Eltern ist es ja wünschenswert, eines Tages wieder ohne diese latente Aggression gegen den jeweils anderen Partner zu sein, damit sie wieder neu ins Leben starten können.
Häufig gelingt es getrennten Paaren nicht, aus der Aggression herauszukommen.
Warum funktioniert das häufig nicht?
Dobbek: Der häufigste Fehler ist eigentlich, nicht aus dieser Aggression herauszukommen und diesen konstruktiven Ansatz zu verpassen. Es ist ein Teil unserer Arbeit, die getrennten Paare so zu begleiten, dass Aggression konstruktiv genutzt wird. Da ist etwa die Frage, was der jeweiligen Mutter oder dem Vater jetzt guttun würde. Wenn beispielsweise eine Frau mit einem alkoholabhängigen Mann ihre Interessen jahrelang selbst zurückgestellt hat, könnte jetzt der Zeitpunkt sein, eine lang ersehnte Weiterbildung zu machen. Wenn sie nicht möchte, dass ihr Mann ins Haus kommt, könnte man beispielsweise darüber reden, ob der Mann die Kinder am Gartentor in Empfang nimmt. Auch in extremen Fällen, wenn etwa der Vater im Alkoholrausch Frau und Kinder geprügelt hat, lieben die Kinder ihn in aller Regel. Dann sorgen wir in Kooperation mit dem Kinderschutzbund für einen begleiteten Umgang. Dann kann der Vater die Kinder zum Beispiel in den Räumen des Kinderschutzbundes unter Anwesenheit einer Mitarbeiterin treffen und dort mit ihnen spielen.
Was ist, wenn Eltern so zerstritten sind, dass ein gemeinsames Beratungsgespräch nicht mehr möglich ist?
Dobbek: Wir haben ein sehr gutes Format, das heißt "Kinder im Blick". Das richtet sich genau an die getrennten Paare, die so verfeindet sind, dass sie nicht gemeinsam in die Beratung gehen, aber immer noch daran arbeiten wollen, dass sie ihre Kinder nicht schädigen. Wir bieten zwei parallele, geschlechtergemischte Gruppen an, an denen die zerstrittenen Partner getrennt teilnehmen. Dort können Mütter die Erfahrung machen, wie es einem getrennten Vater ergeht und umgekehrt. Das Interesse daran ist sehr groß. Das Format startet zweimal im Jahr. Wir haben immer Wartelisten.
Bieten Sie auch Hilfen für die Kinder aus Trennungsfamilien an?
Dobbek: Bei uns werden Kinder zur Einzelberatung angemeldet. Mit ihnen machen wir je nach Alter eine Kinderspieldiagnostik. Mit älteren Kindern sprechen wir entweder in der Beratungsstelle, oder – vor allem mit Jugendlichen – machen wir eine sogenannte Spaziergangberatung. Ziel ist es, herauszufinden, was das Kind von den getrennten Eltern braucht. Wenn ein Kind sehr starke Probleme mit der Trennung der Eltern hat, schauen wir, wie das gelöst oder zumindest gemildert werden kann. Wir hatten auch lange Zeit eine Trennungskindergruppe, weil man festgestellt hat, dass Kinder enorm davon profitieren, andere kennenzulernen, die das gleiche Schicksal haben. Leider können wir diese Gruppe wegen knapper Finanzen nicht mehr anbieten.
Der Psychotherapeut Thomas Dobbek hat die Evangelische Beratungsstelle für Erziehungs- Jugend-, Partnerschafts- und Lebensfragen Bonn viele Jahre geleitet.
Die Evangelische Beratungsstelle hat großen Zulauf. Warum müssen Sie das Angebot dennoch zurückfahren?
Dobbek: Unsere Beratungsstelle hat einen hervorragenden Ruf. Viele Ratsuchende möchten ausdrücklich zu uns als evangelische Beratungsstelle. Das liegt an unserem evangelischen Profil. Grundsätzlich ist das die Haltung, dass jede und jeder willkommen ist und angenommen wird, egal, was sie oder er getan hat oder an Gefühlen mitbringt. Wir haben derzeit mehr als 100 Fälle auf der Warteliste, die weiter anwachsen wird. Denn das Personal der Beratungsstelle soll um zweieinhalb Stellen reduziert werden. Das ist ein Drittel der Stellen. Der Personalabbau geschieht dadurch, dass zwei Kolleginnen und ich in diesem Jahr in den Ruhestand gehen und die Stellen nicht mehr besetzt werden. Grund für den Stellenabbau ist ein Finanzdefizit durch gesunkene Kirchensteuermittel. Der Einspareffekt ist allerdings gar nicht so groß. Denn unsere Stellen werden nur zu 20 Prozent durch den Träger, die drei Evangelischen Kirchenkreise Bonn, Bad Godesberg-Voreifel sowie an Sieg und Rhein finanziert. 80 Prozent werden durch die Kommune refinanziert.
Die Fragen stellte Claudia Rometsch. Fotos: Evangelische Beratungsstelle/Canva
Eine Analyse zur aktuellen Situation der Familien-, Paar- und Lebensberatungsstellen
Artikel über die Situation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Artikel über die Finanzierung der diakonischen Paar-, Familien- und Lebensberatungsstellen
Familie Frauen Bildung
Trennungs- und Scheidungsberatung ist gefragt – und wirkt
Es gibt einen hohen Bedarf an Trennungs- und Scheidungsberatungen. Laut Statistischem Bundesamt lag die Scheidungsquote 2022 bei 35,2 Prozent. Damit kam rechnerisch auf drei Eheschließungen etwa eine Scheidung. Davon betroffen waren mehr als 115.000 Scheidungskinder. Nicht berücksichtigt sind dabei Trennungen unverheirateter Paare. Kein Wunder also, dass die Trennungs- und Scheidungsberatung in den Familienberatungsstellen einen hohen Stellenwert einnimmt. Oftmals macht sie mehr als die Hälfte der Beratungen aus. Dabei handelt es sich nach Einschätzung von Beratungsfachkräften zu etwa 40 Prozent um hochkonflikthafte Trennungen. Das sind Fälle, in denen Eltern anhaltend über Fragen wie Sorge- und Umgangsrecht streiten. Trennungs- und Scheidungsberatung kann in diesen Fällen ein Weg aus der Sackgasse sein. Drei Viertel der getrennten Eltern berichteten nach einer Beratung über ein gutes oder auskömmliches Verhältnis, wie eine 2023 veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts Prognos ermittelte.