Themenreihe Familie
Die großen weltpolitischen Krisen kommen immer näher: Der Krieg in der Ukraine, die Nachwirkungen der Pandemie, der Klimawandel und die Frage nach unseren zukünftigen Lebensgrundlagen sind längst keine abstrakten Probleme mehr, sondern Realität mit Folgen für uns alle. Viele Menschen erleben eine tiefe Verunsicherung und teilweise Überforderung, berichten die evangelischen Erziehungsberatungsstellen und Familien-, Paar- und Lebensberatungsstellen im Gebiet des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). Das sind die aktuell sechs wichtigsten Punkte:
"Unsere Wartelisten werden immer länger", sagt Regina Wittler, Leiterin der evangelischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Paar- und Lebensfragen in Dortmund.
1) Lange Wartelisten
"Der neue Schwerpunkt ist die psychologische Beratung", sagt Thomas Dobbek, Leiter der Evangelischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Jugend-, Partnerschafts- und Lebensfragen in Bonn.
2) Komplexere Probleme
3) Mehr Jugendliche in der Beratung
Die Beratungsstellen versuchen oft, die Wartezeit auf einen Therapieplatz beraterisch zu überbrücken, sagt Diakonie RWL-Expertin Deane Heumann.
4) Überlastetes System
5) Überlastung durch Fachkräftemangel
Die Diakonie Paderborn-Höxter finanziert ihre Familien-, Paar- und Lebensberatung rein aus Kirchensteuermitteln, so Vorständin und Geschäftsführerin Vanessa Kamphemann.
6) Ausbau dringend nötig, doch Geld fehlt
Diakonie RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann warnt vor Schließungen oder Trägerwechsel.
Fazit: Wer bei Beratung spart, zahlt später drauf
Eine dauerhafte Lösung ist die Querfinanzierung nicht: "Auf lange Sicht können die Träger die finanziellen Lücken nicht füllen. Es drohen Schließungen oder Trägerwechsel", sagt Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie RWL. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt zwar mit seiner Landesförderung die Struktur der Beratungsstellen. "Da das Land seit Jahren die Förderung nicht erhöht hat, nimmt diese jedes Jahr real ab", so Heine-Göttelmann. Aktuell deckt die Landesförderung im Schnitt ein Viertel der Personalkosten und entsprechend 20 Prozent der Betriebskosten der evangelischen Beratungsstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass mit den landesgeförderten Stellen keine Drittmittel eingeworben werden dürfen, die aber dringend notwendig sind. Wenn es diese Möglichkeit im Rahmen der Landesförderung gäbe, wäre für manche Einrichtung zumindest Spielraum geschaffen, zusätzliche Angebote gegen Entgelt zu machen wie für Firmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Es besteht Handlungsbedarf. "Die Kommunen und das Land NRW müssen sicherstellen, dass Familien-, Paar- und Lebensberatungsstellen ausreichend finanziell und personell ausgestattet sind", sagt Christian Heine-Göttelmann. Nur so könnten Familien, junge Menschen und andere Hilfesuchende weiterhin die notwendige Unterstützung erhalten. "Beratung ist nachweislich effektiv und kostengünstig: Sie verbessert das familiäre Zusammenleben, stärkt die Erziehungskompetenz und hilft Eltern und jungen Menschen im Umgang mit belastenden Situationen." In den Familien-, Paar- und Lebensberatungsstellen finden die Menschen schnelle Hilfe, bevor ihre Probleme noch komplexer und sie lange krank werden und auf Psychotherapie oder einen stationären Klinikaufenthalt angewiesen sind – auch mit wirtschaftlichen Folgen. "Wer bei der Beratung spart, zahlt später drauf", so Heine-Göttelmann. "Nur wer in den Sozialstaat investiert, macht unsere Gesellschaft stark für die Zukunft."
Text: Deane Heumann, Redaktion: Jana Hofmann; Fotos: Diakonie RWL, Lotte Ostermann, Canva, Privat, Diakonie Paderborn-Höxter, Evangelische Beratungsstelle Bonn
Familie Frauen Bildung
Im Gebiet der Diakonie RWL gibt es insgesamt 141 Beratungsstellen, 92 von ihnen bieten Familien-/Erziehungsberatung und Paar-, Familien- und Lebensberatung an.
Typisch für evangelische Beratungsstellen ist, dass sie oftmals als integrierte Beratungsstellen arbeiten: Es finden sich also unter einem Dach Kombinationen aus Schwangerschafts(konflikt-)beratung, Paar-, Familien-, Lebensberatung und Erziehungsberatungsstellen. Damit sind die Wege von einem Beratungsschwerpunkt zum anderen kurz.
Erziehungsberatungsstellen (nach Paragraf 28 SGB VIII) bieten erzieherische Hilfen, auf die ein individueller Rechtsanspruch besteht für Eltern, Jugendliche, Kinder unter 14 Jahren ohne ihre Eltern sowie junge Volljährige. Die Beratungsstellen unterstützen die Familien bei der Erziehung. Vielerorts haben die Jugendämter außerdem die Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung sowie die Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge – also die Versorgung des Kindes – und des Umgangsrechts – also den Kontakt des Kindes zum Elternteil – an die Familienberatungsstellen übertragen.
An Paar-, Familien- und Lebensberatungsstellen können sich grundsätzlich alle Menschen wenden, also auch ältere Menschen, Paare ohne Kinder oder Alleinlebende. Häufig geht es um berufliche Themen, Fragen der Partnerschaft oder zunehmend um Einsamkeit.
Ein großer Unterschied ist die Finanzierung der Beratungsstellen: Die klassischen Erziehungsberatungsstellen sind Pflichtaufgabe der Kommune und werden in Nordrhein-Westfalen neben der freiwilligen Landesförderung kommunal finanziert. Die Finanzierung der Paar-, Familien- und Lebensberatung hingegen ist gesetzlich nicht umfassend geregelt und steht in kirchlicher Tradition.