24. Mai 2023

Straffälligenhilfe

"Ich kam mit der Welt draußen nicht mehr klar"

Aus der Haft frei – und dann? Viele ehemalige Strafgefangene wissen nicht, wie sie ihr neues Leben in Freiheit bewältigen sollen. Im Interview berichtet Sven Wirsen (52), wie er zurück in die Gesellschaft gefunden hat. Seine erste Anlaufstelle nach der Haft in der JVA Remscheid: Das Wichernhaus in Wuppertal.

  • Gefängniswärter schließt Zelle auf.
  • Gefängniswärter geht durch Zellengang.

Was hat Ihnen während der Haft geholfen, sich auf das Leben danach vorzubereiten?

Ich habe bereits während der Haft durch den Verein Lernraum Knast Achtsamkeit und emotionale Kompetenz kennengelernt und habe da Handwerkszeug bekommen, um meine Drogensucht zu besiegen. Ich bin jetzt seit fast neun Jahren drogenfrei.

Wie haben Sie den Übergang von der Haft in die Freiheit bewältigt?

Dass es das Wichernhaus gibt, habe ich durch Mund-Propaganda erfahren. Sobald ich das gehört habe, habe dort dann noch von der Haft aus angerufen. Das Wichernhaus war dann meine Anlaufadresse nach der Haft. Ich hätte sonst nicht gewusst, wo ich hinsoll. In der Theorie hat man vom offenen Vollzug aus zwar die Möglichkeit, sich eine Wohnung zu suchen. Aber bei der jetzigen Wohnungsnot ist das praktisch unmöglich.

Ein offener Laptop, beklebt mit einem gelben Zettel "Help"

Eine E-Mail-Adresse einrichten, Termine bei Behörden vereinbaren: Nach fast sechs Jahren Haft war Sven Wirsen oft überfordert. Geholfen hat ihm sein Sozialarbeiter im Wichernhaus.

Mit welchen Problemen haben Sie nach der Haftentlassung gekämpft?

Als ich entlassen wurde, kam ich mit der Welt draußen nicht mehr klar. In der Haft wird man darauf gedrillt, gar nichts mehr selbst entscheiden zu können. Und dann kommt man raus und soll sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Da kommen einem viele Hindernisse unüberwindbar vor. Ich hatte außerdem ein posttraumatisches Stresssyndrom und hatte starke Depressionen. 

Was hat Ihnen geholfen, wieder im Leben Fuß zu fassen?

Ich bin dem Wichernhaus wirklich sehr dankbar. Mein Sozialarbeiter dort hat mir geholfen, die ersten Türen zu öffnen, damit ich mein Leben wieder in den Griff bekommen kann. Er hat mir eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Und er hat mir die ersten Termine vermittelt beim Arbeitsamt und beim Einwohnermeldeamt. Für jemanden, der mit beiden Beinen im Leben steht, hört sich das natürlich nach "Pillepalle" an. Aber wenn Sie nach fast sechs Jahren Haft rauskommen, dann sind Sie mit so etwas erst einmal überfordert. Ich war auch froh, dass ich erst einmal einen Menschen hatte, mit dem ich reden konnte. Und dass ich hier ankommen, mich an die Freiheit gewöhnen und meine psychischen Probleme nach der Haft bearbeiten konnte.

Wohnungstür öffnet sich.

Nach zwei Jahren hat Sven Wirsen endlich eine eigene Wohnung gefunden.

Wie haben Sie den Schritt in ein eigenständiges Leben geschafft?

Was mir sehr geholfen hat ist, dass ich angefangen habe, Sport zu treiben. Und ich bin zum Therapeuten gegangen, habe Medikamente bekommen. Die brauche ich jetzt nicht mehr. Ich habe mich soweit stabilisiert, dass ich mir eine Arbeit suchen konnte. Ich hatte schon während der Haft ehrenamtlich für das Präventions-Projekt des Vereins Lernraum Knast Vorträge in Schulen gehalten. Das hat mir Halt gegeben, weil ich das Gefühl hatte, noch in der Gesellschaft gebraucht zu werden. Die Mitarbeit im Verein mache ich jetzt auf Honorarbasis. Außerdem habe ich durch mein Engagement für den Verein noch einen Teilzeit-Job im sozialen Bereich gefunden. Nachdem ich Arbeit hatte, habe ich nach zwei Jahren auch endlich eine eigene Wohnung gefunden.

Das Gespräch führte Claudia Rometsch. Fotos: Shutterstock, Pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Heike Moerland
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
Weitere Informationen
Ehrenamt in der Straffälligenhilfe
Für viele Strafgefangene sind ehrenamtliche Helfer*innen die einzige Brücke zur Außenwelt. Die Diakonie RWL informiert deshalb auf einer neuen Website über Möglichkeiten des freiwilligen Engagements. Das Online-Portal "Ehrenamt in der Straffälligenhilfe" ist ein Wegweiser für Interessierte und vermittelt den Kontakt zu Vereinen und Trägern in der freiwilligen Straffälligenhilfe in Nordrhein-Westfalen. Die Website informiert auch über die Einsatzfelder, in denen freiwillige Helfer sich einbringen können. Die Diakonie RWL unterstützt die anspruchsvolle ehrenamtliche Arbeit in der Straffälligenhilfe durch regelmäßige Fortbildungen sowie eine jährliche Tagung, auf der sich Ehrenamtliche und Hauptamtliche begegnen. Ehrenamtlich Aktive finden auf der neuen Website aktuelle Fortbildungsangebote.