12. Juli 2023

Zwei Jahre nach der Flut

Herr Müller hilft

Die Wassermassen der Flutkatastrophe im Juli 2021 haben das Erdgeschoss und den Keller des Hauses von Sibille Gilles de Sant’Ana in Eschweiler zerstört. Spendengelder der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL) erleichterten der Witwe den Wiederaufbau ihres Zuhauses.  Sie sagt: "Ohne diese Unterstützung hätte ich das alles weder finanziell noch emotional geschafft." 

  • Sibille Gilles de Sant'Ana und Thorsten Müller vom Fluthilfeteam Eschweiler auf der Terrasse.
  • Der überschwemmte Flur von Sibille Gilles de Sant'Ana in der Flutnacht.
  • Sibille Gilles de Sant'Ana und Thorsten Müller vom Fluthilfeteam Eschweiler auf der Terrasse.
  • Das Wohnzimmer von Sibille Gilles de Sant'Ana ist verschlammt, nachdem das Wasser weg ist.
  • Badezimmermöbel schwimmen im überfluteten Bad von Sibille Gilles de Sant'Ana umher.
  • Das braune Wasser im Flur von Sibille Gilles de Sant'Ana steht bis zum Telefontisch.

Die schrecklichen Erinnerungen an den 14. Juli 2021 sind auch zwei Jahre danach noch lebendig. "Die braune Brühe kam mit einer unglaublichen Wucht, zerstörte die Fensterscheiben und hat alles mitgerissen", erzählt Sibille Gilles de Sant’Ana. "Meine Möbel schwammen herum, Holzstücke und Müll, dazwischen Weinflaschen und sogar der Bräter aus dem Keller." Wände, Böden, Türen, Heizung – alles zerstört. Ihr Vater hatte das Haus an der Auestraße bereits im Jahr 1934 gebaut. Nahe dem Fluss Inde in dem am tiefsten gelegenen Teil von Eschweiler stehen rund 15 Häuser. "Ich habe hier schon so manche Überschwemmung erlebt, deshalb gibt es im Keller auch eine Pumpe. Aber die Flut von 2021, so etwas gab es hier noch nie", sagt die 69-Jährige, die allein in dem knapp hundert Quadratmeter großen Haus wohnt, seit ihr Mann vor mehr als zehn Jahren verstorben ist. Der Sohn lebt mit seiner Familie in Norddeutschland.

Sibille Gilles de Sant'Ana sitzt mit Fluthilfeberater Thorsten Müller im neu eingerichteten Wohnzimmer.

Sibille Gilles de Sant'Ana sitzt mit Fluthilfeberater Thorsten Müller im neu eingerichteten Wohnzimmer.

Alles neu

An diesem Vormittag sitzt die Eschweilerin am neuen Esstisch auf einem neuen Stuhl gegenüber der neuen Eckbank. "Mein Bett konnte ich retten, das ist aus Vollholz und hat die Flut überstanden", sagt sie. Fliesen, Laminatböden, Rollläden, Wände, Elektrik, sämtliche Haushaltsgeräte – auch alles neu. Ebenso die Küche, die Sofagarnitur im Wohnzimmer und in der Ecke der Kamin mit Glastür. "Wenn ich nach Hause komme, fühle ich mich manchmal wie in einem Möbelhaus", sagt sie und lacht. "Mir gefällt es hier, alles so schick und neu, aber irgendwie noch nicht mein Zuhause." Denn was fehlt, sind die Erinnerungen. Ihre Hochzeitsfotos, die Bilder der Eltern, die Andenken. "Ich hatte eigentlich alles hier unten im Erdgeschoss. Oben gibt es nur noch zwei kleine Zimmer für meine Enkel, wenn die zu Besuch sind." Nach der Flut hat sie selbst dort oben gelebt, "in der alten Welt", wie sie die obere, nicht zerstörte Etage mittlerweile nennt. "Ohne Küche zwar, aber wenigstens musste ich nicht ausziehen." Obwohl das Erdgeschoss mehr als ein Jahr lang einem Rohbau glich. 

Sibille Gilles de Sant'Ana steht in ihrem neuen Badezimmer und zeigt auf dem Handy ein Bild des zerstörten Raums aus der Flutnacht.

Sibille Gilles de Sant'Ana steht in ihrem neuen Badezimmer und zeigt auf dem Handy ein Bild des zerstörten Raums aus der Flutnacht.

Kein Durchblick mehr

"Mein Leben war eigentlich gut", sagt Sibille Gilles de Sant’Ana rückblickend. "Aber mit der Flut ist es komplett aus den Fugen geraten." Dass sie irgendwann wieder in ihrem Haus würde wohnen können, war für sie lange Zeit unvorstellbar. "Ich hatte ja keine Ahnung, wie ich die Handwerker bezahlen sollte. Normalerweise plant man so etwas ja ganz genau und renoviert Zimmer für Zimmer – ich musste alles auf einmal machen." Und parallel dazu kümmerte sich die Rentnerin um die Anträge auf finanzielle Unterstützung vom Land. "Irgendwann habe ich überhaupt nicht mehr durchgeblickt."

Aber dann, im Frühjahr 2022, fand sie im Briefkasten einen Info-Zettel des Regionalteams Eschweiler der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL), den Fluthilfeberater Thorsten Müller dort eingeworfen hatte. "Wenig später stand sie dann bei mir im Büro", erinnert der sich. Ursprünglich wollte Sibille Gilles de Sant’Ana ihn nur um Hilfe beim Ausfüllen des NRW-Antrags bitten. "Ich dachte, das wäre es dann gewesen mit den finanziellen Hilfen und war davon überzeugt, dass mir mehr Geld gar nicht zustehen würde. Aber Herr Müller hat einfach nicht lockergelassen und mit mir schließlich auch den Antrag für Wiederaufbau bei der Diakonie gestellt."

Sibille Gilles de Sant'Ana und Thorsten Müller vom Fluthilfeteam Eschweiler auf der Terrasse.

Für Fluthilfeberater Thorsten Müller war Sibille Gilles de Sant’Ana die erste Klientin für einen Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der DKH RWL.

Erste Wiederaufbau-Klientin

Thorsten Müller erzählt: "Auch für mich war das eine ganz besondere Situation, denn Frau Gilles de Sant’Ana war tatsächlich meine erste Klientin für einen Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der DKH RWL. Deshalb habe ich zu ihr gesagt: Bitte haben Sie Geduld mit mir, dann schaffen wir das und ziehen das jetzt gemeinsam Schritt für Schritt durch." Ende Mai 2022 war der Antrag dann bewilligt, bereits im Juli wurde das Geld ausgezahlt. Dank der Spendengelder konnte Sibille Gilles de Sant’Ana ihren verbliebenen 20-prozentigen Eigenanteil beim Wiederaufbau reduzieren. "Dass ich auch dafür Unterstützung bekomme, damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet - und erst recht nicht danach gefragt", sagt sie. "Denn bis zu diesem Zeitpunkt war ich eher die, die spendet. Nun war ich plötzlich selbst auf Spendengelder angewiesen – das ist ja auch irgendwie peinlich." Doch Thorsten Müller habe ihr die Scham genommen. Und mit der zusätzlichen Förderung konnte sie die Handwerker bezahlen, "es ging endlich voran".

Sibille Gilles de Sant'Ana und Thorsten Müller vom Fluthilfeteam Eschweiler auf der Terrasse.

Fluthilfeberater Thorsten Müller ist für Sibille Gilles de Sant'Ana zu einer wichtigen Vertrauensperson geworden.

Vertrauensperson

Dass sie Thorsten Müller kennengelernt hat, habe ihr aber nicht nur in der finanziellen Notlage geholfen. "Ich hatte ja auch kaum jemanden zum Reden", sagt Sibille Gilles de Sant’Ana. "Herr Müller ist für mich eine Vertrauensperson geworden, und ich bin ihm so dankbar, dass alles so gut gelaufen ist." Noch heute muss sie lächeln, wenn sie daran denkt, "wie der junge Herr Müller so oft mit seinem Laptop bei mir am Tisch saß, und ich alte Frau daneben mit dem dicken, grünen Schnellhefter". Auch Müller lobt den guten Austausch mit seiner Klientin: "Wir konnten und können immer offen reden, das ist ganz wichtig, aber nicht unbedingt selbstverständlich. Schließlich müssen sich die Betroffenen mir gegenüber ein ganzes Stück weit offenbaren, auch mit Blick auf ihre Finanzen - und ich bin ja erstmal eine völlig fremde Person."

Dankbar für Unterstützung

Sibille Gilles de Sant’Ana hofft, dass sie das Kapitel Flut irgendwann schließen kann. "Ich habe schlimme Erinnerungen und weine immer noch manchmal. Aber ich habe als Folge der Flut auch unglaublich viel Hilfsbereitschaft erleben dürfen. Außerdem bin ich dankbar, dass der Staat und die Spendenorganisationen uns Betroffene so gut unterstützen, das ist nicht selbstverständlich."

Im Herbst sollen die Arbeiten an ihrer Terrasse beginnen. In der Zwischenzeit will Fluthilfeberater Thorsten Müller weitere Betroffene in Eschweiler und Umgebung aufsuchen, die mitten im Wiederaufbau stecken und noch nichts von den Fördermöglichkeiten der Diakonie Katastrophenhilfe RWL wissen.  In der Aue-Siedlung hingegen kennt man ihn schon, weil Sibille Gilles de Sant’Ana dort ordentlich Werbung für ihn macht.  "Immer, wenn jemand Probleme in Sachen Flut hat", so erzählt sie, "dann sage ich: Geh‘ doch einfach zu Herrn Müller, der hilft!"    

Text: Verena Bretz, Fotos: Thomas Lohnes/DKH, Privat 

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Verena Bretz
Stabsstelle Politik und Kommunikation
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