24. Februar 2022

Mobile Hochwasser-Teams

"Licht in einer ausweglosen Situation"

Sie gehört zu den "Flutengeln 2.0": Im mobilen Team der Hochwasserhilfe der Diakonie RWL ist Andrea Schnackerts in Erftstadt unterwegs. Sie hat ein offenes Ohr für alle Sorgen und hilft dabei, Fördermittel zu beantragen. Für Menschen wie Brigitte Altengarten bringt die erfahrene Sozialpädagogin Licht ins Dunkel eines beschwerlichen Alltags. 

  • Zwei Frauen sitzen an einem Tisch und haben Formulare vor sich liegen.
  • Andrea Schnackerts in blauer Diakoniejacke von hinten gesehen
  • Schutt am Straßenrand auf der Landstraße Richtung Erftstadt

Es ist noch ziemlich frisch am Morgen, als Andrea Schnackertz in ihre blaue Jacke schlüpft. "Diakonie Katastrophenhilfe" ist in großen weißen Lettern darauf zu lesen. Die 56-jährige Sozialpädagogin gehört zum mobilen Beratungsteam der Diakonie RWL und arbeitet seit Anfang Januar im Hochwassergebiet. An diesem Tag ist sie in Erftstadt unterwegs, um Menschen, die von der Flut betroffen sind, Hilfe anzubieten.

Knapp zwei Monate im neuen Job hat die gebürtige Kölnerin schon unzählige von der Flut geschädigte Gebäude gesehen und zahlreiche Betroffene begleitet. Nach mehreren Jahren Auslandsaufenthalt in Neuseeland und verschiedenen beruflichen Stationen liegt ihr die neue Tätigkeit im mobilen Team besonders am Herzen. "Überall werde ich mit offenen Armen empfangen. Viele Menschen sind voller Dankbarkeit, dass sie wahrgenommen und nicht vergessen werden", erzählt die Sozialpädagogin.

Der Kontakt zu ihr entsteht auf ganz unterschiedliche Weise. Manche Flutopfer stellen Onlineanträge auf finanzielle Hilfen, andere werden durch Seelsorgerinnen und Seelsorger vermittelt, die teilweise Mitglieder der mobilen Teams sind. Wieder andere trifft Andrea Schnackertz bei ihren Rundgängen durch betroffene Straßenzüge. Andere kommen direkt in ihr kleines Büro in Erftstadt. 

Straße mit Bauschutt am Straßenrand

In Erftstadt hat das Hochwasser viele Häuser massiv beschädigt. Brigitte Altengartens Haus gehört dazu.

"Zu nah an der Erft"

Brigitte Altengarten hat dort schon mehrfach gesessen und Anträge mit Andrea Schnackertz ausgefüllt. "Sie ist ein Licht in einer ausweglosen Situation", sagt die 57-jährige Frau, die aus dem Erftstadter Ortsteil Blessem kommt. Brigitte Altengarten besitzt ein 180 Quadratmeter großes, nun mit Heizöl kontaminiertes Einfamilienhaus – geschätzte Schadenshöhe: 600.000 bis 700.000 Euro. Elementarversichert war die Familie nicht. "Zu nah an der Erft", habe es damals von der Versicherung geheißen, berichtet Altengarten. 

Mit 57 Jahren und einer hohen Miete, die sie und ihre vierköpfige Familie in der Übergangswohnung bezahlen, ist eine Kreditaufnahme nicht möglich. Besonders bitter: Im vergangenen Oktober war das Haus endlich abbezahlt. Nach Durchsicht der Dokumente und Besuche vor Ort versucht Andrea Schnackertz, sie mit Haushaltsbeihilfen der Diakonie RWL zu unterstützen. 

Hilfe bei Formularen und Anträgen

"Bei Erstgesprächen mit den Betroffenen muss ich erst einmal klären: Wo und wie hat die Katastrophe die Menschen getroffen und beeinträchtigt? Was brauchen sie jetzt? Was ist im Moment wichtig?", erzählt die Sozialpädagogin. Hierbei könne sie auf ein breites Spektrum an Hilfsangeboten zurückgreifen und die Betroffenen je nach Bedarf an die entsprechenden Stellen weitervermitteln – seien es Gutachter für den baulichen Schaden oder Therapeuten für das erlittene seelische Trauma. 

"Gerade ältere, nicht so internetaffine Menschen haben oft Schwierigkeiten beim Ausfüllen der Formulare für Versicherungen oder bei der Antragstellung. Da kann ich helfen", berichtet Andrea Schnackertz. Außerdem ermittelt sie, welche Hilfen bereits abgefragt wurden und welche noch zur Verfügung stehen. 

Zwei Stoffbären umarmen sich.

Auch um die verlorene Stofftiere darf getrauert werden, meint Andrea Schnackertz. 

Trauer und Verlustgefühle zulassen

Doch der stärkste Trumpf der 56-Jährigen ist das aktive Zuhören. "Das gehört zum Handwerkszeug einfach dazu. Ich kann gut zuhören, das ist meine Stärke – besonders in einem Katastrophenfall wie diesem." Ein empathisches "Wie geht’s?", ein freundliches Wort, ein offenes Ohr könne viel bewirken, ist die Sozialpädagogin überzeugt. "Oft sind es schon kleine Dinge, die einen großen Unterschied machen, wie ein Schreibtischstuhl, den ich auf dem kurzen Dienstweg für die Tochter einer Klientin besorgen konnte", so Andrea Schnackertz. 

Der rheinische Optimismus, das anpackende "Nützt ja nichts" könne Betroffenen gelegentlich im Wege stehen – etwa wenn sie ihre berechtigten Gefühle der Trauer und des Verlustes nicht zulassen. "Das Hochwasser hat die Menschen mitten im Leben getroffen, ihnen oft all ihre Besitztümer genommen. Um gesunden zu können, müssen sich die Betroffenen Anker setzen, ihre Gefühle zulassen. Sie müssen sich erlauben, auch für eine verlorene Steifftier-Sammlung oder ein Fotoalbum Trauerarbeit zu leisten. Das gehört zum Prozess dazu." 

Hilfe annehmen können

Oft kommen in den Beratungsgesprächen auch Themen auf, die nur indirekt mit dem Hochwasser zu tun haben. So berichtet Andrea Schnackertz von einer betroffenen Familie mit autistischen Kindern, deren spezielle Situation das Leben abseits der gewohnten Umgebung in einer Übergangslösung extrem schwierig macht. Auch hier steht die Sozialpädagogin mit Rat und Tat zur Seite.  Wie vielen Betroffenen fällt es Brigitte Altengarten nicht leicht, über ihre Situation zu sprechen und Hilfe anzunehmen.

Aber das gehört zum Heilungsprozess dazu. Und auch nachdem die Hilfen geflossen sind, wird sie mit Andrea Schnackertz eine aufmerksam zuhörende Ansprechpartnerin vor Ort haben, sei es für Versicherungsfragen, mögliche andere Hilfstöpfe – oder einfach nur, um gehört zu werden.

Text und Fotos: Sandra Fischer, Redaktion: Ilka Hahn, weitere Fotos: Shutterstock, pixabay

Ihr/e Ansprechpartner/in
Pfarrer Ulrich T. Christenn
Zentrum Drittmittel und Fundraising
Weitere Informationen
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Spenden und Fundraising

Die Diakonie RWL, die Diakonie Katastrophenhilfe, die Evangelische Kirche im Rheinland und diakonische Einrichtungen vor Ort helfen in den vom Hochwasser betroffenen Regionen in NRW und Rheinland-Pfalz. In insgesamt neun Regionen sind sozial-diakonische und seelsorglich-psychosoziale Teams mit etwa 60 Mitarbeitenden im Einsatz. Die Finanzierung sichern Spendenmittel, die evangelische Kirche und Diakonie nach der Flutkatastrophe erhalten haben. Die Stellen in den mobilen Teams sind zunächst auf zwei Jahre befristet.