Einrichtungsbezogene Impfpflicht
Was bedeutet "einrichtungsbezogene Impfpflicht" genau? Ist dabei nur das Gesundheitspersonal betroffen?
Die Regelung gilt, egal in welchem Vertrags- oder Beschäftigungsverhältnis man steht. Die Impfpflicht trifft auf medizinisches beziehungsweise Pflege- und Betreuungspersonal zu, aber eben auch auf den Hausmeister, für Transport-, Küchen- oder Reinigungskräfte. Auch Auszubildende, Freiwilligendienstleistende, Zeitarbeitskräfte, freie Mitarbeitende und Ehrenamtliche fallen unter die Nachweispflicht. Selbst extern beauftragte Handwerker, die über einen längeren Zeitraum wegen Reparaturen im Haus sind, fallen darunter. Bei Verwaltungskräften oder zum Beispiel IT-Mitarbeitenden kann eine Nachweispflicht hingegen entfallen, sofern sie in klarer räumlicher Abgrenzung zu den behandelten, untergebrachten oder gepflegten Personen arbeiten. Man sieht: Es ist schwierig, hier pauschal eine Antwort zu geben. Man muss immer die Gesamtumstände kennen und beurteilen.
Nicole Wynbergen, neue Leiterin des Diakonie RWL-Zentrums Recht
Was passiert, wenn ein Impfnachweis zum 15. März nicht vorgelegt ist?
Hier gibt es schon viele Missverständnisse. Als erstes möchte ich klarstellen, dass die Einrichtungsleitung nur die Pflicht hat, die betreffenden Personen dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Das gilt auch, falls die Leitung Zweifel an der Echtheit des vorgelegten Impfnachweises oder des Attests hat, das von der Impfung befreit. Das Gesundheitsamt wird dann den Fall untersuchen und die Person auffordern, einen entsprechenden Nachweis vorzulegen – und kann dann gegebenenfalls ein Tätigkeits- oder Betretungsverbot anordnen. Ein Beschäftigungsverbot besteht also erst ab einer Anordnung durch das Gesundheitsamt. Mehr steht bisher nicht im Gesetz.
Uns erreichen aber viele Fragen dahingehend, ob man ab dem Stichtag ungeimpfte Mitarbeitende kündigen muss oder diese unbezahlt freistellen kann. Und an diesem Punkt wird es schwer, pauschal etwas an die Hand zu geben – auch für uns Juristen. Ab da kommt es zum einen auf eine Gesamtschau der Umstände im Einzelfall an. Zum anderen hat das Gesetz die Einschaltung und Anordnung der Gesundheitsämter vorgeschaltet.
Zur Person: Nicole Wynbergen
Nicole Wynbergen leitet seit Januar 2022 das Zentrum Recht der Diakonie RWL. Die gebürtige Essenerin hat in Münster Rechtswissenschaften studiert, das Referendariat in Düsseldorf absolviert und danach 18 Jahre in Unternehmen der Medienbranche gearbeitet. Den Startschuss für eine über den juristischen Tellerrand hinausgehende, redaktionelle und produzierende Tätigkeit ebnete ihr eine erste Station im Justiziariat des Zweiten Deutschen Fernsehens, insbesondere im Bereich Verbraucherschutz. Sie übernahm zudem früh Leitungsfunktionen. 2018 wechselte die heute 48-Jährige als Rechtsanwältin in eine mittelständische Verbraucherkanzlei, um im Dieselabgasskandal die Rechte geschädigter Fahrzeugkäufer als Teil der Kanzleileitung bundesweit gegen Fahrzeughersteller zu vertreten. Nicole Wynbergen folgt auf Kirsten Schwenke, die seit Oktober 2021 gemeinsam mit Christian Heine-Göttelmann den Vorstand der Diakonie RWL bildet.
Was sind aktuell die häufigsten rechtlichen Fragen?
Viele sorgen sich, dass die Gesundheitsämter wegen Überlastung handlungsunfähig sind und man nicht abschätzen kann, ob und wann oder nach welchen Kriterien ein behördliches Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen wird. Hier hat außerdem für Verwirrung gesorgt, dass die entsprechende Person wohl auch über den 15. März hinaus noch in der Einrichtung arbeiten darf, wenn der Fall bereits an das Gesundheitsamt gemeldet wurde und eine behördliche Anordnung noch aussteht. So ist jedenfalls die aktuelle Auslegung des Gesetzes.
In diesem Zusammenhang gab es auch Missverständnisse bezüglich einer Bußgeldandrohung: Diese gilt nur für den Fall, dass eine Leitung der Meldepflicht nicht nachkommt oder einen Mitarbeitenden nach dem Aussprechen eines behördlichen Verbots weiterbeschäftigt. Ein Bußgeld kann also in einer eventuellen "Übergangsphase" nicht verhängt werden, dafür ist es nicht vorgesehen.
Auch die Frage nach einer möglichen Haftung für den Fall, dass während der Übergangsphase eine Corona-Infektion durch einen Ungeimpften in die Einrichtung gebracht wird, stellt sich aus meiner Sicht nicht. Zum einen gilt weiterhin die Testpflicht für Ungeimpfte, also ist die Situation dann nicht anders als jetzt. Zum anderen kann die Leitung der Einrichtung nach meinem Dafürhalten nicht belangt werden, wenn eine Anordnung des Gesundheitsamtes unterblieben ist und noch kein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen wurde. Hat das Gesundheitsamt gehandelt und ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen, dann werden die arbeitsrechtlichen Konsequenzen klarer: Erst ab Ausspruch eines behördlichen Tätigkeits- oder Betretungsverbots entfällt die Lohnzahlungspflicht und weitere arbeitsrechtliche Schritte sind möglich.
Viele diakonische Einrichtungen wenden sich derzeit an die Rechtsabteilung der Diakonie RWL, weil die einrichtungsbezogene Impfpflicht Fragen und Missverständnisse aufwirft.
Unklarheit herrscht offenbar auch darüber, welcher Impfstatus gilt und wie lange er zählt.
Richtig. Da das in anderen Kontexten angepasst wurde, ist unklar, ob es auch für die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt. Stand heute ist, dass für den Impfstatus die zweimalige Impfung plus 14 Tage gilt. Ob das morgen noch so gilt, muss man im Prinzip jeden Tag auf den Webseiten des Robert Koch-Instituts und des Paul Ehrlich-Instituts kontrollieren, weil dazu noch Neues veröffentlicht werden könnte. Bei Genesenen wurde der Status zum Beispiel inzwischen auf 90 Tage verkürzt.
Außerdem wurde die Frist bis zum Ablauf des 15. März auf der Basis von zwei Impfungen plus 14 Tage berechnet. Dieses Dilemma macht eventuell eine Übergangsregelung nötig, von der wir bislang aber nichts gehört haben. Wir sammeln im Zentrum Recht kontinuierlich alle Fragen, die in der Praxis auftauchen und geben diese weiter. Viele sind bereits in die FAQs des BMG eingeflossen und wurden dann auch aufgegriffen und beantwortet. Diese FAQs werden stetig aktualisiert. Ich verstehe, dass das das Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht zufrieden stellt, aber in der momentanen Lage informieren auch wir im Zentrum Recht uns auf diese Weise und bewerten, wie das neue Gesetz anzuwenden ist.
Das Gespräch führte Ilka Hahn. Fotos: Shutterstock, privat