5. September 2024

Freiwilligendienste 2030

Vision einer Kultur der Freiwilligkeit

Jeder Freiwilligendienst ist ein Gewinn: Für die Freiwilligen, die Verantwortung übernehmen und frühzeitig die Arbeitswelt kennenlernen, für die Menschen, die von ihrem Engagement profitieren, und für die Gesellschaft insgesamt. Ein verpflichtendes soziales Jahr erscheint vor diesem Hintergrund naheliegend, ist aber gar nicht notwendig. Denn mit einfachen, längst überfälligen Maßnahmen könnten schon heute deutlich mehr junge Menschen für einen Freiwilligendienst begeistert werden. Wir zeigen, wie das klappen kann.

  • Gruppe mit Freiwilligen mit ihrer Forderung an die Politik: Versprechen halten.

Rechtsanspruch auf einen FWD

In der Debatte um ein verpflichtendes soziales Jahr wird ein grundlegendes Problem oft übersehen: Immer mehr junge Menschen, die sich in einer sozialen Einrichtung engagieren wollen, finden keinen geeigneten Platz. Während beispielsweise die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für einen Freiwilligendienst in der Jugendhilfe, in Kitas und OGS stetig steigt, sinkt die Zahl der Plätze. Grund dafür sind die zunehmenden Sparzwänge vieler Einrichtungen. "Da bleibt kein wirtschaftlicher Spielraum mehr für die Finanzierung und Betreuung der Freiwilligen", erklärt Mathias Schmitten, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL.

Mathias Schmitten, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL.

In vielen Einrichtungen nehmen die Sparzwänge zu. "Da bleibt kein wirtschaftlicher Spielraum mehr für die Finanzierung der Freiwilligen", erklärt Mathias Schmitten, Leiter des Zentrums Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL.

Verlässliche Finanzierung

Derzeit leisten etwa zehn Prozent der Schulabgänger*innen einen Freiwilligendienst. Doch selbst für diesen im Vergleich zu einem Pflichtdienst geringen Anteil fehlt es an einer verlässlichen Finanzierung. Zwar wurden die noch im Herbst vergangenen Jahres geplanten drastischen Kürzungen bei den Freiwilligendiensten nach einer erfolgreichen Petition mit über 100.000 Unterstützer*innen von der Bundesregierung zurückgenommen – allerdings, in der Freude über den Erfolg zunächst kaum bemerkt, nur für 2024. Für 2025 sind erneut Kürzungen im Umfang von rund 13 Prozent geplant – 14 Prozent beim Freiwilligen Sozialen Jahr und elf Prozent beim Bundesfreiwilligendienst. 

Solange kein Haushalt verabschiedet ist, fehlt den Trägern der Freiwilligendienste die Planungsgrundlage. Da Freiwilligendienste in der Regel zwölf Monate dauern und sich viele Schulabgänger*innen erst im Juli und August für einen Freiwilligendienst entscheiden, helfen die im laufenden Jahr zur Verfügung stehenden Mittel wenig, da die neuen Verträge bis ins nächste Jahr reichen. Wird der Haushalt erst spät oder sehr spät verabschiedet, fehlt den Trägern jegliche Planungssicherheit.

"Eine verbindliche und nachhaltige Finanzierung der Freiwilligendienste ist daher die erste Voraussetzung, um die Strukturen für das Engagement junger Menschen auf eine solide und sichere Basis zu stellen," so Schmitten. Solange die Finanzierung nicht dauerhaft gesichert sei, könnten viele junge Menschen, die einen Freiwilligendienst machen wollen, im Herbst leer ausgehen.

Eine Freiwillige bei der Sozialen Betreuung im Elsa-Brandström-Haus in Bochum.

Eine Freiwillige ist im Elsa-Brandström-Haus in Bochum für die soziale Betreuung einer Bewohnerin zuständig.

Öffnung für alle

Viele junge Menschen können sich einen Freiwilligendienst nicht leisten, weil die finanziellen Hürden zu hoch sind. Das Taschengeld, das die Träger zahlen können, reicht nicht aus, um den Lebensunterhalt zu decken. Besonders betroffen sind Jugendliche aus armen Familien, die von ihren Eltern nicht unterstützt werden können. Deshalb ist es notwendig, das Taschengeld auf BAFöG-Niveau anzuheben und diese Anhebung zu refinanzieren. "Außerdem müssen wir die Einstiegshürden für Menschen mit besonderem Förderbedarf senken, zum Beispiel für Jugendliche ohne Schulabschluss", sagt Mathias Schmitten. Bisher gebe es viel zu wenig Geld für zusätzliche Unterstützung und Begleitung.

Einladung und Beratung

Viele Jugendliche wissen nichts oder nur wenig über die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes. Dies wird in den Gesprächen mit Schüler*innen auf Ausbildungsmessen am Stand des Zentrums Freiwilligendienste der Diakonie RWL immer wieder deutlich. Dieses Informationsdefizit ist die erste Zugangsbarriere zum Freiwilligendienst.

"Bevor ein Pflichtdienst eingeführt wird, sollte die Politik der Freiwilligkeit eine Chance geben", sagt Mathias Schmitten. Er fordert von der Politik regelmäßige Informationsveranstaltungen in den Schulen und eine schriftliche Einladung an alle Jugendlichen zu den Beratungsangeboten der Träger. "Wir sind überzeugt, dass sich mit solchen einfachen Maßnahmen deutlich mehr junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahr begeistern lassen", so Schmitten. Ergänzend schlägt er vor, den Bundesfreiwilligendienst ab 27 Jahren stärker zu bewerben. Viele wüssten gar nicht, dass ein Freiwilligendienst in jedem Alter möglich ist.

Der Schriftzug NRW vor dem Eingang der Länder-Repräsentanz in Berlin.

Die Förderung des FSJ ist Ländersache. In Nordrhein-Westfalen fehlt jedoch eine verlässliche Förderung der Freiwilligendienste. 

NRW nicht aus der Verantwortung entlassen

In einer Situation, in der die Finanzierung des Bundesfreiwilligendienstes immer wieder unsicher ist, kommt der Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres eine noch größere Bedeutung zu. Denn die Förderung des FSJ ist Ländersache. In Nordrhein-Westfalen fehlt eine verlässliche Förderung der Freiwilligendienste. "Viele Bundesländer engagieren sich hier deutlich stärker als NRW. Das gilt auch für die deutlich ärmeren Länder in unserem Verbandsgebiet, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Das Land NRW muss hier mehr tun", betont Mathias Schmitten.

Text: Christian Carls, Fotos: Diakonie RWL/Andreas Endermann, Christian Carls, Sami Boukandoura, Shutterstock

Ihr/e Ansprechpartner/in
Mathias Schmitten
Zentrum Freiwilligendienste
Weitere Informationen

Hertie-Studie setzt neue Impulse

Die neue Studie der Hertie-Stiftung zum Gesellschaftsdienst bietet wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Freiwilligendienste. Sie beleuchtet unter anderem die aktuellen Herausforderungen wie finanzielle Kürzungen und diskutiert Modelle wie einen verpflichtenden Dienst. Die Diakonie RWL nimmt dazu Stellung und betont in ihrer aktuellen Pressemitteilung, dass Freiwilligendienste gestärkt werden müssen, ohne auf Zwang zu setzen. Mehr dazu in unserer Pressemitteilung.