10 Jahre Bundesfreiwilligendienst
Als 2011 der Zivildienst abgeschafft und der Bundesfreiwilligendienst eingeführt wurde, gab es große Bedenken, ob dieses Modell funktionieren würde. Wie ist Ihre Bilanz?
Die damalige Befürchtung, dass junge Menschen an einem sozialen Jahr auf freiwilliger Basis nur wenig Interesse haben, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil. Ich habe selbst noch Zivildienst in einem Altenheim gemacht, studiert und dann als Dozent für den Zivildienst bei den Freiwilligendiensten der Diakonie angefangen. Den Wechsel vom Zivi zum Bufdi habe ich also hautnah miterlebt.
Damals hatten wir nicht genug Personal, um den vielen Bewerberinnen und Bewerbern für den BFD einen Platz vermitteln zu können. Jetzt sieht das anders aus. Wir betreuen mit 70 Mitarbeitenden rund 2.000 Freiwillige. Anders als beim Zivildienst ist der Anspruch der jungen Leute heute allerdings ein anderer: Sie wollen einen sozialen Beruf erleben, der sie interessiert. Sie sind nicht damit zufrieden – wie es so mancher Zivildienstleistende war –, ein Jahr lang nur vorgegebene Hausmeistertätigkeiten oder Fahrdienste in einer sozialen Einrichtung zu übernehmen.
Eng begleitet: Regina Kluck betreut die Freiwilligen im Move-Programm.
Neben dem "Bundesfreiwilligendienst" gibt es bei der Diakonie noch ein "Freiwilliges Soziales Jahr". Was ist der Unterschied?
Der Bundesfreiwilligendienst ist flexibler als das FSJ, das sich nur an junge Menschen unter 27 Jahren richtet. Wir können es auch für Ältere anbieten, die sich noch mal umorientieren oder sich im Rentenalter für eine bestimmte Zeit mit einer guten pädagogischen Begleitung engagieren wollen. Auch für geflüchtete Menschen ist ein BFD möglich und sehr attraktiv, weil sie einen sozialen Beruf, aber auch die deutsche Sprache und Kultur besser kennenlernen können. Mit unserem Programm MOVE bieten wir jungen Menschen, die mehr Unterstützung brauchen, einen BFD an.
Mittlerweile gibt es auch die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst in Teilzeit zu machen. Das ist für Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung oft interessant. Der Bundesfreiwilligendienst wird vom Bund finanziert und ist besser gefördert als das FSJ.
Die Freiwilligendienste haben in der Pandemie noch mal einen Aufschwung erlebt. Im letzten Jahr haben sich bei der Diakonie RWL rund 20 Prozent mehr Jugendliche beworben. Hält der Trend an?
Es sieht so aus. Für einen Freiwilligendienst mit Start ab August haben wir jetzt schon über 500 Verträge abgeschlossen. Meistens kommt der große Bewerbungsschub aber noch in den Sommermonaten.
Wir stellen fest, dass es bei jungen Menschen ein stärkeres Interesse an pflegerischen Tätigkeiten gibt. In der Pandemie ist klar geworden, dass soziale Berufe ein Fundament unserer Gesellschaft darstellen und– anders als etwa der Gastronomiebereich – krisensicher sind. Die Aufwertung dieser Berufe als "systemrelevant" und die Erkenntnis, dass sie im Rahmen einer zunehmenden Digitalisierung auch nicht irgendwann wegfallen können, hat ganz klar Einfluss auf die berufliche Orientierung der Jugendlichen.
Wie hat die Pandemie den Freiwilligendienst verändert?
Sie hat uns gezeigt, dass wir digitaler arbeiten können und müssen. Wir haben zum Beispiel gute Erfahrungen mit Online-Bewerbungsgesprächen gemacht. So können wir noch schneller individuell auf Bewerberinnen und Bewerber eingehen. Einen kleinen Teil unserer Seminare werden wir auch künftig digital anbieten.
Uns ist aber auch deutlich geworden, dass Medienkompetenz eine größere Rolle in unseren Bildungsangeboten spielen muss. Auch für die Arbeit in einem sozialen Beruf ist es wichtig, sich sicher in der digitalen Welt bewegen und mit moderner Technologie umgehen zu können. Das lernen viele Jugendliche weder in der Schule noch im Elternhaus. Deshalb sind wir im Freiwilligendienst gefragt.
Die positiven Erfahrungen mit 10 Jahren BFD könnten die Diskussion um ein verpflichtendes soziales Jahr wieder anheizen. Brauchen wir das?
Ich finde diese Diskussion, die regelmäßig im sogenannten Sommerloch aufkommt, überflüssig. Die Zeiten des Zivildienstes sind vorbei. Wie ich gerade schon sagte, haben junge Menschen heute höhere Ansprüche an ihr soziales Jahr. Und zwar zu recht. Wir haben in den sozialen Berufen einen akuten Fachkräftemangel, aber den können wir nicht mit einem verpflichtenden sozialen Jahr lösen, in das Jugendliche hineingedrängt werden. Bei sozialen Tätigkeiten kommt es auf Empathie und Zuwendung an. Den Dienst am Menschen kann man nicht verordnen.
Ich glaube, wir müssen eher andersherum denken: Es sollte einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst geben. Dann müsste auch den Menschen ein soziales Jahr angeboten und möglich gemacht werden, die bisher viel zu selten davon profitieren. Dazu gehören zum Beispiel junge Menschen aus ökonomisch schwachen Familien, Langzeitarbeitslose, die oft sehr hartnäckig sein müssen, damit das Jobcenter einem BFD zustimmt, oder Geflüchtete und Menschen mit Behinderung. Der Rechtsanspruch würde den Freiwilligendienst noch mal enorm aufwerten. Erste Überlegungen dazu gibt es in der Politik schon. Das unterstützen wir und werden uns als Diakonie RWL aktiv an einer Ausgestaltung beteiligen.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke. Fotos: Christian Carls/Diakonie RWL
Freiwilligendienste
Der erste Impuls zu einem organisierten Freiwilligendienst ging 1954 von der Diakonie Neuendettelsau in Bayern aus. Es war der Startschuss für ein "Diakonisches Jahr". Zehn Jahre später verabschiedete der Bundestag das "Gesetz zur Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres" (FSJ). Mit dem Ende des Zivildienstes, der Anfang der sechziger Jahre eingeführt worden war, wurden die bestehenden Jugendfreiwilligendienste um den Bundesfreiwilligendienst (BFD) ergänzt. Heute engagieren sich jedes Jahr rund 100.000 Menschen in einem Freiwilligendienst. Knapp 40.000 davon machen ein BFD.
Bei Evangelischen Trägern starten pro Jahr etwa 13.500 Menschen in einen Freiwilligendienst. Rund ein Drittel macht einen BFD. Die Diakonie RWL gehört mit ihren 2.000 Freiwilligen bundesweit zu den größten evangelischen Anbietern.