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20 Jahre Jugendmigrationsdienst und Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte

Fünf Menschen, eine Erfolgsgeschichte

Fremde Sprache, neues Umfeld, bürokratische Hürden. Wer neu in Deutschland ist, muss immer wieder Hindernisse überwinden. Hier erzählen fünf geflüchtete Menschen, was ihnen das Ankommen erleichtert hat, wo sie Unterstützung gefunden haben und warum Diakonie den Unterschied macht.

Flucht und Migration
Harry Abraham, Musik- und Filmproduzent im Studio 46 im Jugendzentrum Parkhaus
Harry Abraham / © Timo Spicker

Harry Abraham (32) ist vor 18 Jahren nach Deutschland gekommen und lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Mülheim an der Ruhr.

"Ich bin mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen. Am Anfang hatte ich noch viele Ängste, alles war sehr schwer für mich. Ich hatte eigentlich überall Schwierigkeiten, auch in der Schule. Ich hatte zum Beispiel große Probleme, mich zu konzentrieren. 

Meine Erfahrung ist: Wenn man neu in so einem Land wie Deutschland ist, dann ist man meistens allein. Man fühlt sich einsam, weil man seine Leute nicht um sich hat. Klar, das sagt sich so einfach: Dann musst du eben Freunde finden. Aber wie? Du kannst ja nicht einfach auf der Straße Leute ansprechen und sagen: ‚Komm, willst du mein Freund sein?‘ Das war damals alles ein bisschen schwierig für mich.

Das ging dann auch so weiter, bis ich Kontakt zur Diakonie aufgenommen habe. Für mich war es damals sehr wichtig, einen Ort wie die Diakonie zu haben, weil ich dort andere Jugendliche getroffen habe. Wir haben getanzt und zusammen Musik gemacht. Und ich habe dort ein paar Freunde gefunden, die auch heute noch in meinem Leben sind.

Das, was ich damals bei der Diakonie gefunden habe, war für mich sehr wichtig und hat mich geprägt. Deshalb mache ich heute auch das, was ich mache: Ich arbeite als Musik- und Filmproduzent. Außerdem engagiere ich mich im Studio 46 im Jugendtreff Parkhaus in Oberhausen. Dort arbeite ich mit jungen Leuten, die kreativ sein wollen: Wir machen Musik, drehen Videos, produzieren Podcasts und haben einfach zusammen eine gute Zeit. 

Ich möchte etwas zurückgeben. Ich denke, es ist wichtig junge Leute zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihren Weg zu finden. So wie mir damals geholfen wurde, meinen Weg zu finden. Deshalb versuche ich, den Jugendlichen dieselbe Unterstützung und Zeit zu schenken. Ich möchte ihnen sogar noch etwas mehr bieten, nämlich das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein. Denn genau das war es, was ich damals gefühlt habe." 
 

Elena Knaus (46) ist vor 22 Jahren als Spätaussiedlerin aus Russland nach Deutschland gekommen. Heute lebt sie in Essen.

Elena Knaus (46) ist vor 22 Jahren als Spätaussiedlerin aus Russland nach Deutschland gekommen. Heute lebt sie in Essen.

"Ich bin in Kasachstan aufgewachsen. Den größten Umbruch habe ich erlebt, als meine Eltern, meine Schwester und ich in den 1990er Jahren nach Russland umgezogen sind. Damals musste ich meine Freunde zurücklassen. Das war eine schwere Zeit. Ich war gerade 18. Sieben Jahre später haben wir als Familie beschlossen, nach Deutschland zu gehen.

Wir kamen 2003 als Spätaussiedler in Friedland an. Die Wochen dort habe ich schrecklich in Erinnerung. In Unna wurde es schon etwas besser. Und dann sind wir nach Essen gezogen. Ich sprach kein Wort Deutsch. Nachbarn machten meine Schwester und mich dann auf den Jugendmigrationsdienst (JMD) der Diakonie aufmerksam. Wir sind einfach mitgegangen. Und dort habe ich Brigitte Lindemann kennengelernt. Ohne sie wäre mein Leben anders verlaufen.

Meine Schwester und ich haben Sprachkurse der Diakonie besucht. Als Bildungsfahrt sind wir mit dem JMD nach Berlin und Paris gefahren, haben Bewerbungstraining bekommen und multikulturelle Projekte zum Beispiel das Projekt Integration durch Sport verwirklicht. Das war eine tolle Zeit. Und obwohl ich studierte Wirtschaftsprüferin bin, habe ich dann für meine Sprachkenntnisse ein Praktikum im Hort gemacht. Dort haben sie zu mir gesagt: ‚Du musst mit Kindern arbeiten. Sie lieben dich.‘

Ich habe dann eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Und auch dabei viel Unterstützung bekommen. Vor allem, weil uns das Geld fehlte. Damals kam Brigitte Lindemann beim JMD auf die Idee, dass ich als Honorarkraft Sportkurse für die Sprachschüler gebe. Ich hatte in Russland schon viel Erfahrung als Sportlerin gesammelt. Vor 18 Jahren habe ich den ersten Kursus gegeben.

Heute habe ich den Übungsschein B und C und bin mit den Mädels von damals älter geworden. Wir treffen uns immer noch jede Woche in den Räumen der Kirchengemeinde zum Sport, so eine Art Aerobic. Ich mache das längst ehrenamtlich. Und den Kontakt zu Brigitte Lindemann habe ich auch gehalten, auch wenn sie inzwischen im Ruhestand ist. Als meine Eltern gestorben sind, da hat sie genau gespürt, dass ich mich alleine fühle. Und sie ist immer noch für mich da."
 

Asemota Blessing, Teilnehmerin Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte

Asemota Blessing ist vor 19 Jahren nach Deutschland gekommen und lebt mit ihren vier Kindern in Essen.

"Ich bin 2006 aus Nigeria nach Deutschland gekommen. Mittlerweile lebe ich in Essen, arbeite als Reinigungskraft und habe vier Kinder – zwei Mädchen und zwei Jungen. Zu Beginn war es für mich richtig schwierig in Deutschland, weil ich oft Probleme mit bürokratischen Dingen hatte. Man geht beispielsweise zum Amt und fragt etwas. Die meisten Menschen dort sind sehr freundlich, aber leider werden viele Sachen nicht direkt im Büro erledigt, sondern man bekommt dann ein paar Tage später einen Brief. Diese Briefe vom Amt sind das Schlimmste (lacht). Ich habe oft überhaupt nicht verstanden, was die von mir wollten. Aber die Leute von der Diakonie in Essen haben mir immer sehr geholfen.

Wie ich zur Diakonie gekommen bin? Ich habe eine Frau kennengelernt, und die hat mir den Tipp gegeben und gesagt: Geh zur Beratung der Diakonie, die helfen dir. Und ich bin so glücklich, dass ich das gemacht habe. Ich konnte gar nicht fassen, dass es so etwas gibt…Dass mir einfach so geholfen wird. Die Beraterinnen unterstützen mich in allen Dingen, zum Beispiel, wenn ich Infos von der Stadt bekomme, die ich nicht verstehe. Oder sie begleiten mich, wenn ich Anträge stellen muss, etwa Wohngeld oder Kinderzuschlag. Immer wenn ich Schwierigkeiten habe, rufe ich bei der Diakonie an oder komme einfach direkt hierhin.

Ich weiß, dass auch viele andere Leute aus afrikanischen Ländern oder von wo auch immer dieselben Probleme haben wie ich. Deshalb erzähle ich so oft es geht von der Diakonie und hoffe, dass möglichst viele auch zur Beratung kommen und sich helfen lassen. Denn hier ist ein offener Ort, und hier sind alle willkommen, die Hilfe brauchen.

Bei mir ist viel passiert, seit ich in Deutschland bin. Inzwischen bin ich Deutsche. Ich kann mich gut erinnern: Als ich vor drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen habe, das war 2022, habe ich direkt die Beraterin von der Diakonie angerufen und ihr erzählt: ‚Ich habe meine Einbürgerung bekommen.‘ Und sie hat gejubelt und gesagt: ‚Toll, du hast das alles selbst geschafft. Ich weiß, du kannst auch alles andere selbst schaffen.‘ Das hat mir viel Mut gemacht."
 

Mahsum Hassan (40) kam vor elf Jahren aus Syrien nach Deutschland und lebt heute mit seiner Frau und den beiden Kindern in Düsseldorf

Mahsum Hassan (40) kam vor elf Jahren aus Syrien nach Deutschland und lebt heute mit seiner Frau und den beiden Kindern in Düsseldorf

"Du kommst in ein Land, das du nicht kennst. Du sprichst kein Deutsch. Und es entstehen viele Schwierigkeiten. Heute weiß ich: Wenn ein Problem auftaucht, rufe ich Antonia Annoussi bei der Diakonie an. Sie zeigt mir immer einen Weg.

Als ich damals aus Syrien über die Türkei und Italien nach Bayern kam, stand ich mitten in der Nacht in einem Dorf und wusste nicht, wenn ich um Hilfe bitten konnte. Es gab niemanden. Und ich wollte nicht zur Polizei, weil ich Angst vor der Polizei hatte. Ich kann diesen Tag nicht vergessen. Ich habe bis morgens um 6 Uhr am Bahnhof gewartet und bin dann nach München gefahren. Von der Diakonie wusste ich nichts. Ich habe in Flüchtlingsheimen gelebt und mitbekommen, wie die Menschen Angst vor uns hatten. Im Internet habe ich Deutsch gelernt und die ganze Zeit an meine Frau und mein Kind in Syrien gedacht. Sechs Monate später waren sie endlich wieder bei mir – mit dem Familiennachzug. Ich dachte damals, ich muss alles selber machen. Ich wusste nicht, dass es Hilfe gibt.

Dann sind wir zu meinem Bruder nach Hagen gezogen und dort habe ich zum ersten Mal von der Diakonie gehört. Sie haben uns geholfen, die Genehmigung zu bekommen, nach Düsseldorf umzuziehen. Und dort haben wir Antonia Annoussi bei der Migrationsberatung der Diakonie kennengelernt. Das hat vieles für uns verändert. Seitdem weiß ich: Es gibt Hilfe. Wenn ich Anträge ausfüllen musste, konnte ich bei der Diakonie anrufen. Als ich eine Ausbildungsstelle gesucht habe, bekam ich Hilfe. Und auch bei der Suche nach einem Ladenlokal für die Eröffnung eines Handyladens.

Heute arbeite ich dort als Angestellter. Das bedeutet mehr Zeit und mehr Sicherheit für meine Familie und mich. Ich habe auch mehrere Jahre als Übersetzer für die Diakonie gearbeitet. Den Kontakt habe ich nie abgebrochen. Die wertvollen Telefonnummern habe ich in meinem Handy gespeichert." 
 

Kawthara Algobari aus Neuss

Kawthara Algobari (49) kam vor zehn Jahren aus Syrien nach Deutschland und lebt heute mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen im Kreis Neuss.

"Ich habe mich damals mit meinen Brüdern auf den Weg von Aleppo nach Europa gemacht. Mein Mann und ich hatten entschieden, dass wir zum Schutz unserer Kinder Syrien verlassen müssen. Wir sind Kurden. Ich bin erstmal alleine gegangen. Ich hatte als junge Frau Medizin in der Ukraine studiert, spreche Englisch und Russisch und ich wusste, wie es sich anfühlt, in einem fremden Land anzukommen. Ich hatte viel gelesen, kannte die deutschen Gesetze und wusste, dass man als Geflüchteter nach der Ankunft in Deutschland zur Polizei gehen konnte. 20 Tage lang habe ich dann in einem Flüchtlingsheim gelebt und nur geschlafen und gegessen und an meinen Mann und meine beiden Kinder in Syrien gedacht. Ich wollte keine Zeit verlieren und habe den Behörden gesagt: Ich bin nicht hier, um zu essen und zu schlaffen. Ich möchte mit meiner Familie hier leben und ich möchte arbeiten. Ein Jahr und elf Monate später durften mein Mann und die Kinder nachkommen. Ich habe dann im Kreis Neuss eine Wohnung für uns gefunden und bei unserer neuen Adresse habe ich plötzlich das Zeichen der Diakonie gesehen. Ich habe geklopft und gesagt: Ich brauche Hilfe. Und ich habe Hilfe bekommen. Bei allem. Es ist wie in einer Familie. Wenn Post vom Jobcenter kam, die Familienkasse einen Brief geschickt hat oder ich den Handyvertrag nicht verstanden habe: Dann habe ich mich bei der Diakonie gemeldet, weil ich auf keinen Fall etwas falsch machen wollte. Das hat mir so viel Sicherheit gegeben, dass endlich jemand mit mir zusammen auf die Dinge geschaut hat. Mein Mann arbeitet inzwischen als Arzt in der LVR-Klinik. Wir sind in Deutschland eingebürgert worden, meine Kinder gehen hier ihren Weg und machen ihr Fachabitur. Aber mein medizinischer Abschluss als Frauenärztin wird noch nicht anerkannt, weil ich in der Ukraine studiert habe und Bescheinigungen über meine Praxiszeit dort fehlen. Das ist gerade wieder eine sehr schwierige Situation für mich. Aber ich habe schon so viel geschafft. Und ich hoffe, dass es eine Lösung gibt."
 

Protokolle: Theresa Demski, Verena Bretz, Fotos: Timo Spicker (2), Privat

Ansprechperson

Verena Bretz
Referentin
Politik und Kommunikation
V.Bretzatdiakonie-rwl.de

Kurztext

Die bundesgeförderten Beratungsdienste "Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte" (MBE) und "Jugendmigrationsdienste" (JMD) in der Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern (BMI) und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und  Jugend (BMFSFJ) bilden wichtige Grundpfeiler der Integrationspolitik des Bundes und haben sich zu anerkannten Anlauf- und Beratungsstellen für Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt. In diesem Jahr feiern beide Programme ihr 20-jähriges Bestehen.