Themenreihe Familie
Vier Tage, gar nicht weit weg von zu Hause, im Tagungshaus Gut "Alte Heide" in Wermelskirchen: Ina Tiemann hat mit ihren beiden jüngsten Kindern im März 2024 an der Mutter-Kind-Freizeit teilgenommen. Vier Tage, von denen sie immer noch ein bisschen zehrt. Die 42-Jährige ist schon seit einigen Jahren alleinerziehend. Im vergangenen Jahr starb ihr neuer Lebensgefährte. "Meine kleine Tochter versteht noch gar nicht richtig, was passiert ist." Die vier Tage seien gut gewesen, um in Ruhe über die Familiensituation und all das nachzudenken, was in der letzten Zeit passiert ist, sagt sie. Im Alltag fehle dafür oft der Abstand. "Da hat man gar nicht so den Blick auf sich und auf die Kinder."
Dunja Kutzschbach weiß aus der Beratung, dass Alleinerziehende nur selten eine Auszeit für sich haben.
Auszeit für Alleinerziehende
Lebensthemen reflektieren, Kraft tanken, eigene Ressourcen wiederentdecken, eine intensive Zeit mit den Kindern erleben und die Beziehung zu ihnen stärken – um all das geht es bei der Mutter-Kind-Freizeit. "In der Beratung merken wir immer wieder, wie wenig Entspannung und Entlastung Alleinerziehende haben", sagt Psychologin Dunja Kutzschbach, die das "Haus für alle" in Waldbröl leitet. Als die Beratungsstelle für Erziehungs-, Familien-, Ehe- und Lebensfragen der Diakonie im Kirchenkreis An der Agger vor einigen Jahren eine Spende vom Lions Club erhielt und die Mitarbeiterinnen frei über die Verwendung des Geldes entscheiden konnten, kam ihnen schnell die Idee, Alleinerziehenden eine kleine Auszeit zu ermöglichen. 2019 startete die erste Fahrt mit elf Frauen und 19 Kindern in den Westerwald. Mittlerweile ist das Seminarhaus Gut "Alte Heide" im Bergischen Land fester Veranstaltungsort. Die Anreise ist kurz und die Bedingungen dort sind einfach ideal.
"Als Gruppe hatten wir das ganz Haus für uns allein", schwärmt Ina Tiemann und war schon bei der Ankunft "positiv überrascht". Das Anwesen mit Fachwerkcharme liegt außerhalb der Stadt, umgeben von Wiesen und Wäldern. Die Zimmer sind hell und modern. Ihr zehnjähriger Sohn habe sich sehr auf die Freizeit gefreut und war sofort draußen, um das Gelände zu erkunden. Und auch seine kleine Schwester, damals vier Jahre alt, konnte die Mutter ohne Bedenken mit den anderen Kindern spielen lassen.
Auf dem Programm der Freizeit stehen Angebote für die Gruppe und Entspannungsübungen sowie Zeit für sich selbst und für den Austausch.
Schatzsuche und Stockbrotbacken
Bis zu zwölf Frauen können mit ihren Kindern an der Freizeit teilnehmen, die traditionell gleich zu Beginn der Osterferien stattfindet. Es gibt Angebote für die Kinder und gemeinsame Aktionen, Ausflüge, eine Schnitzeljagd mit Schatzsuche oder Stockbrotbacken am Lagerfeuer. Die Frauen haben aber auch Zeit für sich, können kreativ sein, Entspannungsangebote nutzen, sich mit anderen Müttern austauschen, neue Ideen und Impulse bekommen. "Es geht auch darum, dass sich die Mütter vernetzen, Handynummern austauschen und Kontakte über die Freizeit hinaus knüpfen", sagt Dunja Kutzschbach, die die Freizeit gemeinsam mit ihrer Kollegin Claudia Kunczik leitet. Unterstützt werden die beiden von zwei bis drei Teamer*innen, oft Studierende, die sich um die Kinderbetreuung kümmern. Damit das gut klappt, ist das Alter der Kinder auf dreieinhalb bis zwölf Jahre festgelegt.
Wertschätzende Atmosphäre
So kommt im Gut "Alte Heide" immer eine bunt gemischte Gruppe zusammen mit ganz unterschiedlichen Familien und Lebenswegen – und doch entstehe schnell eine Verbundenheit und das Gefühl: Wir sitzen alle in einem Boot und achten aufeinander, beobachtet Dunja Kutzschbach. "Das finde ich sehr schön."
Ina Tiemann hat besonders gefallen, dass der Blick immer wieder auf das Positive gelenkt wurde. Was gelingt mir als Mutter gut? Was zeichnet meine Kinder aus? Was macht uns als Familie besonders? Schon in der Kennenlernrunde, erinnert sie sich, wurden die Silhouetten der Kinder auf ein Blatt gemalt und mit allem gefüllt, was sie ausmacht – vom Lieblingsessen bis zum fröhlichen Lachen. Ähnlich läuft es bei der Familienaktion "Familienwappen", bei der es um die Besonderheiten der einzelnen Familie geht, ergänzt Dunja Kutzschbach. "Die Kinder präsentieren das Ergebnis und es ist einfach toll zu sehen, wie stolz sie auf ihre Familie sind."
Auf die Blütenblätter schreiben die Frauen, was sie an sich schätzen.
Stärken zum Vorschein bringen
Richtig aufblühen können die Mütter, wenn sie Blumen aus Papier gestalten. Zuerst schreibt jede Frau auf einzelne Blütenblätter, was ihr wichtig ist und was sie selbst an sich schätzt. Dann schreiben die Frauen auf, was sie an den anderen gut finden und überreichen die Blütenblätter der jeweiligen Frau. "Das ist immer ein besonderer Moment, wenn die Frauen sich gegenseitig beschenken und merken, was sie alles gut machen", sagt Dunja Kutzschbach, die weiß: Im Alltag gerät das schnell in Vergessenheit, stehen oft Zweifel und Probleme im Vordergrund.
Aber auch darüber wird gesprochen. "In den sozialen Medien gibt es so unrealistische Bilder von Familie", sagt Ina Tiemann. Immer fröhlich, glücklich und perfekt. Wie entlastend ist es da, sich mit anderen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind und zu merken: Auch da läuft nicht immer alles rund. Aber es gibt Strategien und Wege, die Dinge in den Griff zu bekommen.
Rundum versorgt
Natürlich dürfen die Erwartungen an vier Tage nicht zu hoch sein, bleibt Ina Tiemann realistisch. Aber es war für sie eine gute Erfahrung zu merken: Es muss "kein Riesenurlaub" sein, um sich zu erholen. Allein schon die Vollpension sei für die Teilnehmerinnen großartig, bestätigt Dunja Kutzschbach. "Die Frauen genießen es, sich zu den Mahlzeiten an den gedeckten Tisch setzen zu können und sich um nichts kümmern zu müssen." Kein Einkaufen, kein Kochen, kein Abwasch. Urlaub ist für manche Familien ohnehin ein Extra, das nicht drin ist, und für Alleinerziehende nicht immer leicht zu organisieren. "Wir machen gar nicht so große Urlaube", sagt Ina Tiemann, weil das Verreisen für sie oft mehr Stress als Erholung bedeutet.
Vier Tage, die nachwirken
Die Mutter-Kind-Freizeit ist dagegen ganz auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden ausgerichtet. Viele der Teilnehmerinnen kennt Dunja Kutzschbach bereits aus der Beratung, andere stoßen neu dazu. "Nach der Freizeit fällt es den Alleinerziehenden noch leichter, weitere Beratungsangebote zu nutzen, weil sie uns schon kennengelernt haben", sagt die Psychologin.
Das ist wichtig, sagt Diakonie RWL-Expertin Deane Heumann: "Die positiven Erfahrungen senken die Hemmschwelle, frühzeitig eine Beratungsstelle aufzusuchen – bestenfalls bevor sich Krisen verfestigen und möglicherweise andere Maßnahmen notwendig machen." Präventionsarbeit wie die Freizeit für Alleinerziehende sind damit ein wichtiger Baustein der Arbeit in den Beratungsstellen. "Die Beratungsstellen sind hier sehr kreativ und versuchen immer wieder mit viel Herzblut Drittmittel zu organisieren, um diesen wichtigen Teil ihrer Arbeit aufrecht zu erhalten", so die Referentin im Geschäftsfeld Familie und junge Menschen.
Erinnerung für zu Hause: "Mit Geduld und dem Glauben an mich selbst, mein Glück und meine Stärke zu finden und mit Stolz an meine Kinder weiterzugeben."
Finanzierung schwierig
Doch vergleichbare Angebote sind selten und auch für die diakonische Einrichtung stellt sich jedes Jahr aufs Neue die Frage, wie das Projekt finanziert werden kann. Die Familien zahlen einen kleinen Eigenanteil. "Zusätzlich brauchen wir etwa 5.000 Euro", sagt Dunja Kutzschbach. Keine große Summe. "Als Einrichtung haben wir nur das Geld für das eingesetzte Personal, also unsere festangestellten Mitarbeiterinnen. Für eine Freizeit entstehen aber weitere Kosten, die damit nicht abgedeckt sind. Deshalb ist es jedes Jahr ein Drahtseilakt, Spenden oder Förderungen für die Freizeit zu organisieren."
In diesem Jahr konnte die Fahrt durch die Kollekten für bedürftige Familien der Evangelischen Kirche im Rheinland unterstützt werden – für Dunja Kutzschbach gut angelegtes Geld. "Viele Probleme entstehen aus einem Gefühl der Überlastung", weiß die Psychologin und hofft, dass die Frauen so manche Anregung aus der Freizeit mit nach Hause nehmen, um im Alltag gut für sich selbst und die Kinder zu sorgen. Oder wie es eine Teilnehmerin formulierte: "Mit Geduld und dem Glauben an mich selbst, mein Glück und meine Stärke zu finden und mit Stolz an meine Kinder weiterzugeben!" Diesen Satz habe sie auf ein Foto geklebt, sagt Kutzschbach. "Das Bild kann zu Hause aufgehängt werden, um immer wieder daran erinnert zu werden."
Text: Silke Tornede, Fotos: Dunja Kutzschbach, Diakonie Kirchenkreis An der Agger
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