21. Mai 2015

Mit guten Arbeitsbedingungen punkten

Diakonie-Experte fordert gesunde Unternehmenskultur

Weniger Fördermittel und eine starke Konkurrenz auf dem Sozialmarkt machen den meisten diakonischen Einrichtungen zu schaffen. Der Druck wird nicht selten an die Mitarbeiter weitergereicht, die sich zunehmend gestresst fühlen. Das muss nicht sein, meint Tim Hagemann, Professor an der Bielefelder Fachhochschule für Diakonie. Der Psychologe rät dazu, die Gesundheit der Mitarbeitenden stärker in den Fokus zu stellen. Denn davon profitieren letztlich alle.

Tim Hagemann

Tim Hagemann

Herr Hagemann, eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung warnt davor, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Über die Hälfte glaubt, aus dem Teufelskreis der Überforderung nicht mehr herauszukommen. Wann macht Arbeit krank?

In jedem Fall ist kontinuierlicher Stress gesundheitsschädigend. Denn bei Stress steigt der Adrenalinpegel und der Körper fährt andere Systeme wie die Verdauung oder das Immunsystem herunter, um eine anstrengende Aufgabe konzentriert bewältigen zu können. Allerdings muss man auch sagen, dass lange Arbeitszeiten und eine hohe Arbeitsdichte nicht unbedingt zu Stress führen. Hier sind die Menschen nicht nur unterschiedlich belastbar. Es kommt auch sehr darauf an, in welcher Beziehung sie zu ihrer Arbeit stehen.

Wann sind Mitarbeitende denn in der Regel zufrieden mit ihrem Job?

Entscheidend ist zunächst, dass sie verstehen, warum sie diese Arbeit tun und einen Sinn darin sehen. Wichtig ist auch, dass sie das Gefühl haben, Herausforderungen im Job bewältigen zu können und dafür Wertschätzung erleben. Wer erfährt, dass er auf Entscheidungen Einfluss nehmen kann, fühlt sich ebenfalls zufriedener im Job.  Natürlich spielt auch eine entscheidende Rolle, ob die Stelle befristet oder unbefristet ist und das Gehalt als angemessen empfunden wird. Eine permanente Unterbezahlung macht natürlich unzufrieden.

Angesichts der Ökonomisierung der Sozialbranche ist die Diakonie sehr unter Druck. Viele Einrichtungen können keine höheren Gehälter zahlen, selbst wenn sie wollten, und mehr Personal einstellen.

Dennoch gibt es meiner Ansicht nach gerade bei der Diakonie viel Potenzial für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben ihre Arbeit als sinnvoll. Es gibt eine hohe Identifikation mit den Werten der Menschlichkeit, Toleranz und christlichen Nächstenliebe, denen sich die Einrichtungen verpflichtet fühlen. Die Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Sinnhaftigkeit erhalten bleibt. Wenn Pflegekräfte nur noch ihre Arbeit dokumentieren und keine Zeit mehr für die Pflege der Menschen haben, werden sie unzufrieden. Hier sind neue Arbeitszeitmodelle gefragt.

Wie ernst wird das betriebliche Gesundheitsmanagement in diakonischen Einrichtungen genommen?

Ich glaube, viele Führungskräfte sehen durchaus, dass Umstrukturierungen und Reorganisationen die Mitarbeiter stressen, sind aber sehr auf ihre Zahlen und Sparmodelle fixiert. Da bleibt dann wenig Raum für neue, kreative Lösungen. Die liegen übrigens auch in Kooperationen mit anderen Unternehmen, für die die Diakonie als Anbieter von Gesundheit, Suchtberatung oder die Tagespflege der alten Eltern leisten kann. Im Gegenzug können die Mitarbeitenden der Diakonie die Infrastruktur der Unternehmen, etwa Betriebskindergärten, Schulungen oder Fitnessräume nutzen. Den Führungskräften sollte klar sein, dass gesunde und zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens sind. Wer dies in seinen Zielen, Strategien und Konzepten direkt mitbedenkt, wird langfristig am Markt bestehen können.

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