Spendenaktion Seenotrettung
Sie ist 60 Meter lang und besteht aus 287 Tonnen Stahl – die "Sea-Watch-4" ist ein beeindruckendes Schiff. "So groß und imposant hätte ich es mir nicht vorgestellt", erzählt Susanna Thiel. Die Flüchtlingsexpertin der Diakonie RWL durfte Ende Februar auf der Jungfernfahrt des Rettungsschiffes dabei sein. Fast drei Stunden fuhr die "Sea-Watch-4", die früher ein Forschungsschiff war, von Kiel nach Rendsburg.
Ein kleiner Kreis von 11 Unterstützern der Seenotrettungsaktion des Bündnisses "United4Rescue" war mit der Crew unterwegs, um sich ein genaueres Bild vom Schiff und seiner Aufgabe zu machen. "Es gab großen Zuspruch zu unserer Spenden-Verdoppelungsaktion", betont Susanna Thiel. "Denn mit dem Kauf des Schiffes alleine ist es nicht getan. Auch die Umbauten kosten Geld, das dringend gebraucht wird."
Spenden als Zeichen der Humanität
75.000 Euro konnte die Diakonie RWL nun an das Bündnis "United4Rescue" überweisen. Rund 35.000 Euro haben Spenderinnen und Spender eingezahlt. "Wir haben die Spenden verdoppelt und noch 5.000 Euro draufgelegt", erklärt Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Danke an alle, die sich an unserer Aktion beteiligt und damit ein Zeichen der Humanität gesetzt haben. Sie tragen dazu bei, dass Menschenleben gerettet werden."
Im vergangenen Jahr starben laut "United4Rescue" mehr als 1.000 Flüchtlinge bei dem Versuch, aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa zu gelangen. Die zivile Seenotrettungsorganisation "Sea Watch", die als Kooperationspartner des Bündnisses das Rettungsschiff als viertes in ihre Flotte aufgenommen hat, war seit 2015 an der Rettung von über 37.000 Menschen beteiligt.
Auf den meist völlig überfüllten Flüchtlingsbooten werden die Menschen oft schwer verletzt. (Foto: pixabay)
Fast alle Flüchtlinge sind verwundet
Das neue Schiff kann rund 300 Flüchtlinge aufnehmen. Notfalls hätten sogar 900 Menschen Platz an Bord, berichtet Susanna Thiel. Für sie müssen Decken, Rettungswesten und Lebensmittel gekauft werden. In zwei gesonderten Räumen mit Betten und einer Dusche finden Frauen, Kinder und Menschen, die krank, verwundet oder stark traumatisiert sind, Schutz. In der Sanitärstation können die Medizinerinnen und Mediziner bis zu drei Verletzte gleichzeitig behandeln. Denn Wunden haben fast alle Flüchtlinge.
Gewaltsame Übergriffe, lange Fußmärsche und insbesondere die Flucht in den Schlauchbooten führen zu Unterkühlungen und Verletzungen. "In den Booten sitzen Frauen und Kinder meistens innen, um vor Sturm und Nässe besser geschützt zu sein", berichtet Susanna Thiel. "Doch auch sie haben oft schwere Wunden und Verätzungen, weil sie eng gedrängt auf einem mit Kunststoffplatten und Schrauben verstärkten Boden sitzen, auf dem sich Meerwasser, Benzin und Fäkalien sammeln."
Interessierter Blick ins Rettungsboot, mit dem die Crew die Flüchtlinge an Bord holen wird: Susanna Thiel auf dern "Jungfernfahrt" der Sea-Watch-4
Pflicht zur Seenotrettung
Der Rundgang über das Schiff und die Gespräche mit der Crew hätten ihr noch einmal deutlich gemacht, wie verzweifelt die flüchtenden Menschen sind, die diese gefährliche Reise antreten, sagt die Migrationsexpertin. "Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie sie ertrinken." Nach wie vor gebe es keine staatliche oder europäische Seenotrettung. "So bleiben Organisationen der zivilen Seenotrettung die einzigen, die Menschen retten und sie in sichere Häfen bringen. Und dafür erleben diese Retter derzeit Kriminalisierung und Behinderung, was für uns nicht hinnehmbar ist."
Dabei ist die Pflicht zur Seenotrettung völkerrechtlich verankert. Es sei eigentlich Aufgabe der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, Flüchtlinge an einen sicheren Hafen zu bringen und faire Asylverfahren zu ermöglichen, betont Vorstand Christian Heine-Göttelmann. "Es ist ein Skandal, dass die Länder der EU sich nicht auf eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge einigen können." Gleichzeitig seien über 130 Städte und Kommunen bereit, zusätzliche Schutzsuchende aufzunehmen. "Sie sollten diese Möglichkeit, Schutz zu schenken, erhalten."
Text: Sabine Damaschke, Fotos: Susanna Thiel/Video: Christoph Bürgener
Spenden und Fundraising
Das Bündnis "United4Rescue" wurde am 3. Dezember 2019 gegründet. Ihm gehören inzwischen fast 400 Institutionen, Vereine, Firmen und Initiativen an. Die Initiative für ein zusätzliches Rettungsschiff und für ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis ging von der Evangelischen Kirche aus. Das Bündnis fordert von der deutschen und europäischen Politik, Seenotrettung zu ermöglichen, die Kriminalisierung der Seenotrettung zu beenden, faire Asylverfahren zu gewährleisten und zu weiteren Aufnahmen bereite Kommunen dabei zu unterstützen, aktiv zu werden.