8. Juli 2024

Nach der Flut

Gemeinsam Nachbarschaft gestalten

Seit Anfang des Jahres koordiniert Andreas Vollmert als Referent im Zentrum Drittmittel und Fundraising der Diakonie RWL die Quartiersprojekte der Fluthilfe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Mit der Quartiersarbeit verfolgt die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL) das Ziel, die Gemeinschaften in den von der Flut betroffenen Gebieten zu stärken. Worauf es dabei besonders ankommt.

  • Mitarbeitende des Quartiersprojekts der Diakonie Katastrophenhilfe RWL sitzen gemeinsam am Tisch.
  • Eine Quartiersmanagerin der Diakonie Katastrophenhilfe RWL stellt auf Schautafeln die Quartiersarbeit vor.

Die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe unterstützt die Menschen, die von der Flut im Jahr 2021 betroffen sind, nun schon seit drei Jahren mit umfassenden finanziellen Hilfen und psychosozialer Begleitung. Neu hinzugekommen sind die Quartiersprojekte. Welches Ziel verfolgt die DKH RWL damit?

Andreas Vollmert: Das gesamte Programm der Katastrophenhilfe ist in drei Phasen aufgebaut. Zuerst die Soforthilfen, in Phase zwei die Haushaltsbeihilfen, der Wiederaufbau und die psychosoziale Begleitung und nun als dritter Baustein die Quartiersprojekte "Soziale Gemeinschaften stärken". Damit möchten wir Nachbarschaften resilient machen, also widerstandsfähig gegen mögliche künftige Katastrophen. Im Rahmen von professionell begleiteten Quartiersprojekten kann diese Stärkung gelingen.

Wie viele Quartiere soll es geben und wo sind bislang die Projektstandorte?

Andreas Vollmert: Unser Ziel ist der Aufbau von zehn Quartiersstandorten in Regionen, die 2021 vom Hochwasser betroffen waren. Am Start sind bereits Altenahr, Erftstadt, Eschweiler, Hagen, Heimerzheim, Leichlingen, Lüdenscheid-Brügge und Trier-Ehrang. Im Gespräch sind wir mit Trägern in Hönningen an der Mittelahr sowie Schleiden-Gemünd.

Quartiersarbeit an sich ist nichts Neues. Was macht das Projekt der DKH RWL besonders?

Andreas Vollmert: Die Verknüpfung von einerseits klassischer Sozialraumarbeit mit lokalen Netzwerken sowie dem Aufbau von Stadtteil-Aktivitäten mit andererseits Zielen wie Katastrophenprävention und Klimafolgeanpassung gab es meiner Kenntnis nach bislang nicht. Auch für unseren starken Partner, die Diakonie Katastrophenhilfe, sind diese Quartiersprojekte erstmalig. Die Idee, Menschen widerstandsfähig zu machen für den Katastrophenfall und mit Betroffenen Strategien für Klimaextreme wie Hitze und Starkregen zu entwickeln, ist sehr zukunftsorientiert. Dieser innovative Ansatz wird sicher viele Nachahmer in der Quartiersarbeit finden.

Andreas Vollmert, Quartiersmanager der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe.

"Quartiersarbeit bedeutet immer, sich selbst zurückzunehmen und andere machen zu lassen", sagt Andreas Vollmert, der für die Diakonie Katastrophenhilfe RWL das Quartiersprojekt koordiniert. 

Sie koordinieren die verschiedenen Quartiersstandorte. Was heißt das konkret? Wie sieht Ihre Arbeit aus? 

Andreas Vollmert: Mehrere Quartiersstandorte parallel zu begleiten, bedeutet viel schreiben, viel telefonieren, die Mitarbeitenden vor Ort besuchen und alle Aktiven zusammenbringen. Es heißt aber auch, frühzeitig zu erkennen, ob unsere Teams vor Ort zügig in die Umsetzung von Mikroprojekten einsteigen. Dabei geht es um viele größere, aber auch um zahlreiche kleine Maßnahmen wie etwa ein Aktionstag in der Natur mit Förster, Biologen und Wasserexperten oder eine Infoveranstaltung zu Starkregen und Hitzeperioden. Wir haben im Förderzeitraum nur etwa zwei Jahre Zeit, um Nachbarschaften zu begeistern und die Menschen zu ermuntern, selbst den Hochbeetgarten, die Reparaturwerkstatt oder das Generationentreffen als Mikroprojekt zu organisieren. 

Sie sind schon länger in der Quartiersarbeit unterwegs. Was hat Sie in diesem Projekt überrascht?

Andreas Vollmert: In der Regel nimmt ein Quartiersprojekt sehr langsam Fahrt auf. Sich bekannt machen sowie Umfragen und Werkstattverfahren durchführen sind typische Methoden zu Beginn der Quartiersarbeit. Ich bin tatsächlich überrascht, mit wieviel Elan die Kolleg*innen an unseren Standorten einsteigen und auch schnell erste Erfolge für sich verbuchen können.  

Sicherlich reicht es nicht, einen Raum zur Verfügung zu stellen und darauf zu warten, dass die Menschen kommen. Welche besonderen Herausforderungen gibt es in der Quartiersarbeit?      

Andreas Vollmert: Bevor Menschen sich in einer Sache freiwillig engagieren, können Monate vergehen. Sie suchen für sich einen Mehrwert und wollen sich nicht ewig binden an ein Projekt. Quartiersarbeit bedeutet immer, sich selbst zurückzunehmen und andere machen zu lassen. Zugewandt, verbindlich, offen für Neues und bereit sein für kurzfristige Änderungen – das sind Kernkompetenzen einer guten Quartiersarbeit. Mit den Menschen Ideen zu entwickeln, diese dann umzusetzen und auch in Kauf zu nehmen, dass manche Idee sich als Irrweg herausstellt oder dass Projekte in eine Sackgasse laufen; das müssen Quartiersmanager*innen aushalten. 

Beschreiben Sie doch mal die Rahmenbedingungen dieses Projekts.

Andreas Vollmert: Die DKH RWL fördert jeden Quartiersstandort bis zu zwei Jahre lang. Mit dem Geld finanziert der Träger vor Ort eine qualifizierte hauptamtliche Stelle. In einzelnen Projekten teilen sich zwei Quartiersmanager*innen diesen Job. Darüber hinaus ist es möglich, das Quartiersbüro, ein E-Fahrrad und alle Betriebskosten über die DKH RWL abzurechnen. Die Quartiersmanager*innen wiederum können auf unseren zusätzlichen Förderfonds zugreifen, wenn sie mit den Menschen zum Beispiel eine Pflanzaktion zur Schattenförderung, ein Nachbarschaftsfest oder einen Vortrag zur Katastrophenprävention organisieren. Auch der Aufbau von digitalen Warnsystemen mit Fachunternehmen und Organisationen gehört dazu. Für das gesamte Quartiersprojekt "Soziale Gemeinschaften stärken" stellt die Diakonie Katastrophenhilfe mehr als vier Millionen Euro zur Verfügung.  

Wie soll es im Idealfall nach der Projektlaufzeit in den Quartieren weitergehen?

Andreas Vollmert: Das sogenannte Verstetigen der Quartiersarbeit nach dem Ende der Förderzeit ist das schwierigste. Sich selbst überflüssig zu machen und anderen – meist freiwillig Engagierten – den Staffelstab weiterzureichen, will frühzeitig und gut vorbereitet sein, damit dieser Prozess erfolgreich verläuft und die Menschen an Mosel, Kyll, Ahr, Wupper und Ruhr noch lange von unseren Aktivitäten profitieren. 
 
Das Gespräch führte Verena Bretz, Fotos: Bretz, Hillebrand/DW Bonn 

Ihr/e Ansprechpartner/in
Andreas Vollmert
Zentrum Drittmittel und Fundraising
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