23. Februar 2023

Ein Jahr Ukraine-Krieg

"Gemeinsam können wir viel bewegen"

Die Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) unterstützt mit Spenden sowohl die Bevölkerung in der Ukraine als auch Kriegsgeflüchtete in anderen Ländern. Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe fördert als wichtiger Partner der DKH zahlreiche Projekte für Geflüchtete innerhalb seines Verbandsgebiets. „Unsere starken Netzwerke erleichtern diese Arbeit sehr“, sagt Diakonie RWL-Experte Ulrich T. Christenn (Leitung Zentrum Drittmittel und Fundraising).

  • Geflüchtete kommen am polnisch-ukrainischen Grenzübergang Medyka an.
  • Vittali Stetsun in der Stickgruppe in Bethel, wo ukrainische Geflüchtete mit Behinderung aufgenommen wurden.
  • Geflüchtete Kinder werden in Moldawien beim Lernen betreut.
  • An der Grenze zwischen Ukraine und Moldawien werden Hilfsgüter verteilt.

Anfang Februar wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums rund 1,06 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert. Die Diakonie RWL hat in den vergangenen Monaten mehr als 1,2 Millionen Euro Spenden für die Ukraine an verschiedene Hilfsprojekte für Geflüchtete in Deutschland vermittelt.

Woher kommen diese Spenden?

Ulrich T. Christenn Mehr als 700.000 Euro haben wir aus dem Deutschland-Fonds erhalten, den die DKH für die schnelle und unbürokratische Unterstützung nationaler diakonischer Projekte aufgelegt hat. Außerdem konnten wir Projekte unterstützen und begleiten, die von der "Aktion Mensch" mit rund 400.000 Euro gefördert werden. Darüber hinaus haben wir Gelder der "Stiftung Wohlfahrtspflege" vermittelt. Damit konnte beispielsweise unser Partner Bethel mehrere ukrainische Familien mit Angehörigen mit Behinderung aufnehmen. Außerdem haben wir Kollektenmittel eingesetzt und konnten so kleinere Beträge unmittelbar an die Flüchtlingseinrichtungen weitergeben.

Viktoria Opanasyk gibt Sprachunterricht im Café Connect der Diakonie Gütersloh.

Viktoria Opanasyk gibt Sprachunterricht im Café Connect der Diakonie Gütersloh.

Allein mit den Spendenmitteln aus dem Deutschland-Fonds hat die Diakonie RWL in den vergangenen Monaten rund 80 Projekte gefördert. Wie gelingt so etwas organisatorisch?

Christenn Die Umsetzung hat bei uns im doppelten Sinne sehr gut funktioniert. Wir haben es zum einen geschafft, dass alle Kirchengemeinden und Kirchenkreise nicht etwa eigene Spendenaufrufe gemacht, sondern in der Regel für die DKH gesammelt haben. Das jedoch mit dem Wissen im Hinterkopf: Wenn wir ein eigenes Projekt vor Ort haben sollten, können wir dafür Geld aus dem DKH-Deutschland-Fonds bekommen. Und zum anderen hatten wir bei der Diakonie RWL bereits die Erfahrung aus der Zeit der Coronahilfen und der Fluthilfen und wussten, wie man das Verteilen der Spendenmittel schnell und gut organisieren kann. So konnten wir etwa unser bestehendes Tool für Online-Anträge nutzen. Das Zusammenspiel zwischen DKH in Berlin und unserer Abteilung Finanzsteuerung in Düsseldorf hat wirklich reibungslos funktioniert. Im April sind bei uns die ersten Projektanträge eingegangen, bereits im Mai wurden die ersten Anträge von der DKH bewilligt und die Gelder ausgezahlt. Das ist wirklich schnell!

Die Gebärdendozenten Ralf Isermann, Irina Pleis und Tanja Bergen.

Die Diakonie Stiftung Salem bietet in Minden einen Gebärdenkurs für gehörlose Geflüchtete aus der Ukraine an. 

Was zeichnet die Projekte aus, die die Diakonie RWL fördert?

Christenn Wir unterstützen bewusst sehr kleinteilige Projekte mit viel Engagement von Ehrenamtlichen. Unsere Arbeit wird dadurch sehr erleichtert, dass unsere Partner – die diakonischen Werke und die Kirchengemeinden – die Organisation vor Ort übernommen haben. Insofern mussten wir keine großen Koordinierungsstellen finanzieren. Die Palette der geförderten Projekte ist außergewöhnlich vielfältig und richtet sich an alle Altersgruppen.  Es gibt etwa unterschiedliche Beratungsangebote für Geflüchtete, Treffen für Mütter mit Kleinkindern, Freizeitaktionen für Familien und Jugendliche, Traumatherapie-Angebote, Sprachkurse für Kinder, Erwachsene, aber auch für gehörlose Erwachsene. In einigen Einrichtungen wurden Sachspenden und Schulmaterialien für Kinder verteilt. Andere haben Willkommenspunkte am Bahnhof eingerichtet.

Ulrich T. Christenn, Leitung Zentrum Drittmittel und Fundraising der Diakonie RWL.

Diakonie RWL-Fundraiser Ulrich T. Christenn hat einige der geförderten Projekte selbst besucht.

Gibt es Projekte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Christenn Da gibt es mehrere. Eines, das mich besonders berührt hat und das ich auch selbst besucht habe, ist ein generationenübergreifendes Projekt der evangelischen Kirchengemeinde in Wuppertal Heckinghausen. Dort haben in der Vorweihnachtszeit Familien aus der Flüchtlingsunterkunft Heckinghausen gemeinsam mit Menschen aus der Nachbarschaft und dem Seniorenkreis eine Woche lang in einer Fabrikhalle eine große Lego-Weihnachtsstadt gebaut. Das war beeindruckend. Die Gemeinde betreut die Menschen in dieser Unterkunft und engagiert sich insgesamt sehr für Geflüchtete, etwa mit Sprachkursen, Freizeitaktivitäten und Hausaufgabenhilfe. 

Ehrenamtliche helfen ukrainischen Geflüchteten nach der Ankunft am Bahnhof.

An einigen Bahnhöfen haben Teams mit Ehrenamtlichen Geflüchtete aus der Ukraine  in Empfang genommen, sie versorgt und ihnen etwa beim Ausfüllen von Formularen geholfen.

Wie hat sich der Einsatz verändert?

Christenn Zu Beginn kam an einigen Stellen doch ein wenig Aktionismus auf. Der war zwar immer gepaart mit viel gutem Willen, dennoch konnten einige Ideen nicht so umgesetzt werden wie ursprünglich gedacht. Die überwiegende Zahl an Projekten wurde jedoch mit viel Engagement und guter Organisation realisiert. Was auf jeden Fall deutlich geworden ist: Diese Akutphase, in der wir mit der Finanzierung gestartet sind, ist nahtlos in die Integrationsarbeit übergegangen, weil ein Großteil der Geflüchteten länger hierbleiben wird – über Monate, vielleicht sogar für immer. Einige Träger haben schon früh erkannt, dass das keine kurzfristige Sache ist, sodass wir bereits Nachfragen nach weiterer Förderung haben. Da bleiben wir auf jeden Fall dran.

Hanna Nielepa ist mit ihren Kindern Evelina und Matei aus der Region Luhansk nach Polen geflüchtet. In der Hand hält sie eine Debitkarte.

Gemeinsam mit der Diakonie Polen hat die DKH mehr als 16.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Polen mit Bargeldhilfen in Form von Debitkarten unterstützt. So auch Hanna Nielepa mit ihren Kindern Evelina und Matei.

Die Katastrophenhilfe unterstützt auch Hilfsaktionen außerhalb Deutschlands.

Christenn Ja, da gibt es zahlreiche spannende Projekte. Das größte ist das Cash-Programm in Polen. Damit wurde beispielsweise mehreren tausend Flüchtlingsfamilien über einen längeren Zeitraum mit sogenannten Debitkarten ein monatliches Einkommen gesichert. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden in allen Ländern Osteuropas – von Ungarn, Moldawien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Polen bis in die baltischen Länder hinein – verschiedenste kirchlich-diakonische, aber auch andere Träger dabei unterstützt, akute Flüchtlingshilfe zu leisten. Mittlerweile hat die nächste Phase begonnen: Wie können die Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden? Wie finden die Kinder Schulen? Wie gelingt die Suche nach einer Wohnung? Unsere Unterstützung ist auch deshalb so wichtig, weil etwa Polen rund dreimal so viele Geflüchtete aufgenommen hat wie Deutschland. Ähnliches gilt für kleine Länder wie Moldawien oder Rumänien. Was die Diakonien dort leisten, ist im Verhältnis zu uns eine viel größere Herausforderung. Deshalb geht ein Großteil der Spendenmittel in diese Länder, wo dann gemeinsam mit unseren lokalen Partnern und kirchlichen Netzwerken eine tolle Arbeit geleistet wird.  Aber auch in der Ukraine selbst wird Unterstützung angeboten, dort hat die DKH ebenfalls hervorragende Netzwerke. 

Die Wartenden in der Grenzstadt Berehove in der Ukraine bekommen heißen Tee und Sandwiches.

Die Wartenden in der Grenzstadt Berehove in der Ukraine bekommen heißen Tee und Sandwiches.

Weitere Beispiele?

Christenn Innerhalb unseres Hauses Diakonie RWL haben wir außerdem einen eigenen, kleinen Hilfsfonds. "Hoffnung für Osteuropa" ist ein Hilfswerk, das in den 1990er Jahren aus den diakonischen Werken heraus entstanden ist, um diakonische Arbeit in Osteuropa voranzubringen. Mit Geldern aus dieser Gemeinschaft haben wir jetzt nochmal gesondert unsere diakonischen Partner in der Flüchtlingshilfe in Rumänien unterstützt. Darüber hinaus gibt es eine noch ältere Hilfsaktion, die mittlerweile unter dem Dach von Brot für die Welt ist: "Kirchen helfen Kirchen" kann direkte Hilfen an kirchliche und kirchennahe Projekte geben, auch in Osteuropa. Gerade unterstützen wir beispielsweise einen ambulanten Pflegedienst in der Ukraine, der mittlerweile sehr aktiv in der Geflüchtetenhilfe ist. Und wir ermöglichen seit mehreren Jahren die psychosoziale Begleitung von Soldaten, die im Donbass gekämpft haben. In beide Projekte fließen aber auch Gelder der DKH. Diese Beispiele zeigen, dass wir uns als eine große Familie verstehen, die gemeinsam viel bewegen kann.

Verschiedene Spendendosen der Diakonie.

Die Diakonie-Familie unterstützt gemeinsam die Geflüchteten aus der Ukraine.

Das zeigen auch die Zahlen.

Christenn Richtig, da gibt es eine Erfolgsmeldung, auf die wir stolz sein können. Mittlerweile ist das Verbandsgebiet der Diakonie RWL die erfolgreichste Spendenregion für die Diakonie Katastrophenhilfe. Im vergangenen Jahr haben wir hier in der Region RWL fast 18 Millionen Euro an Spenden für die DKH gesammelt und nochmal 1,2 Millionen Euro an Kollekten. Die Menschen vertrauen auf das gut funktionierende System mit der DKH als Spendensammler und uns als Mittler. Auch in dieser Krise können wir mit den unterschiedlichen Organisationen in Deutschland und Osteuropa unsere Stärken einbringen. Das macht einerseits demütig, aber auch dankbar.

Das Gespräch führte Verena Bretz. Fotos: Bethel, Andreas Endermann/Diakonie RWL, Benjamin Kaufmann/Concordia/DKH, Christian Niemann/Diakonie Stiftung Salem, Christoph Püschner/DKH, Frank Schultze/DKH, Antti Yrjönen/DKH, Shutterstock, Diakonie Gütersloh