Ein Jahr nach der Flut
Am Fuß der Dünen am Strand von Norderney liegt versteckt ein Schatz, den dort vor langer Zeit ein Pirat vergraben haben soll. 26 Mädchen und Jungen aus dem Ahrtal im Alter von zwei bis 16 Jahren ist es nun gemeinsam gelungen, die Rätsel der Schatzkarte zu lösen und die Truhe zu finden. Der Inhalt? Jede Menge Süßigkeiten. "Die Schatzsuche war für die Kinder sicherlich eines der Highlights während unserer einwöchigen Reise", berichtet Bettina Marrek. Sie hat gemeinsam mit Stephan Sehr von der Kinder- und Jugendarbeit Eckardtsheim, mit Pastorin Susanne Schubring sowie Jan Esschendahl und Nathalie Oberländer von Bethel Regional Eckardtsheim die Fahrt organisiert und begleitet.
"Die Familien haben auf der Insel aufgetankt und können nun gestärkt und mit neuer Hoffnung in ihren Alltag zurückkehren", sagt die Heilerziehungspflegerin, die in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Freizeiten für Kinder und Jugendliche geplant hat. Das Besondere an dieser Tour: Der Aufenthalt auf der ostfriesischen Insel war eigens für Eltern und Kinder aus dem Ahrtal, die im Juli 2021 die Flutkatastrophe erlebt haben. "Vor allen Dingen wollten wir den Betroffenen eine schöne Auszeit in Gemeinschaft mit viel Spaß ermöglichen", so Marrek. "Aber natürlich sollte die Reise ihnen auch dabei helfen, Wasser wieder mit positiven Erlebnissen in Verbindung bringen zu können."
Gemeinsame Fährüberfahrt von Norddeich-Mole nach Norderney.
Unbeschwerte Zeit
Für die meisten der 50 Teilnehmenden, darunter auch einige Alleinerziehende mit ihren Kindern, war es der erste Inselurlaub. Entsprechend groß war die Aufregung bereits im Sieben-Uhr-Zug von Remagen nach Norddeich-Mole. "Alle waren gemeinsam in zwei Abteilen untergebracht, sodass schon während der Hinfahrt die ersten Kontakte entstanden", erzählt Bettina Marrek. Sie selbst und ihr Team waren zuvor mit einem voll beladenen Transporter ab Bielefeld Richtung Nordsee gestartet, um die Gruppe am Mittag in Norddeich-Mole pünktlich zur Weiterfahrt auf der Fähre zu empfangen.
Die einstündige Überfahrt war dann für einige eine erste Herausforderung: die Wellen, so viel Wasser auf einmal... Doch durch Gespräche, etwa über die Zugfahrt und die bevorstehende Woche auf der Insel, war die Stimmung schnell wieder fröhlich. Und so ging es dann auch weiter: "Wir hatten eine unbeschwerte Zeit", sagt Bettina Marrek. "Alle fühlten sich aufgehoben und haben das Miteinander und das traumhafte Wetter genossen."
Die Kinder schwimmen am bewachten Strandabschnitt in der Nordsee.
Singen, wandern und Meer
Um die Zeit auf Norderney so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, hatte das Team ein abwechslungsreiches Programm auf die Beine gestellt: Neben der Schatzsuche gab es eine Wattwanderung, Strand-Olympiade, T-Shirts und Plakate gestalten, Grillen, gemeinsames Singen mit Gitarre und dem "Inselmomente Liederbuch" und Gottesdienste am Strand.
"Ganz wichtig: Alle Angebote waren freiwillig. Niemand musste mitmachen", betont Bettina Marrek. Das galt auch fürs Schwimmen im Meer: "Vom Team waren fast alle jeden Tag im Wasser, ebenso einige der Kinder", erzählt Marrek. Möglich war das auch, weil die Gruppe aus dem Ahrtal, die in geräumigen Familienzimmern im Landschulheim untergebracht war, einen eigenen Strandzugang hatte, der von DLRG-Mitarbeitern bewacht wurde. "Bis auf ein paar Ausnahmen waren im Laufe der Woche tatsächlich alle mindestens einmal im Wasser", erzählt die Teamerin.
Die Kinder haben Spaß bei der Rückfahrt im Zug.
Starker Zusammenhalt
Obwohl sich die meisten Familien vor der Reise kaum oder gar nicht kannten, sei der Zusammenhalt in der Gruppe sofort spürbar gewesen. "Mit ein Grund dafür ist sicher, dass sie alle dasselbe Schicksal teilen", vermutet Marrek. Sie erzählt etwa, dass einige Kinder, wenn sie von Urlaubern angesprochen wurden, mit welcher Gruppe sie auf der Insel seien, ganz unbekümmert geantwortet hätten: "Wir sind Flutopfer aus dem Ahrtal."
Bettina Marrek berichtet auch, dass innerhalb der Reisegruppe neben engen Freundschaften ein kleines Netzwerk entstanden sei: "Da weiß der eine dann beispielsweise, wo es einen günstigen bzw. überhaupt einen Handwerker gibt." Auch nach der Rückkehr ins Ahrtal wollen die 50 Teilnehmenden deshalb unbedingt in Kontakt bleiben, "am liebsten würden sie die Reise im nächsten Jahr wiederholen", sagt Marrek und lacht.
Das Betreuer-Team (v.l.) vor dem Start Richtung Norderney: Jan Esschendahl, Nathalie Oberländer, Susanne Schubring, Stephan Sehr und Bettina Marrek.
Monatelange Planung
Die Idee zu einer solchen Familienfreizeit hatte das Team bereits im Frühjahr, da wurden auch die ersten Flyer verteilt. "Anfangs war die Unsicherheit groß, weil die Menschen es gar nicht fassen konnten, dass die gesamte Reise für sie wirklich kostenlos sein sollte", erinnert sich Marrek. Bei einem Vortreffen im Mai im Bethel-Hotel zum Weinberg in Bad Neuenahr-Ahrweiler seien dann aber Stephan Zöllner vom regionalen Fluthilfe-Team der Stiftung Bethel für die Diakonie Katastrophenhilfe am Standort Ahrtal und Frank Ufermann vom Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe zu Gast gewesen, um nochmals zu bestätigen, dass die Finanzierung mit Spendengeldern der Diakonie Katastrophenhilfe gesichert sei. "Ab dann stieg die Vorfreude von Woche zu Woche und kam Bewegung in unsere Whatsapp-Gruppe", erinnert sich Marrek.
Sonnenuntergang am Strand von Norderney.
Große Dankbarkeit
Auch das Team hat den Kurzurlaub als besonders empfunden. "Wir haben so viel Dankbarkeit zurückbekommen", sagt Marrek und erinnert sich etwa an zwei Mütter, die glücklich waren, dass ihre Kinder gut aufgehoben spielen konnten, während sie einfach mal entspannt in einer Eisdiele saßen. Beide hätten sich mit den Worten beim Team bedankt: "So etwas hat noch nie jemand für uns gemacht."
Andererseits hat auch das Team viel Hilfe erfahren: In dem Landschulheim beispielsweise habe man "irgendwie" noch die Zimmer für 50 Personen zur Verfügung gestellt. Marrek: "Der Zweck unserer Reise hat Türen geöffnet: Alle konnten sich noch an die Flut erinnern und wollten den Betroffenen unbedingt helfen und uns bei der Organisation unterstützen."
Text: Verena Bretz, Fotos: Team "Inselmomente"