Ein Jahr nach der Flut
100 Sandsäcke stapelte Hans-Jürgen Schmitz vor sein Grundstück, immer gut abgedichtet durch Plastikfolien. Nicht etwa zur Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, als in der Euskirchener Straße in Heimerzheim das Wasser zwei Meter hoch stand. Sondern Ende Mai 2022. Der Grund: Es waren starke Unwetter angekündigt, die dann auch tatsächlich an anderen Stellen zu Tornados führten. "Ich habe den ganzen Tag ständig die Wetternachrichten angeschaut", berichtet der 56-Jährige. "Am Abend war ich dann völlig erschöpft von der ganzen Anspannung." Er hatte einfach Angst, dass das Wasser wiederkommt. Totenstill sei es in diesen Stunden auf den Straßen gewesen, viele hätten sich verbarrikadiert.
"Die Stimmung in Heimerzheim war spürbar angespannt", beschreibt auch Elke Feuser-Kohler die Situation. Seit Monaten besucht sie die Familie Schmitz einmal in der Woche. Die Traumapädagogin wurde beim Diakonischen Werk Bonn und Region für die psychosoziale Betreuung von Flutbetroffenen angestellt. Und anhand solcher Ereignisse zeigt sich: "Die Angst sitzt bei vielen Menschen hier noch sehr tief", so Feuser-Kohler.
Hans-Jürgen Schmitz hat in der Flutnacht Dramatisches erlebt. Fast wäre das Wasser für ihn und seine Familie zur tödlichen Falle geworden.
Nur mit dem Nötigsten geflohen
Rückblick auf die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021: Hans-Jürgen Schmitz und seine Familie hatten hier verzweifelt versucht, mit einer Mischung aus Pampers und Sand das Torgatter zum kleinen Hof mit Haus abzudichten. Um das dann alles wieder schnell abzureißen, denn das Wasser kam auch von hinten "und wäre für uns zur tödlichen Falle geworden", so Schmitz.
Einige Tiere konnte die Familie ins Obergeschoss retten, zum Beispiel das Meerschweinchen Bommel. Aber dann musste sie weg. Nur mit einer völlig durchnässten Shorts bekleidet, gelang Schmitz die Flucht zu einer Evakuierungsstelle in Heimerzheim. Die dreckig-verseuchte Brühe zerstörte derweil alles, was sich im Erdgeschoss befand. Als dieser große, kräftige Mann seine Geschichte wenige Wochen nach der Katastrophe erzählt, fließen ihm die Tränen übers Gesicht.
Traumapädagogin Elke Feuser-Kohler aus dem mobilen Fluthilfeteam der Diakonie Katstrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe besucht Familie Schmitz seit Monaten einmal in der Woche.
Begleitung im Alltag
Ein Jahr später spricht Hans-Jürgen Schmitz darüber viel gefasster. "Man merkt, wie das ganze Leben wieder viel mehr Struktur hat", sagt Elke Feuser-Kohler. Das mobile Fluthilfeteam unterstützt die Familie weiterhin. Und sorgt auch für ein ganz neues Gefühl der Integration: Denn Schmitz und seine Familie sind fast immer dabei, wenn es am Dienstag das Treffen der Flutbetroffenen in der Evangelischen Kirchengemeinde in Heimerzheim gibt. Der ehemalige Metzgermeister kocht dann für die Leute, sein Sohn Felix hilft drum herum.
Hans-Jürgen Schmitz und sein Sohn Felix engagieren sich nun gemeinsam für andere Flutbetroffene.
Psychische Folgen
Und auch seine Selbstzweifel, teilweise der Depression geschuldet − Schmitz nennt sie seinen kleinen Teufel auf der Schulter − hat er besser im Griff. "Er hat gelernt, auch mal abzulehnen und Nein zu sagen", lobt Feuser-Kohler. Schmitz kam handwerklich gut mit den Flutfolgen zurecht, er weiß, wie man anpackt. Die Wand des Fachwerkhauses war deshalb schnell trocken, frisch tapeziert. Aber die psychischen Folgen belasteten ihn. So konnte er seine Singvögel in der Flutnacht nicht mehr retten, erzählt er wieder. Aber der Fächerahorn im Garten, der hat es geschafft. "Den habe ich von meiner Frau vor zwei Jahren zum Vatertag geschenkt bekommen", eine wichtige Erinnerung. Die Mirabelle steht auch wieder im saftigen Grün. Es lebt und wächst hier wieder.
Bommel, das Meerschweinchen, gurrt. Auch er hat die Flut überstanden und schnuppert am Salatblatt. So, als wäre nichts gewesen. Für die Familie Schmitz ist sehr viel gewesen, aber der Neuanfang ist gemacht − auch dank der diakonischen Hilfe.
Text: Jörg Stroisch, Fotos: Frank Schultze/Diakonie Katastrophenhilfe