17. Dezember 2024

Hochwasserhilfe

Quartiersstandorte machen Begegnung leicht

Der Wiederaufbau nach der Hochwasser-Katastrophe im Juli 2021 ist noch immer herausfordernd für die Menschen in den betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Doch in diesem schwierigen Prozess liegt auch die Chance, Nachbarschaften und Regionen zu stärken und fit zu machen für mögliche künftige Katastrophen. Wie das gelingen kann, haben Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL, und Martin Keßler, Direktor Diakonie Katastrophenhilfe, bei einem gemeinsamen Ortsbesuch erfahren.

  • Hönningens Quartiersmanagerin Tamara Monreal (Mi.) und Ortsbürgermeister Jürgen Schwarzmann (re.) begrüßen Kirsten Schwenke (3.v.r.) und Martin Keßler (2.v.r.).
  • Sascha Neudorf, Andreas Vollmert, Walter Bargen, Julia Schaaf, Kirsten Schwenke und Marco Österreich.

Tamara Monreal ist zurück. Zurück im Ahrtal, zurück in ihrer Heimat Hönningen, einer kleinen Ortsgemeinde mit rund tausend Einwohner*innen. "Wir sind so froh, dass wir Tamara haben, sie ist ein echter Gewinn für uns alle", sagt Ortsbürgermeister Jürgen Schwarzmann. Die junge Frau ist vor einigen Jahren wegen ihres Studiums nach Köln gezogen und arbeitet seit Mitte August als Quartiersmanagerin in Hönningen. "Ich bin voller Ideen – an Projekten wird es definitiv nicht mangeln", kündigt sie an. Ihre Rolle als Quartiersmanagerin versteht sie dabei nicht als Organisatorin, die sich um alles kümmert: "Ich gebe ausschließlich die Impulse und wünsche mir, dass die Projekte dann irgendwann selbstständig von der Ortsgemeinschaft und der Politik weitergelebt werden – ganz ohne meine Unterstützung."  

Auf Katastrophen vorbereiten

Entsprechend lautet das Motto, das die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL) ihrem Quartiersprojekt gegeben hat, "Soziale Gemeinschaften stärken". Das Ziel: Mit verschiedenen Mikroprojekten zu den Themen Katastrophenvorsorge und Klimafolgenanpassung wollen die Quartiersmanager*innen die Bewohner*innen an insgesamt zehn Quartiersstandorten im Hochwassergebiet in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auf mögliche künftige Katastrophen vorbereiten und gleichzeitig den Zusammenhalt in den Orten stärken. 

Warum sozialer Zusammenhalt so wichtig ist, erklärt Markus Koth, Hochwasserhilfe-Koordinator der Diakonie Katastrophenhilfe: "Studien zeigen, dass Menschen, die sich kennen, sich in Krisen eher gegenseitig helfen." Eine Erfahrung, die Elfi Pauly, Erste Beigeordnete der Ortsgemeinde Hönningen, teilt: "So schlimm die Flut auch war – so schön und so effektiv war der Zusammenhalt im Dorf während dieser Zeit." Mittlerweile habe sich das „leider wieder ziemlich verlaufen“, viele Menschen seien wieder mehr mit sich selbst und mit ihrem eigenen Wiederaufbau beschäftigt. Pauly: "Aber gleichzeitig weiß ich von vielen, dass sie sich nach diesem Gefühl des Zusammenhalts zurücksehnen." Deshalb sei sie der DKH RWL dankbar für die Förderung des Quartiersprojekts.

Hönningens Bürger*innen haben ihre Projekt-Ideen auf eine Tafel geschrieben.

In einem Workshop haben die Bürger*innen ihre Projekt-Ideen gesammelt und aufgeschrieben.

Zusammenhalt erleben

Auch Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie RWL, sieht in dem Quartiersprojekt eine große Chance: "Im Sommer vor drei Jahren war die Katastrophe der Auslöser für diesen starken Zusammenhalt", sagt sie. "Jetzt aber ist es etwas Positives, das diesen Zusammenhalt wieder aufleben lassen kann." Wichtig sei, dass das Bedürfnis nach Gemeinschaft sich aus der Basis heraus entwickele und von den Menschen selbst komme. Schwenke: "Zusammenhalt muss man erleben, so etwas lässt sich nicht von oben verordnen." Die Projekte an den Quartiersstandorten, so Schwenke weiter, könnten dafür der  Auslöser sein.

Kräuterbeet und Graffiti

Fragt man Quartiersmanagerin Tamara Monreal nach ihren Plänen, dann legt sie gleich los: Der Schulwald soll wieder aktiviert werden, Stromkästen sollen mit Motiven zu den Themen Klima und Natur gestaltet werden, die Grundschule könnte ein Kräuterbeet bekommen, für Jugendliche brauche es Begegnungsräume und Mitmach-Aktionen, und bei einem Klima-Rundgang durch den Ort sollen die Bewohner*innen beispielsweise Hitze-Inseln identifizieren und "lernen", welche Stellen entsiegelt oder bepflanzt werden könnten.

Die Aspekte Katastrophenvorsorge und Klimafolgenanpassung sollen bei sämtlichen Mikroprojekten im Vordergrund stehen. "Wir müssen uns zwingend stärker an die Folgen des Klimawandels anpassen und damit rechnen, dass solchen Katastrophen wie das Hochwasser 2021 wieder passieren können, gerade hier im Ahrtal", sagt Monreal. 

Die mobile Kapelle des Hoffnungswerks im Ahrtal.

In der mobilen Kapelle des Hoffnungswerks können die Menschen zur Ruhe kommen.

Alle können kommen

Ebenfalls im Ahrtal, nämlich in der Gemeinde Altenahr, betreibt der Verein Hoffnungswerk einen weiteren Quartiersstandort der DKH RWL. Quartiersmanager Walter Bargen empfängt die Diakonie-Reisegruppe gemeinsam mit Hoffnungswerk-Gründer Sascha Neudorf und mit Marco Österreich, der in der Region geboren und aufgewachsen ist und sich dort engagiert. Seine Idee: Er möchte über das Quartiersprojekt in Altenahr einen Abenteuer-Wanderweg für Kinder anbieten. "Viele Kinder spielen auch heute noch – mehr als drei Jahre nach dem Hochwasser – im Schutt und sind konstant von Baulärm umgeben", berichtet er. Das Konzept, dem er derzeit noch den letzten Feinschliff verpasst, setzt auf Natur und Spaß. Geplant ist ein Wanderweg mit zehn Stationen, die den Kindern solche Themen wie Klima, Klimafolgenanpassung und Katastrophenprävention spielerisch nahebringen. Österreich: "Wir wünschen uns, dass die Kinder dann als Multiplikatoren ihr Wissen an die Erwachsenen weitergeben."

Wie gut der Standort des Hoffnungswerks inzwischen von allen Generationen angenommen wird, zeigt sich auch an diesem Nachmittag wieder. Trotz Stromausfall ist das Begegnungscafé voll: Das Team hat spontan LED-Teelichter und LED-Lichterketten in allen Räumen verteilt – im Halbdunklen sitzt eine Senior*innengruppe beisammen und spielt Scrabble, im hinteren Bereich essen einige Mütter mitgebrachten Kuchen, während ihre Kinder in der Kinderküche spielen. Nebenan bauen die älteren Kinder Lego, und draußen spielen ein paar Jugendliche Basketball. "Zu uns können alle kommen. Obwohl wir auch ein Café sind, muss hier niemand etwas verzehren", beschreibt Sascha Neudorf das Konzept.

Quartiersprojekt als Chance

Das Hoffnungswerk-Team ist mittlerweile auf 25 Personen gewachsen, darunter Psycholog*innen, Traumapädagog*innen und Erzieher*innen, Neudorf selbst ist Pfarrer. Angefangen hat alles mit einer spontan organisierten Gruppe, die unmittelbar nach der Katastrophe im Juli 2021 Erste Hilfe geleistet sowie Kaffee und Kuchen verteilt hat. "Dann ging unsere Unterstützung immer mehr in Richtung psychosoziale Beratung, und wir sind einfach geblieben und haben einen Verein gegründet, der sich über Fundraising finanziert", so Neudorf. Inzwischen betreibt das Hoffnungswerk einen Doppeldeckerbus, in dem Kindergeburtstage gefeiert werden, eine mobile Kapelle vor dem Café dient als Ort der Stille, und zum erlebnispädagogischen Programm gehören Bouldern und verschiedene Kreativangebote. "Wir tun einfach immer das, was uns richtig erscheint“, so Neudorf. „Das mag naiv klingen, trägt uns aber bis heute."

Den Quartiersstandort der DKH RWL zu betreiben, biete nun weitere Möglichkeiten. "Unser erstes Projekt war ein Gemeinschaftsgarten", erzählt Quartiersmanager Walter Bargen. Außerdem hat das Hoffnungswerk mit finanzieller Unterstützung der DKH RWL eine E-Fahrradstation aufgebaut. Hinzu kommen Angebote wie die „Börse für Hilfeleistungen“, bei der Dinge wie Rasen mähen und Kinderbetreuung angeboten werden, und möglicherweise schon bald der Abenteuer-Wanderweg. Bargen: "Mit genau solchen Aktionen wollen wir die Gemeinschaft im Tal stärken."

Mehr Eigenverantwortung

Doch auch an diesem Quartiersstandort ist die Katastrophenprävention zentraler Bestandteil der Arbeit. "Mit unserem Quartiersprojekt wollen wir erreichen, dass die Menschen in einem möglichen künftigen Katastrophenfall in Eigenverantwortung handeln", sagt Martin Keßler, Direktor der DKH, und weltweit bei Katastrophen im Einsatz. In Ländern wie den Philippinen beispielsweise seien die Menschen erfahren im Umgang mit Katastrophen, dort würden bestimmte Abläufe  immer wieder geprobt. "An bestimmte Verhaltensweisen muss einfach regelmäßig erinnert werden, damit sie dann im Ernstfall funktionieren", sagt er. Damit sollte man schon bei den Kindern anfangen. Und als hätte er nur auf diesen Hinweis gewartet, berichtet Sascha Neudorf: "Wir haben gerade mit den Kindern im Ort eine Rettungsübung am Hang trainiert." 

Text und Fotos: Verena Bretz

Ihr/e Ansprechpartner/in
Verena Bretz
Stabsstelle Politik und Kommunikation
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