Fluthilfe
Während in der Nachbarschaft schon zahlreiche Häuser wieder aufgebaut und bezogen sind, reiht sich auf der Baustelle am Eschenweg in Erftstadt-Blessem Baustopp an Baustopp. Obwohl bereits im Oktober 2021 feststand, dass die Doppelhaushälfte wegen eines massiven Ölschadens nie mehr bewohnbar sein würde, konnte das Gebäude erst im März 2023 abgerissen werden und der Wiederaufbau beginnen. Seit Oktober vergangenen Jahres steht endlich der Rohbau, mehr als zwei Jahre nach der Flutkatastrophe. "In den nächsten Wochen will der Zimmermann mit dem Dachstuhl beginnen", sagt Brigitte Altengarten. "Wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt." Die Gründe für die ständigen Verzögerungen: Mal fehlte ein Gutachten, mal musste eine Bodenprobe entnommen werden, mal stand eine aufwändige Bohrung oder eine spezielle Messung an. Und bei sämtlichen Arbeiten muss garantiert sein, dass die andere Haushälfte, die auf derselben Bodenplatte steht, nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Altengarten: "Das Warten ist zermürbend."
Brigitte Altengarten besucht die Baustelle am Eschenweg nur selten. Sie sagt: "Ich spüre ein großes Unwohlsein und ein bedrückendes Gefühl, wenn ich hierherkomme."
Unvorhersehbare Kosten
Nur selten besucht Brigitte Altengarten die Baustelle, zu schmerzhaft sind die Erinnerungen. "Ich spüre ein großes Unwohlsein und ein bedrückendes Gefühl, wenn ich hierherkomme", sagt die 59-Jährige. Der Gedanke, dort wieder zu wohnen, belastet sie sehr. Lieber würde sie ein anderes Haus in der Nähe beziehen oder gleich in der Übergangswohnung in Kerpen bleiben, in der das Ehepaar seit der Flut mit seinen zwei Töchtern (19 und 22 Jahre alt) und dem Hund lebt. "Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als genau hier wieder aufzubauen. Wir müssen uns an die Richtlinien halten, ein Wiederaufbau an anderer Stelle wird nicht gefördert."
Nicht nur die ständigen Verzögerungen belasten die Familie stark. Auch die nicht vorhersehbaren, teils extrem hohen Kosten lassen sie regelmäßig verzweifeln. "Für Ölschäden dieses Ausmaßes gibt es bislang kaum Erfahrungswerte", erklärt Brigitte Altengarten. Sämtlicher Bauschutt: Sondermüll. Der Boden: belastet. Das Entsorgen: kostspielig. Warum aber ist der Schaden bei den Altengartens überhaupt so hoch und der Wiederaufbau so kompliziert? Die Antwort: Wassermassen haben in der Flutnacht im Juli 2021 den mit mehr als 7000 Liter gefüllten Öltank im Keller des Hauses zerstört. Und weil der Eschenweg unmittelbar nach der Flut zur Sperrzone erklärt wurde, konnte die Familie erst zehn Tage nach der Katastrophe wieder zurück in das Gebäude.
"Anfangs dachten wir: Einmal alles abpumpen, abspülen, kräftig lüften, eventuell den Putz abschlagen und entkernen, weiter geht’s", erinnert sich Brigitte Altengarten. Aber schon bald stellte sich heraus, dass das Öl tief in das Bimssteingemäuer eingedrungen war, wie in einen Schwamm, und das Haus somit unbewohnbar. Dabei war die Doppelhaushälfte, die die Familie 1994 gekauft hatte, gerade abbezahlt. Besonders tragisch: In der Vergangenheit waren sämtliche Versuche vergeblich, eine Versicherung gegen Hochwasser abzuschließen. "Der letzte Antrag wurde erst im Januar 2021 abgelehnt", so Brigitte Altengarten. Verbittert ergänzt sie: "Die Begründung war, dass unser Haus ja im unmittelbaren Überschwemmungsgebiet der Erft liege."
Brigitte Altengarten (li.) ist die erste Klientin von Andrea Schnackertz (re.). Die Fluthilfeberaterin unterstützt Familie Altengarten auch beim Anträge stellen.
Umfassende Unterstützung
Seit der Flut ist das mobile Team der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL) eine wichtige Stütze für die 59-Jährige. "Brigitte Altengarten ist meine erste Klientin; unsere Pfarrerin hat im Januar 2022 den Kontakt vermittelt", erinnert sich Fluthilfeberaterin Andrea Schnackertz. Sie konnte die Familie in zahlreichen Gesprächen und Beratungen davon überzeugen, die umfassenden Unterstützungsangebote der DKH RWL anzunehmen. "Ich bin unendlich dankbar dafür, aber gleichzeitig fühle ich mich schlecht", sagt Brigitte Altengarten. "Schließlich waren wir noch nie auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Das Einzige, was wir bekommen haben, war Kindergeld. Jetzt komme ich mir manchmal vor wie eine Verbrecherin, die sich an Geld bereichert, das ihr gar nicht zusteht."
Andrea Schnackertz kennt solche Fälle. "Für viele Betroffene der Flut ist es eine schwere Übung, guten Gewissens Spenden anzunehmen. Auch Frau Altengarten ist an diesem Punkt noch lange nicht angekommen", beschreibt sie die Situation. "Ich versuche dann, auf diese Gefühle einzugehen und gleichzeitig zu erklären, warum ihr das Geld zusteht." So hat Familie Altengarten beispielsweise kurz nach der Katastrophe Unterstützung aus der Förderlinie Haushaltsbeihilfe bekommen. "Davon haben wir unter anderem einen neuen Schreibtischstuhl für meine Tochter gekauft", erinnert sich die Mutter. Derzeit geht sie gemeinsam mit Andrea Schnackertz den Antrag für Wiederaufbauhilfe an. Außerdem - und diese Unterstützung sei für ihre Familie besonders wichtig gewesen, sagt Brigitte Altengarten – gab es bereits zweimal Geld aus dem sogenannten Härtefall-Fonds der DKH RWL, einmal im Oktober 2022 und zuletzt im August 2023.
Markus Koth, Fluthilfekoordinator der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL), will mit Spenden aus dem Härtefall-Fonds Flutbetroffene in besonderen Notlagen unterstützen.
Eine Millionen Euro für Härtefälle
"Mit diesem eigens eingerichteten Fonds unterstützt die DKH RWL Flutbetroffene in außergewöhnlichen Notlagen. Das sind etwa Menschen, die immer noch Unterstützung bedürfen, obwohl sie schon Spenden oder Leistungen vom Land oder von Versicherungen erhalten haben", erklärt Markus Koth, Fluthilfekoordinator der DKH. Finanziert würden beispielsweise erhöhte Energiekosten als Folge eines längeren Einsatzes von Bautrocknern, aber auch spezielle Gutachten oder eine Mietkostenübernahme. "Insgesamt stellt die DKH RWL für die Härtefallhilfen eine Millionen Euro bereit", so Koth weiter. Voraussetzung sei für jeden Fall eine besondere Prüfung.
Familie Altengarten konnte mit den Spenden aus dem Härtefall-Fonds inzwischen diverse Gutachten und eine besondere Erschütterungsmessung für den Abriss ihrer Doppelhaushälfte bezahlen sowie in Teilen ein gebrauchtes Auto und die Miete für die Übergangswohnung in Kerpen finanzieren. "Mit den Härtefallhilfen konnten wir auch solche Probleme lösen, die sonst in kein Raster gepasst haben", so Brigitte Altengarten. "Der Mietkostenzuschuss beispielsweise war für uns eine große Hilfe, weil die Warmmiete unsere bisherige Rate zum Abbezahlen des Hauses übersteigt", erklärt sie. "Das hätte uns dauerhaft in noch größere finanzielle Schwierigkeiten gebracht."
Fluthilfeberaterin Andrea Schnackertz (li.) und Flutbetroffene Brigitte Altengarten sind ein gutes Team.
Gezielte Hilfe in Notlagen
Fluthilfeberaterin Andrea Schnackertz betont ebenfalls den Nutzen der Härtefallhilfen: "Damit können wir gezielt in solchen Notlagen unterstützen, in denen weder unsere übrigen Förderlinien greifen noch staatliche oder Versicherungsleistungen fließen", erklärt sie. Entsprechend sei das Verfahren beim Beantragen von finanziellen Hilfen aus dem Härtefall-Fonds im Vorfeld etwas aufwändiger: "Die meisten Härtefälle sind sehr individuell und teils sehr speziell. Deshalb werden sie genau geprüft, und es sind vergleichsweise viele Nachweise und Belege notwendig." Außerdem müsse die Begründung absolut stimmig sein, so Schnackertz. Sie vermutet, dass der Fördertopf für Härtefälle "künftig noch mehr Konjunktur" haben werde, weil die Fälle, die nun noch offen seien, "zu den richtig komplizierten gehören".
Seit Oktober vergangenen Jahres steht am Eschenweg in Erftstadt der Rohbau, mehr als zwei Jahre nach der Flutkatastrophe.
Jeder Fall ist anders
Um jedoch auch diese Fälle bestmöglich zu begleiten, arbeitet Andrea Schnackertz eng mit den Fachleuten der Hochwasserhilfe der Diakonie RWL in Düsseldorf zusammen, die jeden Härtefall mit ihr besprechen und einschätzen. “Wir haben zwar einen gewissen Ermessensspielraum, aber natürlich gibt es keine Garantie - so ein Antrag kann auch abgelehnt werden, das muss uns allen bewusst sein”, sagt Schnackertz. “Deshalb klopfe ich im Idealfall schon vorher alles ab. Denn wenn wir letztlich den Antrag stellen, empfinde ich das immer auch ein wenig als Versprechen für meine Klient*innen, die ich natürlich nicht enttäuschen möchte.”
Text und Fotos: Verena Bretz
Spenden und Fundraising
Anträge
Bis Ende Dezember 2023 sind bei der DKH RWL 172 Anträge auf Härtefallhilfen im System eingegangen. Davon final bearbeitet und ausgezahlt waren zu diesem Zeitpunkt 100 Anträge mit einem Gesamtfördervolumen in Höhe von 345.578 Euro. Zehn Anträge in Höhe von rund 74.295 Euro Gesamtfördervolumen hatten zu diesem Zeitpunkt den Status bewilligt. 37 Anträge wurden abgelehnt, elf zurückgestellt.
Anträge für Härtefall-Hilfen können unter folgendem Link gestellt werden:
http://www.diakonie-rwl.de/haertefallhilfen