Fluthilfe
Spanholzplatten versperren den Blick in die Läden in Stolbergs Fußgängerzone. Mehr als anderthalb Jahre nach der Flut sind viele Schaufenster immer noch verrammelt, die meisten Geschäfte im Zentrum stehen leer. In der Bäckerei und im Obstgeschäft unterhalten sich die Kunden, vor dem Fluthilfebüro der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) weht eine blaue Fahne. Genau dort haben sich im Juli 2021 die Wassermassen aus dem kleinen Vichtbach ihren Weg gesucht, alles mitgerissen und Teile der Altstadt überflutet.
"Rückblickend war die Zeit danach eine echte Achterbahnfahrt", sagt Sozialarbeiterin Franziska Schmitz, die unmittelbar nach der Katastrophe ihre Arbeit im Stolberger Fluthilfeteam begonnen hat. "Viele Betroffene konnten wir mit unseren Angeboten schon großartig unterstützen. Aber manchmal gibt es auch Rückschläge."
Regelmäßig nehmen sich Vera Langenberg (links) und Franziska Schmitz aus dem Stolberger Team Zeit für ihren Austausch mit den Kollegen aus Eschweiler, hier Thorsten Müller. Auf dem Foto fehlt Markus Koch.
Zeit für Austausch
An diesem Vormittag haben sie und ihre Kollegin Vera Langenberg die Kollegen aus dem benachbarten Eschweiler zu Besuch. Mit Markus Koch und Thorsten Müller tauschen sich die beiden Frauen regelmäßig über ihre aktuellen Fälle aus, geben sich gegenseitig Tipps und planen ihre Strategie, um den Betroffenen der Flut auch künftig die optimale Unterstützung bieten zu können. "Es ist erstaunlich, dass immer noch so viele Menschen nicht wissen, welche finanziellen Hilfen und Beratungen angeboten werden. Viele denken, dass es mit der Soforthilfe unmittelbar nach der Flut erledigt war", berichtet Diakonie-Fluthelfer Koch. Auch Scham spiele eine große Rolle: "Mit der Flut sind viele zum ersten Mal in eine Situation gekommen, in der sie wirklich Hilfe benötigen." Das sei ihnen unangenehm. "Sie sagen uns dann: Wir wollen doch keine Bittsteller sein", berichtet Koch. Wieder andere scheuten sich, überhaupt Unterstützung in Anspruch zu nehmen, weil andere es doch viel nötiger hätten. Vera Langenberg betont: "Aber das ist falsch: Die Hochwasserhilfen sind für alle Menschen da, denen die Flut Schaden zugefügt hat. Und auch jetzt, mehr als anderthalb Jahre nach der Katastrophe, bieten wir weiterhin unsere Unterstützung an. Es ist auf keinen Fall zu spät!"
So beantragen auch jetzt noch zahlreiche Menschen bei der Diakonie Katastrophenhilfe RWL die sogenannten Haushaltsbeihilfen, um etwa persönliche Einrichtungsgegenstände neu anschaffen zu können. Mehr als sechs Millionen Euro an Spenden sind bislang allein in dieser Förderlinie vermittelt worden. "Erst heute Morgen sind wieder zwei neue Antragsteller bei uns im Fluthilfebüro gewesen", sagt Langenberg.
Mit Flyern und gemeinsamen Aktionen informieren die Hilfsorganisationen Flutbetroffene über ihre Angebote.
Individuelle Beratung
In den meisten Beratungen gehe es derzeit jedoch um Hilfen beim Wiederaufbau. Das Land trägt in der Regel 80 Prozent der Kosten, die Diakonie Katastrophenhilfe RWL unterstützt Flutbetroffene dabei, ihren 20-prozentigen Eigenanteil zu reduzieren. Dafür stehen rund zehn Millionen Euro zur Verfügung, mehr als zwei Millionen Euro wurden bereits ausgezahlt. "Wir unterstützen unsere Klienten und Klientinnen natürlich auch beim Ausfüllen der Landesanträge", betont Thorsten Müller. "In den vergangenen 18 Monaten haben wir uns ein riesiges Erfahrungswissen in Sachen Antragstellung beim Land angeeignet, sodass wir auch da umfassend helfen und Fragen beantworten können." Diese Hilfe sei dringend nötig: "In der Bezirksregierung wird rein nach Aktenlage und Vorlage von Belegen entschieden", so Müller. "Wir hingegen kennen die Menschen persönlich, oft schon über einen langen Zeitraum. Daher sind wir nah dran an jedem einzelnen Fall, sodass wir individuell abwägen können."
Erst neulich, so erzählt es Franziska Schmitz, konnte über den Härtefall-Fonds der Diakonie eine alleinstehende Frau aus Stolberg unterstützt werden. "Wir kennen uns lange, sie hat bereits alle Förderlinien bei der DKH RWL beantragt. Aber nun konnte sie ihre Rechnungen nicht mehr zahlen und musste die Renovierung ihres Hauses stoppen." Der Grund dafür: Nach der Flut hatte sie zum Trocknen der Räume Bautrockner laufen lassen. Die Rechnung dafür kam erst jetzt – und mit ihr der Schock: 2.500 Euro Nachzahlung an Stromkosten. "Nach sorgfältiger Prüfung konnten wir die Rechnung schließlich übernehmen, und zwar mit Spendengeldern aus dem Härtefall-Fonds. Jetzt kann es bei der Klientin endlich weitergehen."
Thorsten Müller vom Fluthilfeteam in Eschweiler spricht mit einer Journalistin über die verschiedenen Beratungsangebote der Diakonie Katastrophenhilfe RWL.
Kooperation statt Konkurrenz
Oft sprechen sich solche Erfolge rum. "Aber wir müssen auch immer wieder aktiv für unsere Angebote werben", so Thorsten Müller. Etwa mit Wurfzetteln, Infoständen auf dem Wochenmarkt oder gemeinsamen Aktionen. In Stolberg beispielsweise laden Diakonie, Malteser, Johanniter, DRK und andere Wohlfahrtsverbände demnächst wieder zum "Gesprächseintopf" ein. Bei einer Gratis-Suppe informieren die Organisationen dann über ihre Angebote in der Hochwasserhilfe. "Wir setzen auf Kooperation statt Konkurrenz", sagt Thorsten Müller. Die Zusammenarbeit funktioniere in der Region reibungslos. "Wir ziehen alle an einem Strang und haben ein tolles Netzwerk geknüpft", sagt auch Vera Langenberg. "Wenn der eine Träger in einer Sache mal nicht weiterhelfen kann, vermittelt er an andere. Gemeinsam finden wir dann meist eine gute Lösung für jedes Problem."
Denn die Probleme der Menschen sind oft komplex. "Es wird viel geweint, nicht umsonst liegen bei uns Taschentücher auf jedem Schreibtisch", erzählt Thorsten Müller. Denn in der Beratung gehe es nicht nur um finanzielle Hilfen – "die Gespräche sind oft auch Seelsorge". Meist gehe es den Menschen nach diesen Gesprächen schon viel besser. "Wir bieten ihnen hier einen Schutzraum, in dem sie sich öffnen können", sagt Vera Langenberg, die eine Weiterbildung zur systemischen Therapeutin absolviert. Manchmal jedoch seien die Traumata auch so schwer, dass den Menschen nur noch eine Vermittlung an Fachstellen helfen könne. Mit Blick auf die zurückliegenden eineinhalb Jahre in der Fluthilfe der Diakonie Katastrophenhilfe RWL sind sich die Vier einig: "Es waren unglaublich bewegende Monate."
Text: Verena Bretz, Fotos: Bretz, Frank Schultze/DKH