24. August 2022

DKH-Jahresbilanz

Mehr humanitäre Hilfe nötig

Ukraine-Krieg, Klimawandel, Hungerkatastrophen – viele der globalen Krisen überlagern und verstärken sich aktuell gegenseitig. Das wird während der Jahresbilanz der Diakonie Katastrophenhilfe deutlich. Umso wichtiger ist die Arbeit des Evangelischen Hilfswerks, dessen Spendeneinnahmen sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt haben.

  • Bargeldhilfen mit Debitkarten: In einer Turnhalle in Polen können sich Geflüchtete aus der Ukraine registrieren und erhalten Unterstützung.  Alla Horobets (Erste v. links) und ihre Mutter (Mitte) erhalten an der letzten Station im Registrierungszentrum di
  • Mit Musik verbinden: Orchesterleiterin Larissa (rechts) ist aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw (nahe Odessa) geflüchtet. Sie möchte mit Geflüchteten ein neues Orchester aufbauen und erzählt DKH-Präsidentin Dagmar Pruin von ihren Plänen. (Foto: Christ
  • Sicherer Ort für Frauen und ihre Kinder: In Krakau hat die Evangelisch-Augsburgische Kirchengemeinde das Gemeindehaus als "Frauen-Power-WG" eingerichtet. (Foto: Christoph Püschner / Diakonie Katastrophenhilfe)
  • Bargeldhilfe für den Start: Hanna Nielepa ist mit ihren beiden Kindern Evelina and Matei aus der Region Luhansk im Juli nach Polen geflüchtet. (Foto: Christoph Püschner / Diakonie Katastrophenhilfe)

Es ist eine humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür. Über sechs Millionen Menschen sind vor dem Ukraine-Krieg in andere europäische Länder geflohen. Hilfe finden sie unter anderem bei der Diakonie Katastrophenhilfe (DKH).

Genau sechs Monate ist es her, dass Russland seinen Angriffskrieg aufs Nachbarland gestartet hat. Dank der enormen Spendenbereitschaft und der guten Vernetzung mit Partnerorganisationen konnte die DKH in der Ukraine und den Nachbarländern in kürzester Zeit eines der größten Hilfsprogramme in seiner fast 70-jährigen Geschichte auf die Beine stellen.

Bargeld-Hilfen für Familien

Unmittelbar nach Beginn des Krieges wurden Geflüchtete aus der Ukraine in vielen Nachbarländern mit dem versorgt, was sie am nötigsten gebraucht haben – etwa Lebensmittel und Unterkünfte. In der zweiten Phase der Nothilfe stellt die Diakonie Katastrophenhilfe etwa in Polen weiterhin Wohnraum und Bargeld-Hilfen für Geflüchtete zur Verfügung. Mit den Geldkarten können sich Familien gezielt das kaufen, was sie am dringendsten benötigen. "Diese Hilfe ist effektiv, würdevoll und rettet Leben, denn sie orientiert sich an den Bedürfnissen der Menschen", sagt Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks.

Auf den Winter vorbereiten: Martin Keßler (Mitte), Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, bringt wärmende Decken zu einer Sammelstelle für Hilfsgüter an der rumänisch-moldawischen Grenze. (Foto: Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe)

Auf den Winter vorbereiten: DKH-Direktor Martin Keßler (Mitte) bringt wärmende Decken zu einer Sammelstelle für Hilfsgüter an der rumänisch-moldawischen Grenze.

In der Ukraine selbst verteilt die Diakonie Katastrophenhilfe Hilfsgüter, da viele Grundnahrungsmitteln auf den Märkten im stark betroffenen Osten des Landes schlicht nicht verfügbar und deshalb keine Bargeld-Hilfen möglich sind. Derzeit schickt das Hilfswerk zweimal im Monat Material wie Lebensmittel, Baby-Nahrung und Hygiene-Artikel per LKW-Konvoi ins Land.

Sorgen bereitet Pruin der kommende Winter: "Es gibt sehr viele Menschen, deren Häuser zerbombt wurden oder die kein Dach mehr über dem Kopf haben - von Heizungen und warmem Wasser ganz zu schweigen. Das wird einer unserer Schwerpunkte sein."

Ukraine-Hilfen in NRW

Aber nicht nur in der Ukraine und ihren Nachbarländern unterstützt die DKH, auch in Deutschland finanziert das Hilfswerk im Rahmen des Deutschland-Fonds Projekte, die den Menschen beim Ankommen helfen. Die Diakonie RWL konnte damit bislang mehr als 80 unterschiedliche Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von rund einer Million Euro unterstützen. Gefördert werden etwa Deutschkurse für knapp 50 geflüchtete ukrainische Gehörlose, die die Diakonie Stiftung Salem mit ihrer Gehörlosenberatungsstelle im Kirchenkreis Minden anbietet. Ziel ist es, dass die Teilnehmenden nicht nur die deutsche Gebärdensprache lernen, sondern dadurch auch selbstständiger werden und neue Freundschaften schließen.

Ein weiteres Projekt des Diakonischen Werks Bonn und Region unterstützt ukrainische Frauen und ihre Kleinkinder. Dabei bietet die Evangelische Beratungsstelle für Schwangerschaft, Sexualität und Pränataldiagnostik den Müttern und Kindern einen geschützten Raum zum Spielen und Kennenlernen, hilft ihnen beim Gestalten des Alltags und vermittelt Kontakte zu anderen Gruppen. Ein Projekt der Diakonie im Kirchenkreis Kleve bietet Ukraine-Flüchtlingen umfassende Hilfen an: von der Beratung zum Aufenthalt und Hilfe bei der Kontoeröffnung über Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitssuche bis hin zum Ausfüllen von Formularen und dem Vermitteln von Dolmetschern, Ärzten und Trauma-Psychologen.

Frühstück in der Schule: In Mogadischu, Somalia, finanziert das DKH Mahlzeiten und Kücheneinrichtungen. (Foto: Ismail Taxta/Diakonie Katastrophenhilfe)

Frühstück in der Schule: In Mogadischu, Somalia, finanziert das DKH Mahlzeiten und Kücheneinrichtungen. 

Mehr Mittel für humanitäre Hilfe nötig

Für die Diakonie Katastrophenhilfe steht aktuell auch die globale Hungerkrise im Fokus. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Energie- und damit Nahrungsmittelpreise weiter steigen lassen, obwohl beides schon vor Beginn des Krieges auf sehr hohem Niveau war. Viele Länder und Regionen sind von Hungerkrisen betroffen, etwa der Jemen, Afghanistan und der Osten Afrikas. Dort schlägt die Klimakrise so erbarmungslos zu wie in kaum einer anderen Region. Schwere Dürren in Somalia und Kenia sowie großflächige Überschwemmungen im Südsudan, gepaart mit hoher Inflation und teils äußerst unruhigen politische Lagen, ergeben eine lebensgefährliche Mischung in der gesamten Region. "Für Menschen, die ohnehin nur von einer Mahlzeit zur nächsten planen können, ist diese Ballung von Krisen eine Frage von Leben und Tod", sagt Pruin.

Das Welternährungsprogramm schätzt, dass heute 345 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen sind, davon stehen 50 Millionen Menschen bereits unmittelbar vor einer Hungersnot, für fast eine Million Menschen ist die Hungersnot bereits Realität. "Wir müssen es so drastisch sagen: Diese Menschen werden verhungern, wenn wir nicht schnell und entschlossen handeln", betont die DKH-Präsidentin. "Wir erwarten, dass mit der deutlichen Zunahme der Not auch die Finanzierung der Hilfe Schritt hält."

Die Dürre macht Menschen in Somalia zu Binnenvertriebenen. Die diakonie Katastrophenhilfe hat in Baidoa Wasserstellen für die Geflüchteten installiert. (Foto: Ismail Taxta/Diakonie Katastrophenhilfe)

Die Dürre macht Menschen in Somalia zu Binnenvertriebenen. Die Diakonie Katastrophenhilfe hat in Baidoa Wasserstellen für die Geflüchteten installiert.

Regionen wie Ostafrika dürften bei Hilfsprogrammen nicht vergessen werden. Die Staatengemeinschaft müsse entschlossener gegen die schwere globale Hungerkrise vorgehen und die Nothilfe deutlich ausbauen. Auch die Bundesregierung müsse insgesamt mehr Mittel für humanitäre Hilfe bereitstellen. "Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2023 sieht eine Kürzung der Mittel für die humanitäre Hilfe vor. Angesichts der immensen Not und Inflation müssen diese Ausgaben aber um mindestens 20 Prozent steigen."

Text: Diakonie Katastrophenhilfe und Ann-Kristin Herbst,
Fotos: Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe, Ismail Taxta/Diakonie Katastrophenhilfe.

Ihr/e Ansprechpartner/in
Pfarrer Ulrich T. Christenn
Zentrum Drittmittel und Fundraising
Weitere Informationen

Ein- und Ausgaben

Die Diakonie Katastrophenhilfe hat ihre Spendeneinnahmen im Vergleich zum Vorjahr mit 66,6 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Das liegt zum größten Teil an der überwältigenden Spendenbereitschaft für die Betroffenen der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Auch die zweckfreien Spenden, die vor allem für Hilfe in sogenannten vergessenen Katastrophen wichtig sind, sind mit etwa 15 Millionen Euro leicht gestiegen. Ebenso konnte das Hilfswerk bei den öffentlichen Mitteln von Bundesregierung und Europäischer Union ein deutliches Plus von etwa 14 Millionen Euro verbuchen. Der Hauptgrund für diesen Zuwachs ist ein großes, mehrjähriges Projekt zur Hungerhilfe in Ostafrika, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Die Gesamteinnahmen der Diakonie Katastrophenhilfe lagen mit 101,7 Millionen Euro doppelt so hoch wie im Vorjahr. So konnten Hilfsprojekte in Höhe von 87,5 Millionen Euro neu bewilligt werden. Die meisten Mittel flossen nach Afrika. Der Anteil von Werbung und Verwaltung an den Gesamtausgaben ist gesunken und liegt bei 7,1 Prozent.