2. Juni 2022

Diakonie-Kollekte

"Armut geht uns alle an"

13,4 Millionen Menschen in Deutschland gelten als arm. Das ist ein neuer Rekordwert. Die Diakonie RWL und die Evangelische Kirche im Rheinland und in Westfalen wollen das nicht hinnehmen. Mit ihrer Diakonie-Kollekte fördern sie Projekte zur Armutssensibilisierung. Ein Gespräch mit Armutsexpertin Heike Moerland und Fundraiser Ulrich Christenn.

  • Zusammen gegen Armut: Ulrich Christenn, Leiter des Zentrums Drittmittel und Fundraising und Heike Moerland, Geschäftsfeldleitung Berufliche und Soziale Integration. (Fotos: Andreas Endermann)
  • Einem Obdachlosen wird die Hand gereicht. (Foto: Shutterstock)

Mit der diesjährigen Diakonie-Kollekte werden Projekte zur Armutssensibilisierung gefördert. Warum gerade Armut?

Moerland: Armut betrifft uns alle – als Gesellschaft. Wenn der Alltag und die Lebenswirklichkeiten von Menschen immer stärker auseinanderdriften, weil reiche Menschen immer reicher und arme immer ärmer werden, bedroht das unsere Demokratie.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die niedrige Wahlbeteiligung bei der NRW-Wahl. 55 Prozent haben ihre Stimme abgegeben. Was ist mit den anderen? Unter den Nicht-Wählern sind auch Menschen mit Armutserfahrung. Sie finden sich in den demokratischen Prozessen nicht mehr wieder, weil sie oft das Gefühl haben, dass sie niemand repräsentiert. Uns geht es darum, Armut wahrzunehmen. Die geförderten Projekte können das Feuer zwar nicht löschen, aber sie können im Kleinen Prozesse anregen.

Unterstützung auf Augenhöhe: In Wohnvierteln sind die Allgemeinen Sozialberatungsstellen ein erster Anlaufpunkt bei finanziellen oder sozialen Schwierigkeiten. (Foto: Anne Wolf/ Diakonie Düsseldorf)

Unterstützung auf Augenhöhe: In Wohnvierteln sind die Allgemeinen Sozialberatungsstellen ein erster Anlaufpunkt bei finanziellen oder sozialen Schwierigkeiten.

Was für Projekte können das sein?

Christenn: Wir fördern Projekte, die für das Thema Armut sensibilisieren, also zeigen, was es bedeutet, mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 781 Euro oder weniger auszukommen. Das kann eine Ausstellung einer Konfirmandengruppe zum Thema sein oder ein Social Media Projekt, das Betroffenen die Möglichkeit gibt, über die eigenen Erfahrungen zu berichten.

Moerland: Wir freuen uns besonders über Projekte, die strukturelle Bedingungen von Armut aufdecken, zum Beispiel kleine Sozialraumanalysen. Was brauchen die Menschen vor Ort? Was passiert bereits durch die Kommune? Und was kann das Projekt zusätzlich leisten?

Außerdem fördern wir Allgemeine Sozialberatungsstellen. Denn die Beratungsstellen unterstützen Armutsbetroffene ganz praktisch beim Stellen von Anträgen und der Teilhabe. Diese Beratungsstellen werden nur selten regelfinanziert. Wir können mit dem Kollektengeld für familienfreundlichere Warteräume oder eine PC-Ecke sorgen, in der Menschen ohne Computer Behördenangelegenheiten erledigen können.

Christenn: Und es gibt noch einen Fonds, mit dem wir Menschen mit Armutserfahrung dabei unterstützen, sich zu beteiligen und ihre Interessen zu vertreten. Wir können damit zum Beispiel Fahrtkosten zu Treffen von Selbstvertretungen bezahlen oder für die Unterbringung im Hotel bei Konferenzen aufkommen.

Platz zum Spielen: Im Ernst-Lange-Haus wird auch Kinderbetreuung angeboten.

Familienfreundliche Warteräume: Auch dafür kann das Geld aus der Diakonie-Kollekte verwendet werden. 

Bewerben können sich alle Mitglieder der Diakonie RWL. Was müssen sie tun?

Christenn: Die Kollekte ist ein Möglichmacher. Besondere Projekte, die eine sozialpolitische Lücke schließen, werden unkompliziert gefördert. Entsprechend knapp ist auch das Antragsformular auf unserer Webseite gehalten. Noch ein Tipp zur Bewerbung: Die Projektbeschreibung sollte möglichst konkret sein. Dann fällt es uns leichter, eine Auswahl zu treffen.

Wie viel Geld steht denn zur Verfügung?

Christenn: In den evangelischen Kirchen im Rheinland wurden im Erntedank-Gottesdienst und in den westfälischen Kirchen beim Diakonie-Sonntag insgesamt über 200.000 Euro gesammelt. Das Geld wird ohne Verwaltungskosten oder sonstige Abzüge direkt für die Projekte verwendet.

Und wie geht es nach Ablauf der Ausschreibungsfrist Ende Juni weiter?

Christenn: Dann bearbeiten wir die Anträge und treffen eine Auswahl. Wir entscheiden, welches Projekt mit welcher Summe gefördert werden kann und versenden die Bescheide. Dann haben unsere Mitglieder Zeit, innerhalb eines Jahres ihr Projekt zu realisieren.

Moerland: Wir bleiben in der Zeit weiter Ansprechpartner bei Fragen oder dem Wunsch nach fachlicher Unterstützung. Wir freuen uns, wenn wir die innovativen Projekte mit voranbringen können und sind schon sehr gespannt auf die Ideen unserer Mitglieder.

Das Gespräch führte Ann-Kristin Herbst.
Fotos: Andreas Endermann/ Diakonie RWL, Shutterstock, Anne Wolf/ Diakonie Düsseldorf und Carolin Scholz/ Diakonie RWL.

Ihre Ansprechpartner/innen
Pfarrer Ulrich T. Christenn
Zentrum Drittmittel und Fundraising
Heike Moerland
Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration
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