Besuch bei der Diakonie Kosova
Diakonie RWL-Fundraiser Ulrich Christenn hatte die Idee zur Verdoppelungsaktion.
Ob Bauernhof, Ausbildungs- und Traumazentrum oder Montessori-Kindergarten – Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 hat die Diakonie Kosova zahlreiche soziale Projekte in dem Balkanstaat angestoßen, der als Armenhaus Europas gilt. Diverse Förderanträge sind auf meinem Schreibtisch als Leiter des Zentrums Drittmittel und Fundraising gelandet.
Aber eine genaue Vorstellung von dem kleinen Staat auf dem westlichen Teil der Balkanhalbinsel hatte ich nicht. Die nur 1,8 Millionen Einwohner zählende Republik war für mich gefühlt genauso weit weg wie andere Länder in Afrika, die ich schon für "Brot für die Welt" besucht hatte. Dabei sind es mit dem Flugzeug nur zwei Stunden bis in die Hauptstadt Pristina und rund 20 Stunden mit dem Bus.
Jugendliche auf der Brücke über den Fluss Ibar, der den serbischen und albanischen Teil Mitrovicas trennt. Das braun-rote Haus im Hintergrund ist das Jugendzentrum der Diakonie.
Brückenbauer in einer geteilten Stadt
Mit meinem Reisegefährten Rafael Nikodemus, Migrationsexperte und Dezernent für innereuorpäische Ökumene bei der rheinischen Kirche, ging es nach Mitrovica. Die Stadt mit rund 100.000 Einwohnern liegt auf einer landschaftlich schönen Hochfläche im Norden des Kosovo. Es ist eine geteilte Stadt an der Ibar.
Der Fluss bildet die Demarkationslinie zwischen dem albanischen Süd- und dem serbischen Nordteil. Auch zwanzig Jahre nach dem Krieg stehen sich Serben und Kosovo-Albaner wenig versöhnlich gegenüber. Die Lage hat sich zwar beruhigt, aber von einem friedlichen Zusammenleben kann man nicht sprechen. Bis heute sind die Folgen des Krieges zu spüren. So gelten noch rund 22 Prozent der Bevölkerung als vom Krieg traumatisiert. Die Diakonie Kosova hat ihre Arbeit daher mit einem Traumazentrum gestartet, das es heute noch gibt. Mit EU-Mitteln wurde in Mitrovica eine Brücke über den Fluss wieder aufgebaut, die beide Stadtteile miteinander verbindet. Doch bis heute wird das Symbol der Teilung nur von wenigen Menschen betreten.
In der "Street Dance"-Gruppe tanzen junge Albaner, Serben und Roma zusammen.
Gemeinsam tanzen, Versöhnung leben
Direkt unterhalb der Brücke liegt das Jugendzentrum der Diakonie Kosova als ein Zeichen für gelebte Versöhnung. Hier gibt es eine offene Jugendarbeit. Es finden Englisch-, Musik- und Tanzkurse statt. Junge Albaner, Serben und Roma nutzen das Zentrum.
Es ist also ein echter Hoffnungsort, vor allem, wenn man bedenkt, dass das Kosovo ein junger Staat ist. Das Durchschnittsalter liegt bei 27 Jahren. Doch gerade von den jungen Menschen möchten viele auswandern. Allein bei der deutschen Botschaft liegen 60.000 Visa-Anträge, für deren Bearbeitung man mit bis zu zwei Jahren Wartezeit rechnen muss. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent. Insgesamt sind 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos.
Eine Auszubildende zeigt dem Leiter der Diakonie Kosova, Bernd Baumgarten, eine Perücke, die sie frisiert hat.
Perspektive schaffen durch Ausbildung
Deshalb hat die Diakonie Kosova schon vor vielen Jahren ein Trainingszentrum gegründet, in dem sie jährlich rund 600 Jugendliche für den lokalen Ausbildungsmarkt schult. Hier lernen sie Jobs wie Tischler, Fliesenleger Elektriker, Heizungsbauer oder Koch, aber auch Friseurin oder Webdesignerin.
Vielen jungen Leuten aus dem Land hilft die Diakonie danach, sich selbstständig zu machen. Genauso werden Rückkehrer aus Deutschland unterstützt, im Land wieder Fuß zu fassen. Wir konnten mit einer Friseurin sprechen, die als Starthilfe für ihren Salon rund 1.200 Euro erhalten hat. Sie hatte vorher als Asylbewerberin mehrere Jahre in Deutschland gelebt. Jetzt macht sie vor allem im Frühjahr und Sommer gute Geschäfte, wenn viele Kosovaren heiraten.
In diesem "Diakonie Design"-Laden können Bräute sich ihr Hochzeitskleid schneidern lassen.
Geld verdienen mit Hochzeiten
Hochzeiten werden gerne sehr groß gefeiert. Daher sind die Monate von Mai bis August für Friseure, aber auch Schneiderinnen und Fotografen sehr wichtig und arbeitsintensiv. Ein Top-Friseur kann dann täglich rund 1.000 Euro verdienen. Eine Menge Geld, denn der durchschnittliche Monatsverdienst liegt bei nur 350 Euro. Und der monatliche Sozialhilfesatz beträgt 105 Euro.
Farm der Diakonie Kosova
Zuschussgeschäft Bauernhof
Zu den neueren Projekten der Diakonie Kosova gehört ein Bauernhof, auf dem Menschen mit Behinderung arbeiten. Sie stellen Ziegenkäse her, verkaufen Fleisch, Milch und Gemüse. Noch ist das aber ein reines Zuschussgeschäft, denn die Produkte sind auf dem heimischen Markt kaum zu verkaufen. Abnehmer sind vor allem die Deutsche Botschaft und ein Schweizer Hotel.
Der Montessori-Kindergarten der Diakonie ist sehr beliebt und hat eine lange Warteliste.
Erfolgsmodell deutsche Kita
Anders sieht es dagegen mit dem Kindergarten aus, den die Diakonie gebaut hat. Rund 90 Kinder werden dort betreut, und die Eltern sind bereit, dafür entsprechend zu zahlen. Die Einrichtung trägt sich selbst. Der "Deutsche Kindergarten" hat einen guten Ruf – wie alles, was aus Deutschland kommt. Das hat mich erstaunt und auch erschreckt. Die Menschen im Kosovo kaufen sehr gerne ausländische Produkte und unterstützen damit unseren Export statt die heimische Wirtschaft.
Obwohl es viele Rückkehrer gibt, die auch bei uns Armut und Abschiebung erlebt haben, gilt Deutschland als Paradies. Es gibt sogar einige deutsche Wörter, die Eingang in die albanische Sprache gefunden haben wie etwa "Schraubenzieher" oder "Bohrmaschine".
Zeichen des Wohlstands: In Deutschland lebende Albaner bauen sich Ferienhäuser im Kosovo.
Mythos vom deutschen Paradies
Auf unserer Reise haben wir mit Menschen gesprochen, die in Deutschland groß geworden sind, kein Wort Albanisch sprachen und im Teeniealter mit ihrer Familie abgeschoben wurden. Sie sehen für sich meist keine Perspektive im Kosovo und wollen unbedingt zurück.
Bestärkt wird der Wunsch, das Kosovo zu verlassen, auch durch die sogenannten "Schatzis". Das sind Kovoso-Albaner, die in Deutschland leben, aber regelmäßig ihre Verwandten besuchen. Sie bauen sich dort schicke Sommerhäuser und befeuern damit den Mythos vom deutschen Paradies, in dem jeder reich werden und sehr gut leben kann.
Endstation Kosovo - Das Zentrum der Diakonie Kosova liegt an stillgelegten Bahngleisen.
Mehr Hilfen für Rückkehrer nötig
Was die Diakonie Kosova mit ihren rund 100 Mitarbeitenden in Mitrovica und weiteren Orten leistet, ist beeindruckend. Doch es ist auch ein Tropfen auf den heißen Stein. Es müsste im Land mehr strukturelle Hilfen und staatliche Maßnahmen geben, mit denen Rückkehrern, aber auch jungen Menschen geholfen wird, sich dort ein Leben aufzubauen.
Deutsche Politiker und Behörden geben sich stattdessen mit diesem diakonischen Vorzeigeprojekt zufrieden. Es kam schon vor, dass das Angebot der Diakonie dafür herhalten musste, dass in Deutschland integrierte Familien nach Jahren doch noch abgeschoben wurden. Aber weder die Trauma-Arbeit noch das Ausbildungszentrum oder die Rückkehr-Angebote der Diakonie im Kosovo sind ausreichend, um Menschen ein sicheres Leben in einem fragilen Staat zu gewährleisten. Hierfür braucht es mehr als diakonische Projekte, die vor allem mit kirchlichen Fördermitteln existieren. Für die Entwicklung des Kosovo zu einem sozialen und stabilen Staat braucht es die Unterstützung Deutschlands und der Europäischen Union.
Text: Ulrich Christenn/Sabine Damaschke, Fotos: Ulrich Christenn