22. Mai 2024

50 Jahre Stiftung Wohlfahrtspflege NRW

Starthilfe für Kinder

Sie schlafen einfach ein, sind hungrig oder stören den Unterricht. Im hektischen Schulalltag fehlt Lehrpersonal aber oft die Zeit, sich um solche Kinder zu kümmern. Die Bergische Diakonie hat ein Inklusionskonzept für Kinder und Jugendliche im Schulalter auf den Weg gebracht. Was sich dahinter verbirgt.

  • Das Projekt MoKi unterstützt Kinder.
  • Bei MoKi inklusiv können Kinder kreativ sein.

Sie wirkt im Unterricht oft traurig. Dann lässt die Schülerin resigniert den Kopf auf die Tischplatte sinken und schaltet ab. Ein anderes Kind klinkt sich regelmäßig bei der Gruppenarbeit aus: Statt mit den anderen im Team zu arbeiten, findet der Junge keine Konzentration und schlüpft stattdessen in die Rolle des Klassenclowns.

In der Grundschule am Lerchenweg und der Peter Ustinov Gesamtschule in Monheim am Rhein können sich Lehrer in Situationen wie diesen nun Unterstützung holen: Vor drei Jahren hat die Bergische Diakonie Aprath gemeinsam mit der Stadt Monheim das Programm "Mo.Ki inklusiv" (Monheim für Kinder inklusiv“) auf den Weg gebracht – ein multiprofessionelles und systemübergreifendes Inklusionskonzept für Kinder und Jugendliche im Schulalter. Das gemeinsame Ziel: In der Schule sollen Kinder und Jugendliche mit emotionalen und sozialen Verhaltensproblemen eine umfassende Förderung bekommen – um möglichst alle Kinder inklusiv zu beschulen.

Hilfe oft zu spät

"Das Leben von Kindern und Lehrern wird nicht einfacher", erklärt Mareike Santamaria, Projektleiterin bei der Bergischen Diakonie. Die Klassen seien groß, und Lehrer müssten leistungsorientiert arbeiten. "Aber es gibt im Leben der Kinder und Jugendlichen Situationen, die sie beeinflussen und belasten", weiß Mareike Santamaria und denkt an Dynamiken im Freundeskreis oder auch Probleme Zuhause. "Lehrer haben keine Kapazitäten, um Einzelfallhilfe zu leisten", ergänzt die Fachfrau. Und deswegen bekämen Kinder meistes erst dann Hilfe, wenn die Situation schon eskaliert sei – und das Jugendamt eingeschaltet oder über den Besuch einer Förderschule gesprochen werde. "Wir nennen das: Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma", erklärt Mareike Santamaria. Erst wenn das Kind ein Etikett bekommen habe, habe es sich Unterstützung "verdient". "Bis dahin schmort es im eigenen Saft", beklagt die Projektleiterin.

Das Team des Projekts Mo.Ki inklusiv.

Das Team von Mo.Ki inklusiv ist vielfältig und setzt auf "Verantwortungsgemeinschaften".  

Gemeinsam verantwortlich

Genau da greift "Mo.Ki inklusiv". Das Projekt will verhindern, dass Kinder in die "Rädchen der Etikettierung" fallen müssen, um Hilfe zu bekommen. Die Fachleute der Bergischen Diakonie schrieben das Konzept, die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW bewilligte die Fördersumme in Höhe von 1.894.000 Euro, und gemeinsam mit den beiden Schulen in Monheim starteten die umfänglichen Vorbereitungsarbeiten. "Wir setzen auf Verantwortungsgemeinschaften", erklärt Mareike Santamaria die Philosophie des Projekts. "Wir sind gemeinsam verantwortlich, dass unsere Kinder dieses Schulsystem bewältigen können."

An jeder Schule entstand eine koordinierende Fachstelle – vor allem aber nahmen Projektteams ihre Arbeit auf, mit Vertretern der Diakonie, der Stadt und der Schule. "Und wir vereinbarten eine fest verankerte, antragsfreie und präventiv arbeitende Hilfe", erklärt die Projektleiterin. 

Zielvereinbarungen treffen

Das bedeutet konkret: Als sich die Lehrerin Unterstützung für das traurige Mädchen wünschte, nahm sie Kontakt zu dem multiprofessionellen Team auf und brachte den Fall ein. Das Team entschied, das Mädchen in die antragsfreie Jugendhilfe aufzunehmen. "Die Eltern waren der Einladung der Lehrerin mehrere Male nicht gefolgt", erzählt Mareike Santamaria, "das Kind schlief im Unterricht ein und hatte oft kein Essen dabei." Also griff die "Mo.Ki"-Einzelfallhilfe. Ein Mitarbeiter der Diakonie hospitierte im Klassenraum und auf dem Schulhof, nahm Kontakt zu dem Mädchen und zu den Eltern auf. "Wir bieten auch Besuche zu Hause oder in unserem Büro an", erklärt Mareike Santamaria, "und wir treffen gemeinsam mit den Eltern Zielvereinbarungen." 

Kreativität ist bei "Mo.Ki inklusiv" Programm.

Bei "Mo.Ki" sind Hilfe und Unterstützung immer individuell:  Die Kinder machen Konzentrationsübungen, sie musizieren oder machen andere kreative Dinge.

Individuelle Unterstützung

"Wir möchten Systemversteher sein", erklärt die Projektleiterin, "deswegen schauen wir genau hin." Die Eltern gaben grünes Licht, und so begann die gemeinsame Arbeit mit dem Mädchen: "Manchmal ist es für die Kinder schon entscheidend, dass sie Alleine-Zeit haben, dass ihnen jemand zuhört und jemand interessiert an ihnen ist", weiß die Projektleiterin, "dann geht es um Beziehungsaufbau."

Hilfe und Unterstützung sei immer sehr individuell. Und so bekam der Junge, der sich im Unterricht so schlecht konzentrieren konnte, mit Hilfe von "Mo.Ki" ein Unterstützungsangebot mit Konzentrationsübungen. "Manchmal arbeiten wir mit Musik, ein anderes Mal mit Kreativität", erklärt Mareike Santamaria, "wir gehen immer von den Ressourcen des Kindes aus. Nur das Kind kann uns am Ende zeigen, wie wir helfen können."

Gelegentlich empfehlen die Fachleute auch die Unterstützung von Therapeuten, selten sind Meldungen im Sinne des Kinderschutzes beim Jugendamt nötig. 

Auf Augenhöhe 

Neben der Einzelfallhilfe installierte das Projekt auch Classroom-Manager an den beiden Schulen: Fielen in einer Klasse gleich mehrere Kinder auf und wurden den multiprofessionellen Teams für die antragsfreie Jugendhilfe vorgeschlagen, bekamen die Lehrer Hilfe für den Klassenalltag. "Der Classroom-Manager kam dann als Ansprechpartner für alle in die Klasse", erklärt die Projektleiterin. Sie betont: "Wir haben immer mit den Lehrern zusammen und auf Augenhöhe gearbeitet. Es ging nie darum, es besser zu wissen. Uns ging es immer um das Angebot einer Verantwortungsgemeinschaft." 

Als dritte Säule ermöglichte das Projekt Gruppenangebote: Dann wurde für Fünftklässler mit Konzentrationsschwierigkeiten einmal in der Woche ein Übungsangebot eingerichtet. Grundschüler mit Problemen bei der Ordnung in ihren Ranzen erhielten gemeinsam Unterstützung. Parallel liefen Expertenworkshops für Lehrer, Schulämter und die Träger der Inklusionshilfe. Auch Elterncoachings wurden angeboten. 

Hände ziehen gemeinsam an einem Seil.

Dank Mo.Ki ziehen alle einem Strang – für die Kinder und Jugendlichen.

Projekt läuft weiter

Die dreijährige Projektlaufzeit ist nun abgeschlossen. Die Universität Köln hat "Mo.Ki inklusiv" während dieser Zeit begleitet und sich um die Evaluation gekümmert. Die Bilanz: Natürlich habe es anfangs Stolpersteine gegeben, sagt Mareike Santamaria und denkt auch an die Zweifel vieler Lehrer*innen an dem Projekt. Aber dann zieht ein Lächeln übers Gesicht der Projektleiterin: "Am Ende fällt die Bilanz sehr, sehr positiv aus." Alle Beteiligten hätten das Gefühl, dass sich die Gesamtsituation verbessert habe. Und das hat ganz konkrete Folgen für die Schullandschaft in Monheim: Die Stadt hat die Weiterführung des Projekts beschlossen – und damit auch die Kostenübernahme. Viele städtische Schulen sollen der antragsfreien Jugendhilfe angeschlossen werden. "An zwei weiteren Monheimer Schulen gehen dieses Jahr bereits die multiprofessionellen Teams an die Arbeit", erzählt Mareike Santamaria. Die Stadt Monheim bestreitet einen Teil des Projektes selbst – und hat dafür das Personal im Jugendamt aufgestockt. Hinzu kommen die Mitarbeitenden der Bergischen Diakonie, die in den Schulen aktiv sind.

"Heute erleben wir, dass in den Schulen richtige Teams entstanden sind. Wir werden nicht mehr als Störfaktor empfunden", sagt Mareike Santamaria. Ganz im Gegenteil. Dank "Mo.Ki" würden alle einem Strang ziehen – für die Kinder und Jugendlichen.

Text: Theresa Demski, Fotos: Bergische Diakonie, Pixabay, Shutterstock

Ihr/e Ansprechpartner/in
Pfarrer Ulrich T. Christenn
Zentrum Drittmittel und Fundraising
Weitere Informationen

Jubiläum

Zu ihrem 50. Geburtstag im März 2024 hat sich die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW einen neuen Namen geschenkt und heißt nun Sozialstiftung NRW. Bislang hat die Stiftung mit mehr als einer Milliarde Euro rund 8000 Projekte gefördert, die das Ziel haben, soziale Innovationen zu testen und umzusetzen.

Viele dieser Förderungen hat das Zentrum Drittmittel und Fundraising der Diakonie RWL begleitet und Mitgliedseinrichtungen bei der Antragsstellung unterstützt. Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke ist stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat und sagt: "Die Stiftung Wohlfahrtspflege war und ist für uns eine verlässliche Partnerin. Viele innovative Projekte und auch größere sozialpolitische Veränderungen konnten wir in NRW mit dem Geld der Stiftung voranbringen."