50 Jahre Stiftung Wohlfahrtspflege NRW
Herr Schmitz, macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie im Stiftungsrat über eine Million Euro für ein bestimmtes Projekt entscheiden oder im Landtag für einen 100 Milliarden Euro umfassenden Landeshaushalt?
Marco Schmitz: Als Berufspolitiker kommt es für mich nicht auf den Betrag an, den man ausgibt, sondern auf das Projekt, das damit gefördert wird. Sowohl bei der Stiftung als auch im Landeshaushalt haben wir Projekte, bei denen man mit 2.000 Euro Menschen sehr glücklich machen kann. Man muss immer das Bewusstsein dafür haben, dass es das Geld aller Bürgerinnen und Bürger ist, das wir ausgeben. Bei der Sozialstiftung genauso: Es ist nicht meine Stiftung, sondern es ist die Parlamentsstiftung unseres Landes. Als Vorsitzender des Stiftungsrates darf ich Ziele mit definieren und Geld vergeben. Ist das Geld gut angelegt, kann es viel bewirken.
Können Sie Ihre Motivation für Ihr Engagement in der Stiftung an konkreten Projekten festmachen?
Marco Schmitz: Mit der Stiftung helfen wir Menschen ganz konkret. Mal geben wir 500.000 Euro für eine Solaranlage auf einem Pflegeheim. Und am nächsten Tag bin ich in einem kleinen Ort mit 800 Einwohnern, da geht es um die Ausstattung eines Begegnungszentrums für 15.000 Euro. Das ganze Dorf ist dabei und freut sich.
Die Stiftung verbindet Innovation mit der Praxis. "Dieses Konzept ist einzigartig in Deutschland", beschreibt Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke die Sozialstiftung NRW.
Frau Schwenke, wie blicken Sie auf die Sozialstiftung?
Kirsten Schwenke: Die Sozialstiftung NRW ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Hier entscheidet das Land gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden über die Förderung von konkreten Projekten. Dabei kommen Fachlichkeit, Praxiswissen und politisch-strategische Entscheidungen zusammen. Die Stiftung arbeitet flexibel und kann auf Veränderungen im Sozialbereich schneller reagieren als beispielsweise der Gesetzgeber in langwierigen Gesetzgebungsprozessen. Zweitens verbindet die Stiftung Innovation mit der Praxis. Dieses Konzept ist einzigartig in Deutschland.
In der Coronazeit waren Sie ordentliches Mitglied im Stiftungsrat, aktuell sind Sie Stellvertreterin. Erinnern Sie ein Projekt, das Sie aus diakonischer Sicht für besonders halten?
Kirsten Schwenke: In der Corona-Zeit war die Digitalisierung das wichtigste Thema. Einrichtungen der Wohlfahrt konnte mithilfe der Stiftung innerhalb kürzester Zeit einen großen Digitalisierungssprung machen. Wenn Sie meinen Vorstandskollegen Christian Heine-Göttelmann fragen würden, würde er das Projekt SpECi (steht für "Spiritual/Existential Care interprofessionell" – Anmerkung der Redaktion) hervorheben. Das Projekt geht der Bedeutung von spiritueller Gesundheit ganzheitlich nach und verbindet Forschende aus den Bereichen Theologie, Medizin, Therapie, Pflege und Sozialarbeit. Es begleitet Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Ich erinnere mich auch an tolle Förderungen, mit denen Demenzgärten in Pflegeheimen angelegt wurden. Dabei wird versucht, Menschen mit Gärten in der grünen Natur noch anders zu stimulieren und ihnen quasi so etwas wie einen dritten Frühling zu verschaffen.
"Wenn wir etwas ermöglichen können, was on top dazukommt und den Menschen das Leben leichter macht, dann fördern wir das gern", sagt CDU-Sozialpolitiker Marco Schmitz, Vorsitzender des Stiftungsrates der Sozialstiftung NRW.
Herr Schmitz, wenn Sie jetzt nur genau ein Projekt nennen dürften, welches wäre das?
Marco Schmitz: SpECi war insofern herausragend, weil das Projekt das Thema Spiritualität am Ende des Lebens untersucht hat. Dabei wurden auch die Familienangehörigen unterstützt. Daran konnte man gut das Ziel der Stiftung erkennen: Menschen von der Wiege bis zur Bahre zu begleiten und zu stärken.
Kirsten Schwenke: Ich möchte den innovativen Charakter der Stiftung noch einmal betonen. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Eingliederungshilfe. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) setzt einen massiven Umbau der Infrastruktur voraus. Ich habe den Eindruck, dass der Staat aktuell nicht das Geld dafür investieren möchte, das wir brauchen. In der Eingliederungshilfe kann die Stiftung helfen, die aktuelle Gesetzeslage umzusetzen.
Marco Schmitz: Wir sagen aber ganz klar: Wenn ein Träger, die Kommune, oder der Landschaftsverband zuständig ist, dann finanzieren wir das nicht, weil es in der Regelförderung drin sein muss. Wenn wir aber etwas ermöglichen können, was on top dazukommt und was den Menschen das Leben leichter macht, dann fördern wir das gern.
Ist der Sozialstaat aus Ihrer Sicht personell und finanziell stark genug, um den individuellen Bedarfen und Bedürfnissen der betreffenden Personen gerecht zu werden?
Marco Schmitz: Ja, wenn der Sozialstaat bereit ist, sich einem ständigen Wandel zu unterziehen. Das klappt noch längst nicht immer so, wie viele von uns sich das wünschen. Eine wichtige Aufgabe der Sozialstiftung ist es, auf diese Bedarfe hinzuweisen. Mit dem Geld können wir Pilotprojekte fördern, die neue Lösungsansätze in der sozialen Arbeit erproben. Hephata in Mönchengladbach macht jetzt beispielsweise ein Forschungsprojekt zu der Frage, wie man neue Mitarbeitende für die Eingliederungshilfe gewinnen und dann auch in dem Beruf halten kann.
Zwei Themen seien für die Mitglieder der Diakonie RWL zentral, sagt Vorständin Kirsten Schwenke: Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Frau Schwenke, wohin sollte sich die Stiftung künftig entwickeln?
Kirsten Schwenke: Für unsere Mitglieder sind zwei Themen zentral: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die Stiftung muss schauen, wie Eingliederungs- und Altenhilfe bei der Digitalisierung und dem Klimawandel am innovativsten gestärkt werden können. Ein weiteres Thema ist, wie Menschen mit Behinderungen nach dem BTHG bestmöglich wohnen können.
Herr Schmitz, welche Schwerpunkte sehen Sie künftig für die Stiftungsarbeit?
Marco Schmitz: Die zentrale Frage lautet: Wie schaffen wir es, die soziale Arbeit, den Sozialstaat, nachhaltig aufzustellen? Uns in der Politik ist klar, dass für die Wohlfahrtsverbände die Refinanzierung für Nachhaltigkeit sehr schwierig ist. Ein Beispiel: Kein Träger würde bei angespannter Kassenlage eine Solaranlage auf seine Altenpflegeeinrichtung bauen, weil er bisher finanziell schlicht nichts davon hat. Das ist erkannt und im MAGS (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) wird aktuell mit Hochdruck daran gearbeitet, dafür eine Lösung zu finden. Es ist Unsinn, die großen Dachflächen nicht zu nutzen und stattdessen fossil zum Fenster rauszuheizen.
Kirsten Schwenke: Gut zu hören, dass es an der Stelle vorangeht. Das Thema steht im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen und auch ich habe gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus unserer Mitgliedschaft mit der Wirtschaftsministerin darüber schon gesprochen.
Stiftungsratvorsitzender Marco Schmitz will sich einige Projekte des Sonderprogramms "Wir sind stark!" persönlich anschauen. " Mit der Förderlinie wolle die Stiftung Kindern "einen unvergesslichen Sommer bescheren".
Und im Oktober hat der Landtag die Landesregierung schriftlich beauftragt, dafür eine Lösung zu finden.
Marco Schmitz: Das ist richtig. Das Thema brennt Umwelt- und Sozialpolitikerinnen und Politikern gleichermaßen unter den Nägeln. Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) geht da auch mit und ist sich mit unserem Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) ganz einig.
Zum 50. Jubiläum der Sozialstiftung wollen Sie mit dem Programm "Wir sind stark!" fünf Millionen Euro zusätzlich vergeben. Was hat es damit auf sich?
Marco Schmitz: Wir wollen Kindern und Jugendlichen, die es besonders schwer haben, einen unvergesslichen Sommer bescheren. Das können etwa Workshops oder Wanderzeit sein. Das Programm wird mit unseren Partnern Diakonie und Caritas und der Aktion Lichtblicke umgesetzt. Ich bin schon gespannt, welche tollen Projektideen eingereicht werden. Zum Start am Karfreitag ist unsere Website aufgrund des Ansturms erstmal zusammengebrochen. Ich werde mir Projekte auch persönlich anschauen und würde mich freuen, wenn ich dann Kinder treffe, die mir sagen: "Das hat mir richtig was gebracht."
Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke und CDU-Sozialpolitiker Marco Schmitz arbeiten gemeinsam im Stiftungsrat der Sozialstiftung NRW.
Was wünschen Sie sich für die Stiftung über dieses Jubiläumsjahr hinaus?
Kirsten Schwenke: Ich wünsche der Stiftung, dass sie so innovativ bleibt, wie sie derzeit ist. Und ich wünsche mir für NRW, dass wir viel mehr von den erfolgreichen Projekten, die unsere Träger dank der Stiftung erproben können, nach der Testphase in die Regelfinanzierung durch das Land bekommen.
Marco Schmitz: Ein Beispiel aus der Corona-Zeit: Vor Corona hat sich fast kein Pflegeheim die Frage gestellt, wie man den Bewohnerinnen und Bewohnern digitale Geräte so zur Verfügung stellen kann, dass sie mal mit einem Videocall ihre Kinder und Enkelkinder anrufen und sehen können. Für die Ausstattung von Altenpflegeheimen haben wir in der Corona-Zeit sehr viel Geld ausgegeben. Nun wird es ein Nachfolgeprojekt mit einem Volumen von 15 Millionen Euro geben, weil wir gesehen haben, dass das sehr sinnvoll ist. Das ist mein Wunsch für die Stiftung: Dass sie als innovative Ideengeberin fungiert und Geld so verwaltet, dass es direkt bei den Menschen ankommt und Gutes bewirkt.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die weitere Arbeit in der Sozialstiftung NRW.
Das Gespräch moderierte Franz Werfel. Fotos: Jana Hofmann/Diakonie RWL.
Spenden und Fundraising
Das ist die Sozialstiftung NRW:
Im Jahr 1974 beschloss der NRW-Landtag ein Spielbankengesetz. Glücksspiel sollte kontrolliert erlaubt werden. Die Frage stand im Raum, was mit den Erlösen geschehen solle. NRW ist das einzige Bundesland, das dafür eine Stiftung mit einem sozialen Zweck gegründet hat. Das geschah vor genau 50 Jahren, am 19. März 1974. Teile der Gewinne, die sogenannten Spielbankabgaben, gehen seitdem an die Stiftung, seit etwa 30 Jahren sind dies 25,6 Millionen Euro jedes Jahr.
Im Stiftungsrat sitzen fünf Landtagsabgeordnete, die aus verschiedenen Fraktionen im Parlament gewählt werden; zwei Vertreter*innen der Freien Wohlfahrtspflege und zwei Vertreter*innen aus dem Sozialministerium sowie eine Person aus dem Finanzministerium.
Gefördert werden drei Arten von Anträgen: Erstens Bauprojekte mit Schwerpunkten im Bereich Wohnen für Menschen mit Behinderung und bei Quartiers¬projekten. Zweitens Modellprojekte, bei denen die Wohlfahrtsverbände in der sozialen Arbeit soziale Innovationen entwickeln und erproben können. Drittens Anschubfinanzierungen, damit Wohlfahrtsverbände soziale Innovationen in der Fläche umsetzen können.