24. März 2023

Quartiersarbeit

Vesperkirche als Wundertüte

Vesperkirchen haben Strahlkraft in die Quartiere und Sozialräume hinein – und sind wichtige sozialdiakonische Projekte für die Diakonie RWL. Bis zu 8.000 Mahlzeiten gehen pro Aktion über die Theke. In Velbert-Niederberg mit dabei: ein Restaurantchef als überzeugter Wiederholungstäter und Konfirmand*innen, die fürs Leben lernen.

  • Konfirmandin Emily engagiert sich in der Vesperkirche Niederberg.
  • Essensausgabe in der Vesperkirche Niederberg.
  • Konfirmandin Marie hilft in der Vesperkirche Niederberg mit.
  • Voll besetzte Tische in der Vesperkirche Niederberg.
  • Die Gäste der Vesperkirche Niederberg essen im Kirchenraum.
  • Eine Beachflag steht vor dem Eingang der Vesperkirche Niederberg.

"Ich finde es richtig schön, dass hier alle zusammen essen", sagt Emily. Die 13-Jährige ist eine von 13 Konfirmandinnen und Konfirmanden, die in der Vesperkirche im nordrhein-westfälischen Velbert-Niederberg mithelfen. Die findet in diesem Jahr zum fünften Mal statt – und ist vom ersten Moment an gut besucht. Auch an diesem Tag sind schon vor dem eigentlichen Start um 17 Uhr fast alle Tische besetzt.

"Vielfalt unterm Kirchendach" ist das Motto der Vesperkirche Niederberg. Das Konzept stammt ursprünglich aus der Leonhardtskirche in Stuttgart, wo seit 1995 jedes Jahr für sechs bis sieben Wochen Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden, zum Essen und vielem mehr eingeladen sind. Seit 2018 gibt es diese Veranstaltungen auch an vier Standorten im Gebiet der Diakonie RWL: In Gütersloh, Velbert-Niederberg, Bielefeld und Herford findet mittlerweile einmal im Jahr das gemeinsame Essen in der Kirche satt. Im vergangenen Jahr wurden an den vier Standorten zwischen 1.000 und 8.000 Mahlzeiten an schön gedeckten Tischen verteilt.

Koch Kai-Uwe Stachelhaus bei der Essensausgabe in der Vesperkirche Niederberg.

Profi-Koch Kai-Uwe Stachelhaus macht in der Vesperkirche Niederberg alles selbst – er backt sogar das Brot, das es als Beilage gibt. 

Ein Restaurant-Koch tischt auf

Für das Essen in der Vesperkirche Niederberg ist Kai-Uwe Stachelhaus verantwortlich. Er ist Koch mit eigenem Restaurant und war von Anfang an mit dabei. Das ist ungewöhnlich für die Vesperkirchen, die häufig von den Kantinenlieferungen der Kirchen versorgt werden. Kai-Uwe Stachelhaus hingegen macht alles selbst – backt sogar das Brot, das es als Beilage gibt. "Es macht einfach Riesenspaß", betont er. Im ersten Jahr sei man noch von 60 Mahlzeiten pro Tag ausgegangen. "Das hat damals schon nicht gereicht." Auch bei der Menüauswahl habe man dazugelernt. Anfangs plante er ein vegetarisches und ein Gericht mit Fleisch. Weil auch viele muslimische Besucher*innen gekommen sind, habe er – in Absprache mit dem Imam – ein Gericht hinzugefügt, das halal ist. Mittlerweile sei er beim fleischlosen Gericht von vegetarisch auf vegan umgestiegen, denn jede und jeder soll mitessen können. 

Für ihn ist die Vesperkirche eine besondere und ganz andere Erfahrung als seine gewöhnliche Arbeit. Denn die Helfenden sind keine Profis, sondern Ehrenamtliche – aus dem Kirchenkreis, vom Berufskolleg, den Stadtwerken oder von Rotary. Da gehe es eben auch mal unkonventionell zu. Zum Beispiel, wenn seine "Mädels", wie Stachelhaus sie nennt (gemeint ist zum Beispiel die 92-jährige Anni) auch mal etwas mehr auf die Teller geben als geplant.

Pfarrer Volker Basse von der Kirchengemeinde Velbert-Niederberg.

Pfarrer Volker Basse freut sich, dass die Konfirmandinnen und Konfirmanden in der Vesperkirche Kontakt zur Gemeinde bekommen. 

Quartiersarbeit im Fokus

Für die Arbeit in den Quartieren ist die Vesperkirche ein wichtiges Element, sagt Elisabeth Selter-Chow, Referentin für Sozialpolitik und Quartiersarbeit bei der Diakonie RWL. "Da wird in der Kirche ein Begegnungsort geschaffen – und der wirkt in die Stadtgesellschaft hinein." Kinder und Jugendliche treffen auf ältere Menschen. Solche mit wenig oder keinem Einkommen auf welche, die sich über Geld keine Gedanken machen müssen. Denn wer hier ankommt, wird an einen Tisch gebracht, an dem noch freie Plätze sind. Meist sitzen dort schon andere und man steigt direkt ins Gespräch ein.

Auch für die Konfirmand*innen, die an diesem Tag mithelfen, geht es um den Kontakt zur Gemeinde. "Ich bin eher introvertiert, aber jetzt habe ich mich auch schon getraut, Leute anzusprechen. Alle sind total nett", sagt Marie, die bald 13 wird. Auch Pfarrer Volker Basse, der die Konfirmand*innen mitgebracht hat, bemerkt, wie viele im Laufe des Abends aus sich heraus gehen. "Es ist schön, wenn sie die Erfahrung mitnehmen, dass Kirche auch so sein kann", sagt er. Marie freut sich, dass die Konfirmandengruppe sich so auch einmal der Gemeinde zeigen kann. Sie mag es, dass die Menschen hier so zusammenkommen. "Das ist ja der Sinn von Gemeinde", sagt sie. 

Elisabeth Selter-Chow, Referentin für Sozialpolitik und Quartiersarbeit bei der Diakonie RWL.

Wie genau die Gemeinden und Kirchenkreise die Vesperkirche ausfüllen, ist ihnen überlassen, sagt Elisabeth Selter-Chow, Referentin für Sozialpolitik und Quartiersarbeit bei der Diakonie RWL. 

Diakonie RWL unterstützt bei Organisation

Das Grundkonzept ist in allen Vesperkirchen gleich: Besucher*innen bekommen ein kostenloses Essen, das – wie im Restaurant – an den Tisch gebracht wird. An jedem Tag gibt es außerdem einen Text, ein Wort, geistlich oder nicht, der zum Denken anregen soll. Außerdem ein Rahmenprogramm. Die Diakonie RWL kann die Organisationsteams der Vesperkirchen bei der Realisierung eines so großen Projektes beraten und unterstützen. Aber was die Menschen brauchen, wissen die Vesperkirchen vor Ort am besten. Welche Effekte die Vesperkirche für kirchlich-diakonische Strukturen und die Stadtgesellschaft hat, schauen sich die Beteiligten gemeinsam an.

"Jede Vesperkirche ist anders, denn sie richtet sich an den Themen der jeweiligen Veranstaltungsorte aus", sagt Elisabeth Selter-Chow. "Ob Beratung, Friseur, medizinische Unterstützung oder Kulturprogramm – wichtig ist, dass sich viele Menschen mit ihren Fähigkeiten einbringen und die Vesperkirche mitgestalten können. Das prägt den Geist der Vesperkirche."

Verena Sarnoch, Koordinatorin Gemeinwesenarbeit und Organisatorin Vesperkirche Niederberg.

"Die Vesperkirche ist wie eine Wundertüte", sagt Organisatorin Verena Sarnoch. "Und in diesem Jahr ist sie besonders prall gefüllt."

Abend- statt Mittagessen

In Velbert-Niederberg zum Beispiel hat man sich entschieden, zwischen 17 und 20 Uhr ein Abendessen anzubieten statt eines Mittagessens. "Wir haben festgestellt, dass dadurch mehr Familien gemeinsam kommen", sagt Verena Sarnoch, Koordinatorin Gemeinwesenarbeit und Organisatorin vor Ort. Die Familien seien sonst nur am Wochenende zusammengekommen, weil ein Elternteil mittags noch bei der Arbeit war. Und da die Vesperkirche abends früh anfange, sei es auch für Senior*innen noch nicht zu spät.

Die Vesperkirche Niederberg in der Eventkirche (Donnerstraße 15, Velbert-Langenberg) läuft noch bis Sonntag, 26. März. Neben den Mahlzeiten gibt es dort Infoständen von Beratungsstellen – etwa der Ehe-, Paar- und Lebensberatung der Diakonie, der Tafel oder der Beratungsstelle BePro. Am Samstag steht ein Mitsingabend auf dem Programm, am Sonntag ein Gottesdienst à la Carte, bei dem die Besucher*innen im Vorhinein mitbestimmen können. "Die Vesperkirche ist wie eine Wundertüte", sagt Organisatorin Verena Sarnoch. "Und in diesem Jahr ist sie besonders prall gefüllt."

Text: Carolin Scholz; Fotos: Carolin Scholz, Diakonie RWL 

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Sozialraum und Quartier