13. April 2023

Wohnungslosenhilfe

"Wie ein Sechser im Lotto"

Im fünften Jahr bietet das Diakonische Werk an der Saar das Projekt „Housing First – wohnen zuerst“ an. Es vermittelt Wohnungslose in eigenen Wohnraum und unterstützt sie anschließend dabei, wieder ins Leben zu finden. Dafür werden Menschen mit Wohneigentum gesucht, die bereit sind, ihre Wohnung zu vermieten – so wie Claudia Contarini.

Achim Ickler von der Diakonie Saar (li.), Mieterin Kerima (Mitte) und Vermieterin Claudia Contarini (re.).

Achim Ickler von der Diakonie Saar (li.) unterstützt Kerima (Mitte) beim Neuanfang in der Wohnung von Claudia Contarini (re.).

Vermieterin Claudia Contarini beteiligt sich seit über einem Jahr an "Housing First". Aktuell zehn Wohnungen vermietet sie an Teilnehmende des Projekts des Diakonischen Werks an der Saar. Sie setzt dabei auf Vertrauen zu den Beteiligten und hat eine klare Haltung: "Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Und für uns Vermieter sind die Diakonie-Mitarbeitenden eine Hilfe, weil sie uns auch viel abnehmen, schauen, wer noch ins Haus passt. Zudem sind sie verlässliche Ansprechpartner*innen, falls mal etwas nicht so rund läuft." 

Bei ihr ins Haus ist Anfang April Kerima eingezogen. Die Projektmitarbeitenden halfen ihr bei den notwendigen Formalitäten zur Wohnungsanmietung und unterstützen sie jetzt beim Einrichten. Sie werden die Frau aber auch in weiteren unterschiedlichen Lebensbereichen regelmäßig begleiten So lange, bis sich deren Leben stabilisiert hat. Die 45-Jährige ist überglücklich: "Lange habe ich nach einer Wohnung gesucht, nachdem ich meine vorherige verloren hatte. Ich habe daraufhin mal hier und mal dort geschlafen. Die Aufnahme in das Projekt ,Housing First‘ ist für mich wie ein Sechser im Lotto!"

Matthias Ewelt, Diakoniepfarrer im Saarland und Geschäftsführer des Diakonischen Werks an der Saar.

Saar-Diakoniepfarrer Matthias Ewelt hält es für wichtig, mit wohnungslosen Menschen zu reden. 

Gesucht: Menschen mit Herz

Matthias Ewelt, evangelischer Diakoniepfarrer im Saarland und Geschäftsführer des Diakonischen Werks an der Saar, bezeichnet das Programm "Housing First" als enorm wichtig. Wenn man noch mehr "Menschen mit einem großen Herzen" finden könne, die Wohnraum zur Verfügung stellten, sei er dankbar, sagte Ewelt im Interview mit der Saarbrücker Zeitung. Am besten in einem guten Wohnquartier, in dem die Nachbarn am Ende sagen könnten "Mensch, die gehören zu uns", so Ewelt weiter. Es sei außerdem wichtig, mehr mit den Wohnungslosen zu reden, um herauszufinden, was diese möchten. 

Auch die Politik unterstützt "Housing First": Das saarländische Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit fördert diesen besonderen Ansatz der Wohnungslosenhilfe auch für das Jahr 2023 und finanziert nunmehr zwei Personalstellen. "Housing First" sei auf besonders vulnerable Menschen zugeschnitten, die häufig durch ein jahrelanges Leben auf der Straße geprägt seien, betont Saarlands Sozialminister Magnus Jung (SPD). "Das Projekt vermittelt ihnen eine Wohnung und damit die Stabilität und Sicherheit, die sie benötigen, um weitergehende Hilfen anzunehmen. Es ist ein entscheidender Baustein unserer Wohnungslosenpolitik, den wir sehr gerne fördern und perspektivisch ausweiten möchten." 

Frank Couck (li.) und Achim Ickler arbeiten für das Projekt "Housing First" der Diakonie Saar in Saarbrücken.

Frank Couck (li.) und Achim Ickler arbeiten für das Projekt "Housing First" der Diakonie Saar in Saarbrücken. 

Gute Erfolgsquote

Und so funktioniert "Housing First": Wohnungslose Männer und Frauen erhalten eine eigene Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag, unbefristet und ohne Bedingungen. "Dahinter steckt die Erfahrung, dass die Menschen erst dann, wenn die Wohnungslosigkeit beendet ist, auch ihre weiteren Bedarfe angehen können", erklärt Projektmitarbeiter Achim Ickler den Hilfeansatz. "Wir bieten ihnen dazu ein individuelles und passgenaues Unterstützungsangebot an. Für Vermietende sind wir Ansprechpartner in allen Fragen rund um das Wohnverhältnis."

"Wohnungslosigkeit ist ein vielschichtiges soziales Problem. Mit 'Housing First' machen wir die gute Erfahrung, auch solche Menschen zurück in ein stabileres Leben zu führen, die schon lange ohne eigene Wohnung leben, die in anderen Angeboten der Wohnungslosenhilfe gescheitert sind oder die besonderen Hilfebedarf haben", berichtet Tobias Mierzwiak, Abteilungsleiter Soziale Teilhabe der Diakonie Saar. "Mit der Finanzierung durch die Landesregierung können wir diesen erfolgreichen Ansatz weiterentwickeln und mehr Menschen in das Projekt aufnehmen." Das sei jedoch nur möglich, wenn weitere Vermieter*innen bereit sind, Menschen wie Kerima eine Wohnung zu vermieten.  

Die bisherige Bilanz von "Housing First": Seit Projektbeginn konnten 39 Menschen aufgenommen werden und in eine eigene Wohnung ziehen. Sie lebten zuvor auf der Straße, kamen aus der Haft, waren wohnungslos oder in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe untergebracht. Mehr als 90 Prozent von ihnen leben bis heute in einem stabilen Mietverhältnis. "In vielen Fällen zeigt sich zudem eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität aufgrund der Beendigung der Wohnungslosigkeit", so Achim Ickler.

Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland.

Wohnungslose hätten auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt praktisch keine Chance, sagt Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland. 

Hart umkämpfter Markt

Die Diakonie fordert weitere Bemühungen von der Politik. So erklärte Maria Loheide, Sozialvorständin der Diakonie Deutschland, im Februar: "Wohnungslosigkeit ist ein vielschichtiges soziales Problem. Housing First ist deshalb kein Allheilmittel für alle wohnungslosen Menschen, aber ein sinnvoller und in vielen Bundesländern erfolgreich erprobter Ansatz innerhalb des Hilfesystems. Denn er ermöglicht eine schnelle Unterbringung in eigenem Wohnraum auch für Menschen, die schon sehr lange ohne eigene Wohnung leben und einen besonders hohen Hilfebedarf haben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dieser Wohnraum auch zur Verfügung steht. Als Diakonie beobachten wir mit großer Sorge, dass immer mehr Menschen um zu wenige bezahlbare Wohnungen konkurrieren. Wohnungslose Menschen haben auf diesem hart umkämpften Markt praktisch keine Chance. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir neue Wege zur Unterstützung ausprobieren und auch finanzieren. Wenn die Ampelkoalition wie angekündigt Wohnungslosigkeit bis 2030 überwinden will, muss sie noch deutlich nachlegen und weitere Maßnahmen auf den Weg bringen." Es gelte, den sozialen Wohnungsbau zu stärken, das Mietrecht zu reformieren und gute Rahmenbedingungen für eine gemeinwohlorientierte und gemeinnützige Wohnungswirtschaft zu schaffen.

Info: Die Diakonie Saar sucht für das Projekt Housing First und weitere Projekte der Wohnungslosenhilfe Wohnungen für Einzelpersonen bis 500 Euro warm und bittet Vermieter Kontakt aufzunehmen: Achim Ickler, Telefon 0172 4580318, oder Frank Couck, Telefon 0172 4589522, E-Mail an housing-first@dwsaar.de.

Text: Stefanie Stein/Verena Bretz, Fotos: Stefanie Stein, DW Saar, Diakonie Deutschland 

Ihr/e Ansprechpartner/in
Verena Bretz
Stabsstelle Politik und Kommunikation
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