Wohnungslosenhilfe
Peter Ringsdorf war über drei Jahre obdachlos.
25 Jahre hat Peter Ringsdorf als Autozulieferer im Hochregal in einer Firma mit mehr als 2.000 Mitarbeitern gearbeitet. Bis diese Firma 2010 in die Insolvenz gerät und alle Mitarbeiter entlassen muss. Er rutscht in Hartz IV, kann seine Wohnung nicht mehr bezahlen, es folgt eine Räumungsklage. Die Bezüge werden eingestellt.
Ohne alles steht er im April 2012 mit 44 Jahren auf der Straße. In Gummersbach, seiner Heimatstadt, wo er aufgewachsen ist. Vor ihm liegen zu diesem Zeitpunkt fast dreieinhalb Jahre Obdachlosigkeit. Seine sozialen Kontakte bricht er abrupt ab, aus Scham. "Ich dachte mir, wenn mir jemand hilft, muss ich die Hilfe ja zurückgeben. Und das konnte ich nicht", erzählt Ringsdorf. Heute ist er 52 Jahre alt und lebt in einem Appartement, das ihm die Wohnhilfen Oberberg vermittelt haben.
In öffentlichen Toiletten hat sich Peter Ringsdorf morgens gewaschen. (Foto: pixabay)
Morgentoilette in der Fachhochschule
Peter Ringsdorf blickt auf eine Zeit zurück, in der er zwar kein Obdach mehr hatte, aber durchaus einen geregelten Tagesablauf. Jeden Morgen ging er um sechs Uhr in die Waschräume der Fachhochschule Köln, die in Gummersbach einen Außenstandort hat. "Dort habe ich mich gewaschen und rasiert", sagt er.
Den restlichen Tag hielt er sich in der Stadt auf. "Ich bin viel spazieren gegangen. Am Wochenende habe ich Flaschen gesammelt. Da kamen immer um die 30 Euro zusammen. Davon habe ich dann gelebt." In seiner Lieblingsbäckerei in der Gummersbacher Innenstadt gab es Kaffee für einen Euro. Manchmal kaufte er sich noch einen Hamburger für einen Euro. So kam er mit drei Euro am Tag aus. "Geschlafen habe ich in den Vorräumen von Sparkassen", erzählt er. "Damals ging das noch, heute sind ja überall Securities unterwegs, die die Leute verjagen."
Jeden Tag in den Zeitungen nach Arbeit suchen - das war Peter Ringsdorfs Leküre in seiner Zeit als Obdachloser.
Bloß keine Notunterkunft
Obdachlosenunterkünfte waren für Peter Ringsdorf nie eine Option. "Da wird nur konsumiert und es gibt Stress", sagt er. Auch Alkohol hat er nicht getrunken. "Wozu? Ich brauchte das nicht, und ich hätte eh kein Geld dafür gehabt." Trotz allem spricht Peter Ringsdorf rückblickend positiv von seiner Zeit als Obdachloser.
"Ich hatte meine Ruhe, keine Behörden, die was von mir wollten. Es war eine schöne, aber auch lehrreiche Zeit. Ich musste lernen, mit wenig auszukommen." Von den Behörden fühlt er sich dennoch ungerecht behandelt. "Ich habe vom Jobcenter oder der Agentur für Arbeit keinerlei Unterstützung bekommen", kritisiert er. "Die haben immer nur gefordert: Unterlagen, Bewerbungen, Fristen. Ich habe mich um Arbeit bemüht, mich hat aber niemand eingestellt." Schließlich wurden die Leistungen gekürzt und er sich selbst überlassen. "Niemand hat mir gesagt, wo ich mich melden kann, um Hilfe zu bekommen", beklagt Ringsdorf heute.
In der Bäckerei, in der Peter RIngsdorf täglich eine Tasse Kaffee trank, erfuhr er von den Wohnhilfen Oberberg. (Foto: pixabay)
Aufmerksame Kunden im Stammcafé
Hilfe erhielt er schließlich in seiner Stammbäckerei. Dort kam eine Frau mit ihm ins Gespräch, sagte, sie wisse, wo ein Zimmer frei werde. "Ich habe sie dann erst angelogen. Habe gesagt, ich hätte einen Job und eine Wohnung, alles sei gut. Ich habe mich geschämt", sagt er. Denn ihm war es immer wichtig, nicht wie ein Obdachloser auszusehen.
Doch die Frau ließ nicht locker. Bis Peter Ringsdorf einlenkte und Hilfe zuließ. Gemeinsam gingen sie zu den Wohnhilfen Oberberg der Diakonie Michaelshoven. Dort bekam er Hilfe, wurde aufgefangen und unterstützt. Das Ein-Zimmer Apartment konnte ihm vermittelt werden, bis heute ist er dort zu Hause.
Die Wohnhilfen Oberberg der Diakonie Michaelshoven
Kaschierte Obdachlosigkeit
Für Wilfried Fenner, Regionalteamleiter bei den Wohnhilfen Oberberg Mitte, ist die kaschierte Wohnungs- und Obdachlosigkeit in ländlichen Regionen wie dem Oberbergischen Kreis ein großes Problem. "Wenn Menschen hier obdachlos werden, bleiben sie in ihrem Sozialraum verhaftet. Viele sind heimatverbunden, wollen gar nicht hier weg."
Dies führt laut Fenner dazu, dass sie Wochen, Monate oder Jahre ohne Dach über dem Kopf in der Region leben und keiner davon Notiz nimmt – so wie bei Peter Ringsdorf. Für umso wichtiger hält es Fenner, auch dezentrale Hilfen für von Wohnungslosigkeit bedrohte oder betroffene Personen anzubieten. "Unsere Mitarbeitenden gehen in bestimmte Gegenden, zu bestimmten Plätzen und sprechen die Menschen an. Viele schämen sich zu sehr, um von alleine auf uns zuzugehen."
Glücklich kann sich schätzen, wer einen Mietvertrag unterschreiben darf. Das gilt auch in Gummersbach. (Foto: pixabay)
Angespannter Wohnungsmarkt
Zudem ist der Wohnungsmarkt auch in Gummersbach sehr angespannt. "Es gibt zunehmend Singlehaushalte, aber auch die Studenten der Fachhochschule Köln stellen eine große Konkurrenz dar", weiß Wilfried Fenner. Der soziale Wohnungsbau hat in den letzten Jahren kaum bis gar nicht stattgefunden. "Hinzu kommt, dass man beinahe für jeden Mietvertrag eine Schufa-Auskunft benötigt. Ist die nicht einwandfrei, wird die Wohnung nicht vergeben."
Es ist ein Teufelskreis: Ohne Geld bekommt man keine Wohnung, und ohne Wohnung bekommt man kein Geld. Um die Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren, brauchen sie daher zu allererst eine postalische Erreichbarkeitsadresse. Erst dann können sie auch wieder Sozialleistungen beziehen. Diese Postadresse stellen die Wohnhilfen Oberberg.
Auch können die Wohnungslosen in den Hilfestellen der Diakonie Michaelshoven duschen und ihre Wäsche waschen oder einfach Kaffee trinken, Zeitung lesen und im Internet recherchieren. "Dabei müssen sie nichts von sich preisgeben. Vertrauen wird nach und nach aufgebaut." Viele finden in den Wohlhilfen auch wieder sozialen Halt – ein erster wichtiger Schritt zurück in ein menschenwürdiges Leben. Dort ist Peter Ringsdorf nach 40 Monaten Obdachlosigkeit wieder angekommen.
Text und Fotos: Pia Kramer/Diakonie Michaelshoven