18. Januar 2019

Wohnungslose Mütter

Auf der Suche nach einem Zuhause

Bis Mütter mit ihren Kindern auf der Straße landen, muss viel passieren. Sie wohnen abwechselnd bei Verwandten, Freunden oder neuen Partnern. Weil bezahlbare Wohnungen Mangelware sind, suchen immer mehr Mütter mit ihren Kindern Hilfe bei der Diakonie. In Düsseldorf und Köln gibt es besondere Unterkünfte für sie. Doch der Platz reicht längst nicht aus.

Marie auf ihrer Spieldecke

Ein Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen und zwei Holzbetten. Das neue Zuhause von Cosima (Name geändert) und ihrer vier Monate alten Tochter Marie ist bescheiden, aber warm und sauber. Marie liegt auf einer Spieldecke und freut sich über die bunten Gegenstände, die über ihr baumeln. Cosima lächelt ihre Tochter aus müden Augen an.

"Sie war fast die ganze Nacht wach", erzählt sie. "Ich bin so müde und erschöpft. Dabei müsste ich eigentlich noch etwas Deutsch lernen, aber mein Kopf ist leer." Seit Juni 2018 ist Cosima in Deutschland. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben für ihr ungeborenes Kind kam sie mit ihrem Mann aus Griechenland nach Düsseldorf. Erst wohnte das Paar bei einem Freund. "Aber für ein Kind war da kein Platz", erzählt die 27-jährige Frau auf Englisch. 

Frau von hinten zu sehen

Cosima hofft darauf, bald eine eigene Wohnung zu finden.

Langer Weg in die Beratungsstellen

Beim Ausländeramt erfuhr sie von der "Ariadne", einer Notschlafstelle für wohnungslose Frauen der Diakonie Düsseldorf. Von dort kam sie hochschwanger zur "Kleinen Ariadne", eine der wenigen Unterkünfte, die es in NRW für wohnungslose Mütter und Kinder gibt.

Seitdem wartet Cosima darauf, dass ihr Mann einen Job und eine Wohnung für die kleine Familie findet. Er holt sie regelmäßig dort ab. Der Großteil der Frauen, die in der 110 Quadratmeter großen Wohngemeinschaft der "Kleinen Ariadne" leben, erziehen ihre Kinder alleine. Von den über 32.500 gemeldeten Wohnungslosen in NRW sind knapp fünf Prozent alleinstehende Mütter mit Kindern.

Koffer im Schrank

Leben aus dem Koffer - Viele wohnungslose Mütter ziehen jahrelang mit ihren Kindern umher, bis sie Hilfe bei der Diakonie suchen.

Kein Job oder zu wenig Einkommen

Bis sie in die Beratungsstellen, Wohnangebote und Notunterkünfte der Diakonie kommen, haben viele bereits einen langen Weg hinter sich. Gut die Hälfte der Mütter, die in der "Kleinen Ariadne" leben, hat einen Migrationshintergrund.

Nicht selten sind sie in ihrer Heimat von einem Mann schwanger geworden, der in Deutschland lebt und ihnen die Heirat versprach. Als sie ihn hier aufsuchten, mussten sie feststellen, dass er schon eine Familie hat. Andere wurden von ihren Partnern verlassen, konnten die Miete nicht mehr zahlen oder wurden direkt aus der Wohnung, die auf den Namen des Partners lief, geschmissen.

Weil sie entweder keinen Job haben oder nur wenig verdienen, finden sie keine Wohnung, die sie bezahlen können. Zuerst kommen sie bei Verwandten, Freunden oder neuen Partnern unter. Wenn niemand aus ihrem sozialen Umfeld mehr Platz für die Mütter und ihre Kinder hat, suchen sie Unterstützung bei der Diakonie.

Portrait

Familienpflegerin Ute Clever betreut die Frauen und ihre Kinder in der "Kleinen Ariadne".

Mehr Anfragen als Plätze

"Seit dieses Wohnprojekt 2015 gegründet wurde, hatten wir immer mehr Anfragen als Plätze", erklärt Ulrike Clever. Die Familienpflegerin ist eine von insgesamt drei Mitarbeiterinnen der Diakonie Düsseldorf, die die wohnungslosen Mütter und ihre Kinder in der "Kleinen Ariadne" betreuen.

Die Diakonie-Wohnung hat vier Zimmer, zwei Bäder, eine Küche und einen Balkon. Gleichzeitig können dort vier Frauen und fünf Kinder leben. Im vergangenen Jahr haben insgesamt 27 Frauen mit 28 Kindern das Angebot genutzt.

"Wenn sie bei uns ankommen, weinen viele Mütter und ihre Kinder, weil sie von diesem ewigen Herumziehen so erschöpft sind", erzählt die Familienpflegerin. "Doch vor allem die Kinder leben sich hier schnell ein und spielen miteinander."

Portrait

Zu lange wurde die Wohnungslosigkeit von Müttern ignoriert, kritisert Ariadne-Leiterin Eileen Stiehler.

Wohnungslose Mütter kein Thema

Durchschnittlich drei Monate wohnen die Frauen, die zwischen 18 und 50 Jahre alt sind, mit ihren Kindern in einem der Zimmer. Dann haben sie entweder selbst eine Wohnung gefunden oder ziehen wieder zu Verwandten.

Es müsse deutlich mehr Angebote geben, in denen Mütter mit ihren Kindern zur Ruhe kommen und mit Unterstützung eine Wohnung suchen könnten, meint Ariadne-Leiterin Eileen Stiehler. "Lange wollte niemand wahrhaben, dass es wohnungslose Mütter mit Kindern überhaupt gibt", sagt die Sozialpädagogin. Mit der akuten Wohnungsnot in Deutschland hat sich das geändert.

Portrait

Ursula Michalke leitet das Elisabeth-Fry-Haus für wohnungslose Frauen in Köln. (Foto: Karsten Schöne/Diakonie Michaelhoven)

Angst vorm Jugendamt

"Die Frauen bleiben zu lange in schwierigen Beziehungen und halten ganz viel aus, um ihre Kinder zu schützen und nicht zu verlieren", berichtet Ursula Michalke, Leiterin des Elisabeth-Fry-Hauses der Diakonie Michaelshoven. Auch in dieser Einrichtung für wohnungslose Frauen in Köln gibt es eine Außenwohngruppe, in der sechs Mütter mit bis zu neun Kindern leben können.

"Viele haben Angst davor, dass das Jugendamt ihnen die Kinder wegnimmt, sobald sie sich wohnungslos melden", sagt Michalke. In Köln wie auch in Düsseldorf arbeitet die Diakonie mit dem Jugendamt zusammen und sucht nach Wegen, dass genau dies möglichst nicht geschieht. "Die Inobhutnahme findet nur im Notfall statt, wenn die Mütter ihre Kinder vernachlässigen oder gewaltsam behandeln."

In Köln finanziert das Jugendamt sogar die Stelle einer Betreuerin in der Außenwohngruppe, einem geräumigen Haus im Kölner Stadtteil Kalk. Die "Kleine Ariadne" in Düsseldorf dagegen trägt sich allein durch Spenden. Die Wohnung wurde vor drei Jahren mit Spendengeldern der Obdachlosenhilfe "Fifty-Fifty" gekauft. 

Hauseingang

Die Außenwohngruppe für wohnungslose Mütter befindet sich in einem unauffälligen Mietshaus in Düsseldorf.

Mehr Wohnangebote nötig

Mittlerweile hat die Kommune eine Unterkunft mit bis zu 70 Plätzen für alleinstehende wohnungslose Frauen mit Kindern eingerichtet. "Darüber sind wir froh, denn wir brauchen diese Angebote dringend, damit Mütter mit ihren Kindern zusammenbleiben können", betont Eileen Stiehler. 

Doch die Sozialpädagogin wünscht sich weitere Unterstützung für die Mütter. "Es geht neben dem Thema Wohnen auch darum, sie aus dem Niedriglohnsektor herauszuholen, ihnen Wege in Ausbildung und besser bezahlte Jobs zu ebnen."

Für Cosima dürfte das noch ein weiter Weg sein. Sie hat zwar Abitur gemacht, aber danach nur in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet. Aber sie ist ehrgeizig. "Ich will Deutsch lernen und eine Ausbildung machen", sagt sie. "Marie hat ein besseres Leben verdient als ich es bisher hatte."

Text und Fotos: Sabine Damaschke