Welthospiztag
Mit Pflegedienstleiterin Beate Pilny (l.) bereitet Katharina Ruth eine Gedenkfeier vor
"Vorm Sterben hast du doch bestimmt keine Angst mehr", hört Katharina Ruth öfter aus ihrem Bekanntenkreis. "Du weißt doch, wie es geht." Lange war sie Krankenschwester in der Onkologie und Altenpflege, jetzt leitet sie den Hospizdienst "Die Pusteblume" der Diakonie in Wuppertal. Zahlreiche Menschen hat sie auf deren letztem Weg begleitet. Aber weiß sie deshalb, wie Sterben geht?
"Nein", sagt sie. "Es gibt kein Patentrezept. Auch für mich nicht. Die Menschen sterben so verschieden wie sie gelebt haben und Angst haben fast alle." Auch sie selbst. "Doch man kann das Lebensende heute so gestalten, dass es für den Sterbenden und sein soziales Umfeld würdevoll und weitgehend schmerzfrei ist." Vorausgesetzt, über das Sterben wird vor dem Lebensende überhaupt gesprochen. Und genau das passiert nach Ansicht der Pflegeexpertin immer noch zu selten.
Vorausschauende Strukturen fehlen
Zwar ist das Thema Tod durch die Hospizbewegung, die Ende der achtziger Jahre nach dem Vorbild Großbritanniens in Deutschland entstand, längst nicht mehr so tabuisiert. Ein Verdienst der bundesweit über 200 stationären Hospize und rund 1.500 ambulanten Hospizdienste und Palliativstationen. Dennoch, so beobachtet Katharina Ruth, machen sich viele kranke und alte Menschen, Angehörige, aber auch Ärzte und Pflegekräfte nicht genug Gedanken, wie das Lebensende konkret gestaltet werden soll.
So sieht Vernetzung aus: Wegweiser auf dem Gelände des Reformierten Gemeindestifts Elberfeld in Wuppertal
Mit dem Ergebnis, dass von den rund 850.000 Menschen, die jedes Jahr in Deutschland sterben, laut einer aktuellen Studie nur 30 Prozent vor dem Tod eine palliative Versorgung bekommen, aber 90 Prozent sie benötigten. Fast jeder zweite ältere Mensch stirbt in einer Klinik, obwohl nur sechs Prozent der Bundesbürger dort ihre letzten Tage verbringen wollen.
Das Ende 2015 verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz will die pflegerische und medizinische Versorgung am Lebensende nun weiter verbessern. Dafür erhalten die Einrichtungen und Dienste seit diesem Jahr jährlich 200 Millionen Euro zusätzlich. Die stationären Hospize bekommen nun 95 statt 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten von den Kassen erstattet. Auch die Hospizdienste profitieren vom neuen Gesetz, denn sie können einen Teil ihrer Sachkosten, etwa Fahrtkosten für die Ehrenamtlichen, abrechnen. "Wir haben in Deutschland fast überall eine gute Versorgung", beobachtet Katharina Ruth. "Warum gelingt es uns nicht besser, vorausschauende Strukturen und Netzwerke zu schaffen?"
Mehr Geld für Hospize, kein Geld für Altenheime
Eine engere Verzahnung der verschiedenen Akteure im Pflege-, Hospiz- und Palliativbereich sei ein Gebot der Zeit, meint auch die Referentin für Ambulante Dienste und Hospize der Diakonie RWL, Ulrike Telgenkämper. "Oft kommen todkranke Patienten sehr spät in die stationären Hospize und versterben nach nur zwei bis drei Tagen", beobachtet sie. "Ambulante Hospizdienste werden ebenfalls recht spät von ambulanten Pflegediensten, die einen Patienten betreuen, informiert, dass eine Sterbebegleitung sinnvoll ist."
Eine Mitarbeiterin des Hospizdienstes "Die Pusteblume" kümmert sich um eine todkranke Patientin
Von den über 60 stationären Hospizen in NRW befinden sich 14 in Trägerschaft von Diakonie und Kirche. Es gibt 54 ambulante Hospizdienste und 25 ambulante Palliativdienste unter dem Dach der Diakonie RWL. Rund 180 Palliativdienste sind insgesamt in NRW zugelassen.
Ein weiterer Ausbau des Angebots ist - bis auf einige "graue Flecken" in ländlichen Regionen - nach Ansicht von Ulrike Telgenkämper und Katharina Ruth nicht nötig. In den Ausbau der Sterbebegleitung in Altenheimen müsste dagegen deutlich mehr Geld fließen. Immerhin versterben rund 30 Prozent der alten Menschen im Pflegeheim, dagegen nur vier Prozent in einem Hospiz.
Nach dem neuen Gesetz sind die Heime zwar zur Zusammenarbeit mit ambulanten Hospizdiensten und Ärzten verpflichtet. Doch sie erhalten keine Mittel, um mehr Pflegepersonal einzustellen und palliativ weiterzubilden. "Es besteht die Gefahr, dass Ehrenamtliche aus den Hospizdiensten als Pflegekräfte missbraucht werden", warnt Ulrike Telgenkämper. Dabei sollen sie ja gerade das mitbringen, was im Pflegealltag oft nicht ausreichend vorhanden ist: Zeit für lange Gespräche und Begegnungen.
Gesprächskultur über das Lebensende
In Wuppertal arbeitet der Hospizdienst "Die Pusteblume" schon seit seiner Gründung 1996 schwerpunktmäßig in Alten- und Pflegeheimen. Mit dem heutigen Träger, der Diakonischen Altenhilfe Wuppertal, wurde vor vier Jahren die gesamte Betreuung und Pflege für acht stationäre Einrichtungen im Sinne einer Hospiz- und Palliativkultur, wie sie das neue Gesetz vorsieht, umstrukturiert. Ein Projekt, das erheblich vom Förderverein des Hospizdienstes mitfinanziert wurde. Die Vernetzung zu Palliativärzten und ambulanten Palliativdiensten sei gut gelungen, sagt Katharina Ruth. Stolz ist sie auch darauf, dass es eine Gesprächskultur über das Lebensende gibt.
Gedenken an einen Verstorbenen im Pflegeheim
"Mit jedem neuen Bewohner eines der Altenheime findet innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Aufnahme ein Gespräch über Wünsche und Vorstellungen am Lebensende statt", erzählt die Leiterin des Hospizdienstes. Die Mitarbeitenden sind dafür geschult worden. Genau das wünscht sich Katharina Ruth für alle Ärzte und Pflegekräfte, die mit alten und sterbenskranken Menschen zu tun haben.
"Es geht nicht darum, Lösungen zu präsentieren, sondern gemeinsam zu überlegen, wie der letzte Weg gestaltet werden kann, wer da sein soll und wann Therapien beendet werden." Ein Gespräch, das Mut erfordert, denn es gründet auf Erfahrungen mit einer letzten Grenze. Katharina Ruth zitiert hier gerne eine der Pionierfrauen der Hospizbewegung, Elisabeth Kübler-Ross: "Die Sterbenden sind dabei unsere Lehrer."
Text und Fotos: Sabine Damaschke