Straffälligenhilfe
Am Ende passt alles in einen Karton. Mehr bringen die Menschen aus dem Gefängnis nicht mit, wenn sie zu Natascha Zippro in die Beratungsstelle der Gefangenenfürsorge der Diakonie Düsseldorf kommen. So war es auch im Fall eines drogenkranken Mannes, der während der Haft clean gewesen war und es nach seiner Entlassung auch bleiben wollte. Doch außerhalb des Gefängnisses drohte er wieder in die Sucht abzugleiten.
"Er brauchte eine Substitution, konnte aber nicht zum Arzt gehen, weil er nicht krankenversichert war", berichtet Natascha Zippro. Für den Ex-Häftling sei das ein unlösbares Problem gewesen. Denn alle Behörden, die er gebraucht hätte, um Hilfe zu beantragen und eine Krankenversicherung zu bekommen, waren wegen der Pandemie nur online erreichbar. Handy oder Computer besaß er aber nicht.
Natascha Zippro bittet in ihr Büro. Dort versucht sie gemeinsam mit den Haftentlassenen, Behörden zu erreichen. In der Pandemie ist das oft schwierig.
Behörden kaum zu erreichen
"Corona hat die Situation für die Haftentlassenen noch einmal verschlechtert", weiß Natascha Zippro. Selbst mit Hilfe der Beratungsstelle laufe die Kommunikation mit den Behörden nur schleppend. "Immer dann, wenn Menschen niedrigschwellige Zugänge zu Behörden benötigen, ist das im Moment extrem schwierig", beobachtet auch Heike Moerland, die bei der Diakonie RWL das Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration leitet. Denn Jobcenter, Agentur für Arbeit und Krankenkassen-Geschäftsstellen waren seit Beginn der Pandemie weitgehend für den Publikumsverkehr geschlossen.
Menschen, die aus der Haft entlassen werden, müssen sich jedoch umgehend bei den Behörden melden, weil sie sonst weder finanzielle Hilfen noch eine Krankenversicherung bekämen. Doch, so berichtet Natascha Zippro, "man erreicht da auch telefonisch kaum jemanden". Da komme es dann vor, dass Ex-Häftlinge wochenlang nicht krankenversichert seien. Im Fall des drogenkranken Ex-Häftlings schaltete die Sozialarbeiterin schließlich das Gesundheitsamt ein. Es streckte die Kosten für die Substitution schließlich vor, damit der Mann nicht rückfällig wurde. Alleine hätte er das nicht geschafft, ist sich die Sozialarbeiterin sicher.
Thomas Wendland betreut in der JVA Bielefeld auch Gefangene, die entlassen werden.
Monatelang kein Geld
Thomas Wendland von der Straffälligenhilfe der Diakonie für Bielefeld betreute einen Haftentlassenen, bei dem es vier Monate dauerte, bis das Arbeitsamt ihm endlich Leistungen bewilligte. Der Mann habe zwar zu seiner Familie zurückkehren können. "Aber für die war es auch sehr schwer, weil sie dringend auf die Leistungen für den Familienvater angewiesen war."
Für Häftlinge sei es zwischenzeitlich auch kaum möglich gewesen, Behördengänge oder Arbeitssuche schon vor der Haftentlassung anzugehen, so wie es eigentlich vorgesehen ist, berichtet der Sozialpädagoge. "Diese Ausgänge waren eingeschränkt und fielen oft ganz flach". Auch die ohnehin schwierige Wohnungssuche wurde so noch weiter erschwert.
Auf dem freien Wohnungsmarkt hätten die Ex-Häftlinge derzeit kaum Chancen, stellt Natascha Zippro fest. Oft bleibe nur die Straße und der nächtliche Schlafplatz in einer Notunterkunft. Denn auch Zimmer in Übergangs-Einrichtungen seien in Zeiten der Pandemie noch knapper als sie es ohnehin schon waren. Manche Häuser hätten die Zahl ihrer Plätze reduzieren müssen, um die Ansteckungsgefahr zu verringern.
Petra Söder leitet das Wichernhaus der Diakonie Wuppertal, in dem 28 Haftentlassene leben.
Wartelisten in Hilfseinrichtungen
Auch im Wichernhaus in Wuppertal, das 28 Haftentlassene aufnehmen kann, gibt es eine Warteliste. Normalerweise blieben die Bewohner durchschnittlich 18 Monate, sagt Petra Söder, Einrichtungsleiterin Straffälligenhilfe der Wichernhaus Wuppertal gemeinnützige GmbH.
Doch seit Beginn der Pandemie beobachtet sie, dass sich die Betreuungszeit tendenziell verlängert. Auch die Ängste bei den Bewohnern hätten zugenommen. "Man merkt, dass die Menschen mehr Depressionen entwickeln und dass die Ärzte, bei denen sie in Behandlung sind, mehr Medikamente verschreiben." Ein Grund sei auch, dass die Freizeitangebote wie etwa Kochkurse oder Arbeiten in der Schreinerei derzeit nicht stattfinden können. Die Mitarbeiter versuchten das durch ein verstärktes Angebot von Gesprächen aufzufangen.
Positiv sei allerdings, dass das Zusammenleben im Haus seit vergangenem März deutlich friedlicher ablaufe, beobachtet die Sozialarbeiterin. "Die Bewohner sind sehr solidarisch und halten sich wirklich an die Regeln." Das hat einen Grund. Viele hätten Angst, in der jetzigen Situation auf der Straße zu landen. "Ihr lasst uns doch jetzt nicht alleine?", wird die Sozialarbeiterin bisweilen gefragt. Den Menschen sei bewusst, dass die Pandemie ihre Lage noch schwieriger mache.
Diakonie RWL-Armutsexpertin Heike Moerland will eine öffentliche Refinanzierung der Allgemeinen Sozialberatung.
Freie Straffälligenhilfe stärken
Gerade in dieser Situation unterstützten Angebote der Straffälligenhilfe die Haftentlassenen, betont Heike Moerland. Sie kritisiert, dass die NRW-Landesregierung Mittel für einige Programme gestrichen hat. Zwar habe das Land zugleich angekündigt, 50 Stellen für das Übergangsmanagement in den Justizvollzugsanstalten zu schaffen.
"Das begrüßen wir, aber es darf nicht zu Lasten der Maßnahmen gehen, die für die Haftentlassenen die Brücke nach draußen bilden", mahnt Heike Moerland. Die Einrichtungen und Projekte der Freien Wohlfahrtspflege hätten eine langjährige Expertise darin, Menschen bei der Haftentlassung zu begleiten, zu integrieren und wieder in Arbeit zu bringen. "Hier muss das Subsidiaritätsprinzip zum Tragen kommen: Der Staat darf nur dann tätig werden, wenn andere die Aufgabe nicht erbringen können. Gerade für die Schritte nach der Haftentlassung sind wir die Experten!"
Text: Claudia Rometsch